Josep Roig: Ich habe es praktisch von Anfang an mitbekommen. Ich bin hier zu Hause in meinem Arbeitszimmer ja insbesondere tagsüber permanent online, da ich an meiner täglichen Karikatur arbeite und auf dem Laufenden sein muss.
MM: Was war Ihr allererster Eindruck, als Sie von dem Attentat erfuhren?
Roig: Mein erster Gedanke: Ich habe geahnt, dass so etwas passieren würde. Denn die Mitarbeiter von Charlie Hebdo hatten sich entschieden, ihrer Überzeugung Vorrang einzuräumen, ungeachtet der Bedrohung durch Attentäter.
MM: Was empfanden Sie in dem Moment?
Roig: Abscheu. Schlichtweg Abscheu, dass so etwas passieren konnte. Und natürlich Angst. Angst vor dem Nächsten, vor dem Unbekannten, der uns aufsuchen kommt. Die Täter haben ja nicht einmal die Menschen gekannt, die sie umbrachten.
MM: Die Attentäter wussten genau, wen sie treffen wollten, auch wenn sie die Redakteure persönlich gar nicht kannten ...
Roig: Sie wollten uns allen den Krieg aufzwingen, mit Waffengewalt, und wir können uns nur auf der Basis der Legalität verteidigen.
MM: Ist es eine lähmende Angst?
Roig: Die Mitarbeiter von Charlie Hebdo, die jetzt getötet wurden, haben in der Vergangenheit sicherlich ebenfalls Angst empfunden. Aber sie waren mutig genug, ihre Angst zu überwinden und ihre Arbeit fortzuführen.
MM: Gibt es eine Linie, die Karikaturisten nicht überschreiten sollten?
Roig: Die gibt es sehr wohl, und das ist das Strafgesetzbuch. Wer sich durch eine Karikatur beleidigt fühlt - und ich kann verstehen, dass es Menschen gibt, die sich beleidigt fühlen - der sollte die Gerichte anrufen und klagen. Die Legalität ist die Grenze.
MM: Aber sollten Karikaturisten vielleicht Rücksicht nehmen auf die Gefühle von Muslimen und darum auf Karikaturen verzichten?
Roig: Das Zeichnen von Karikaturen, das sind Freiheiten und Rechte, die erkämpft worden sind. Das ist zu respektieren. Hinzu kommt: Die Karikaturen haben sich nicht über die Religion lustig gemacht, sondern über jene, die die Religion nach ihren Vorstellungen gewalttätig auslegen.
MM: Was haben die Attentäter mit ihrem Verbrechen erreicht?
Roig: Ihre Rechnung ging nicht auf: Sie wollten ihre Kritiker, die Karikaturisten, zum Schweigen bringen. Aber über das Internet wurden die Zeichnungen nach dem Anschlag weltweit verbreitet und um ein Vielfaches mehr veröffentlicht, als dies ohne den Anschlag der Fall gewesen wäre.
MM: Wie werden Ihrer Meinung nach die Islamisten das Attentat bewerten?
Roig: Sie betrachten es als großen Triumph. Sie köpfen Menschen und verbreiten Videos davon über das Internet. Sie wollen Angst hervorrufen. Das gelingt ihnen auch. Diese unfassbaren Vorgänge; sie sind unverzeihlich.
MM: Wie gehen Sie mit Ihrer Angst um?
Roig: In meiner jüngsten Zeichnung, die heute (das Gespräch fand am Freitag, 9. Januar, statt) in "Ultima Hora" veröffentlicht wurde, habe ich meinen Standpunkt ausgedrückt: "Und wenn sie mich töten - ich werde nicht aufhören, tolerant zu sein." Wir müssen die Freiheiten, die wir erlangt haben, verteidigen.
MM: Haben Sie in Ihren Karikaturen Religionen aufs Korn genommen?
Roig: Ich beschäftige mich vor allem mit Politikern und politischen Themen sowie der sozialen Kluft zwischen arm und reich. Wenn ich Religion oder ihre Institutionen karikiere, dann die des eigenen Kulturkreises, das, was ich kenne.
MM: Ist das Zeichnen von Karikaturen im Zeitalter von Internet und der digitalen Globalisierung noch zeitgemäß?
Roig: Egal ob Zeichnung oder Wort, es ist der Inhalt, der zählt. Das Internet ist nur ein Mittel der Verbreitung. Damals, als ich in der Ausbildung war, verbot man uns Kugelschreiber zu verwenden. "Das ist nur eine vorübergehende Modeerscheinung", hieß es. Wer weiß, vielleicht ist das Internet in der Zukunft selbst ein veraltetes Mittel, um Ideen zu transportieren ...
MM: Was könnte nach dem Internet kommen?
Roig: Keine Ahnung, wie wäre es mit der Telepathie, der Gedankenübertragung ...?
MM: Wie bewerten Sie das Zusammenleben der verschiedenen Kulturen auf Mallorca?
Roig: Mallorca gewinnt dadurch. Die Insel hat schon immer Menschen von außen aufgenommen, sei es durch Eroberung, Zuwanderung oder Tourismus. Die Durchlässigkeit von Gedanken und Anschauungen war hier dadurch viel höher als etwa in den Dörfern auf dem Festland. Bei so vielen Leuten, die von überall her zusammenkamen, entstand schon früh der Eindruck von Europa. Ich bin keiner von denen, die in dieser Entwicklung stets eine Invasion gesehen haben, im Gegenteil. So lange wir uns gegenseitig respektieren, geht alles gut.
Mit Pep Roig sprach Alexander Sepasgosarian.
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