Tourismus früher und heute: Wie Mallorca zur Lieblingsinsel der Urlauber wurde
Am Sonntag fand in Palma die zweite Anti-Tourismus-Demonstration innerhalb weniger Wochen statt. Die Kritik an den negativen Begleiterscheinungen des Geschäfts mit den Urlaubern nimmt zu. Lange Zeit aber war der Tourismus auf Mallorca vor allem eine Erfolgsgeschichte ...
Der Tourismus auf Mallorca – gestern und heute. | privat/FAM
Jonas MartinyPalma, Mallorca24.07.24 08:45Aktualisiert um 11:53 Uhr
Mallorca und der Tourismus, das ist so eine Sache! Auch am vergangenen Wochenende sind wider Zehntausende Insulaner durch die Straßen von Palma gezogen, um gegen den Massentourismus zu demonstrieren. Bereits bei der ersten Protestveranstaltung Ende Mai hatte es offene Anfeindungen gegen Touristen gegeben. Zahlreiche Teilnehmer der Demonstration gaben den verdutzten Urlaubern unmissverständlich zu verstehen, dass sie von ihrer Anwesenheit nichts halten. Die am Sonntag von der Gruppierung "Menys turisme, mes vida" ("Weniger Tourismus, mehr Leben") organisierte zweite Demonstration stand unter dem Motto "Canviem el rumb, posem limits al turisme" ("Lasst uns die Richtung ändern, lasst uns den Tourismus begrenzen").
Jahrzehntelang galt es geradezu als Tabu, die Urlaubswirtschaft auf Mallorca infrage zu stellen. Zu groß ist die Abhängigkeit der Inselwirtschaft von der Branche: Von mehr als 80 Prozent des Bruttosozialproduktes ist die Rede. Und so war die Empörung groß, als im Juli 2017 Angehörige der Jugendorganisation Arran mit bengalischen Feuern, Konfetti und Sprechchören Touristen drangsalierten, die in Palma in einem Hafenrestaurant speisten.
Die Protestler mussten sich damals gar vor Gericht verantworten, wenngleich sie schließlich allesamt freigesprochen wurden. Bezeichnenderweise liegt auch der Zeitpunkt, zu dem die konservative Volkspartei PP erstmals öffentlich einräumte, dass die Grenzen der Aufnahmefähigkeit erreicht sind, gerade einmal ein paar Wochen zurück.
Und doch: Ganz neu ist die Tourismuskritik auf Mallorca dann doch nicht. Umweltschützer, Linksparteien, Anwohnervereinigungen – sie alle weisen schon seit vielen Jahren auf Fehlentwicklungen hin. Das gilt auch für Wissenschaftler der Balearen-Universität, in erster Linie Humangeografen und Ökonomen. Geradezu prophetisch liest sich die Aussage des menorquinischen Schriftstellers Màrius Verdaguer, der in seinem Buch "Un verano en Mallorca" schrieb: "Früher, als Gott in seiner unendlichen Güte zu den Mallorquinern sprach: ,Was begehrt Ihr, meine Kinder?’, antworteten ihm diese: ,Herr, wir wollen Frieden, Ruhe, gute Sitten und eine reiche Mandelernte.’ Und Gott gab ihnen Frieden, Ruhe, gute Sitten und eine reiche Mandelernte. Aber dann mischte sich der Teufel ein: ,Was begehrt Ihr?’ Und die Mallorquiner riefen ihm zu: ,Wir wollen Touristen! Viele Touristen!’ Und der Teufel schickte ihnen Schiffe und noch mehr Schiffe, Flugzeuge und noch mehr Flugzeuge.” Das Buch erschien 1959 ...
Gerade einmal 321.000 Urlauber kamen in jenem Jahr auf die Inseln. Im vergangenen Jahr wurde erstmals in der Geschichte die 17-Millionen-Grenze übertroffen. "Mallorca hat eine gewaltige Entwicklung hinter sich", schreibt der Historiker Thomas Wozniak in seinem Buch "Kleine Geschichte Mallorcas" über den Siegeszug des Tourismus im 20. Jahrhundert: "Vom Geheimtipp der Künstler, Exilanten und ruhesuchenden Hollywoodschauspieler hin zu einem Zentrum des internationalen Pauschal-, Bade- und Massentourismus."
Los ging all das am Ende des 19. Jahrhunderts. Durch den Verlust der spanischen Übersee-Kolonien ging Mallorca damals ein wichtiger Absatzmarkt für landwirtschaftliche Produkte verloren. Eine tiefe Wirtschaftskrise sucht die Insel heim. Verstärkt wird sie noch durch die Reblaus, die den kompletten Bestand an Weinreben zerstört, schreibt der Historiker Bartomeu Barceló in dem Buch "Welcome! Un segle de turisme a les Illes Balears" („Willkommen! Ein Jahrhundert Tourismus auf den Balearen”).
Bei der Suche nach einem Ausweg aus der Krise werden erste Forderungen laut, den Fremdenverkehr zu einer künftigen Einnahmequelle zu machen. "Mallorca, gut bekanntgemacht, gut entwickelt, gut präsentiert, wäre ohne Zweifel ein herausragendes Reiseziel im Frühjahr und Sommer", findet im Jahr 1890 der Schriftsteller Miquel dels Sants Oliver. "Das Potenzial ist vorhanden. Jeder, der das möchte, kann es nutzen."
Mit der Gründung des mallorquinischen Tourismusförderungsverbandes im Jahr 1905 erfahren die Bemühungen, den Fremdenverkehr auf der Insel voranzubringen, einen entscheidenden Anstoß. Der "Foment de Turisme" setzt sich in den folgenden Jahrzehnten nicht nur für die Vermarktung der Insel als Reiseziel ein, er fördert auch den Ausbau der touristischen Infrastruktur und die Pflege des kulturellen Erbes. Immer mehr Mallorquiner erkennen das Potenzial der Insel als Urlaubsziel, neue Hotels entstehen – aus einigen von ihnen entwickeln sich im Laufe der Jahre Tourismuskonzerne von Weltrang.
Das verhindern auch nicht der Spanische Bürgerkrieg und der Zweite Weltkrieg, wenngleich diese für die Entwicklung Mallorcas zum internationalen Reiseziel einen jähen Rückschlag bedeuten. In den 50er und 60 Jahren aber, als sich das franquistische Regime der Welt öffnet und den Tourismus als willkommene Einnahmequelle entdeckt, erlebt die Urlaubsindustrie ihren endgültigen Aufschwung – und in der Folge einen nie dagewesenen Boom, begünstigt von der Tatsache, dass das Reisen in vielen europäischen Ländern nun nicht mehr allein den wohlhabenden Bevölkerungsschichten vorbehalten ist.
Die Zahl der Urlauber, die auf Mallorcas 1960 eingeweihtem Flughafen Son Sant Joan abgefertigt werden, steigt allein in den ersten fünf Jahren von knapp 640.000 auf mehr als zwei Millionen. In den Folgejahren entwickelt sich Mallorca zum „Mekka des Tourismus”. Das hat Auswirkungen auf viele Bereiche der Gesellschaft. Im gleichen Maße, wie das Geschäft mit den Urlaubern wächst, schrumpfen andere Bereiche der Wirtschaft, allen voran das produzierende Gewerbe und die Landwirtschaft. Noch 1933 setzt die Landwirtschaft dreimal so viel Geld um wie der Tourismus.
Schon im Jahr 1973 trägt der Dienstleistungssektor mehr als 50 Prozent zur gesamten Wirtschaftsleistung bei. Seit den 90er Jahren liegt der Wert bei mehr als 80 Prozent. Der Tourismus hat der Insel Reichtum gebracht: Jahrzehntelang liegt das Bruttoinlandsprodukt auf den Balearen um ein Vielfaches über dem spanischen Durchschnittswert.
Die boomende Wirtschaft führt seit den 60er Jahren zu einem immer größeren Bedarf an Arbeitskräften und lockt Zehntausende Menschen auf die Insel, zunächst vom spanischen Festland, später auch aus anderen Teilen der Welt. In Palma entstehen ganze Wohnviertel, in denen sich diese neuen Mallorquiner niederlassen. War es vor etwas mehr als 100 Jahren im ländlichen Mallorca noch ein echtes Ereignis, einem Zugereisten zu begegnen, ist heute jeder zweite Bewohner Mallorcas nicht auf der Insel geboren.
Auch das Erscheinungsbild der Insel verändert der Tourismus rasant. Der weitgehend ungeordnete Bauboom der Vergangenheit prägte vor allem die Küstenorte. Der Ausbau der Infrastruktur, die nötig ist, um die immer größere Zahl an Menschen aufnehmen zu können, schreitet unaufhaltsam voran. „Der mit dem Tourismus einhergehende Prozess der Landschaftszerstörung auf Mallorca, die ,Balearisierung’, lässt sich grob in zwei Phasen unterteilen”, schreibt Historiker Wozniak:
„Eine Periode schneller, unkontrollierter Hotelbauten der 1960er bis 1990er Jahre, verbunden mit dem ,Sonne, Sex und Suff’-Image, und die seit den 1990er Jahren erfolgten Versuche, den Tourismus höherwertig zu machen, was aber in einen noch höheren Land- und Ressourcenverbrauch mündete.” Jedoch nicht nur an der Küste sei die Bauaktivität enorm gewesen. „Durch den verstärkten Erwerb von Fincas und Ländereien im Inselinneren, verbunden mit den entsprechenden Swimmingpools und der Anlage von mittlerweile 24 großen Golfplätzen auf Mallorca, ist auch dort der Flächenverbrauch weiter gestiegen.”
Zwar gibt es auch schon in den 50er Jahren erste, vereinzelte tourismuskritische Stimmen, eine breite Bewegung aber wird daraus erst in den 70er Jahren, als Umweltgruppen wie etwa der GOB (Grup Balear d’Ornitologia i Defensa de la Naturalesa) erstmals unverhohlen die zunehmende Landschaftszerstörung anprangern. Erst in den 80er Jahren jedoch, nach dem Ende der Diktatur, greift die erste autonome Regional-Regierung durch strengere Vorschriften regulierend ein. „Es steht zu befürchten, dass die wahren Herausforderungen, die den Mut klarer Schritte benötigen, noch in der Zukunft liegen”, schreibt der Historiker Thomas Wozniak.
Kein Kommentar
Um einen Kommentar schreiben zu können, müssen Sie sich registrieren lassenund eingeloggt sein.
Noch kein Kommentar vorhanden.