Diese Art des Einzelhandels aber ist fraglos auf dem Rückzug. In den vergangenen Jahren hat sich stattdessen ein Modell etabliert, das man exakt genauso auch in vielen anderen Weltgegenden findet: Ein Supermarkt in einem grauen Zweckbau irgendwo am Rande der Stadt mit großem Parkplatz ringsherum, Aktionspreisen, langen Schlangen an den Kassen und überarbeitetem Personal.
Den Wandel genau zu beziffern, ist derweil schwierig. Der Unternehmerverband ASODIB, der heute eigenen Angaben zufolge mehr als die Hälfte des Lebensmitteleinzelhandels auf den Balearen repräsentiert, wurde erst im Jahr 2011 gegründet. Einer, der den Sektor seit vielen Jahren genau kennt, ist Carles Tarancon, Rechtsanwalt und Generalsekretär des Verbandes. Bereits Anfang der 2000er-Jahre arbeitete er als Rechtsberater für die damals aufstrebende Supermarktkette Mercadona. Die hatte damals gerade einmal fünf Filialen auf den Balearen, erinnert er sich. Heute sind es 50. „Keine Frage: Die Supermärkte haben den Colmado abgelöst”, sagt er.
Lidl beispielsweise eröffnete seine ersten Supermärkte im Jahr 2001 und betreibt mittlerweile balearenweit 30 (780 Angestellte). Aldi wiederum ging 2015 mit zunächst sechs Filialen an den Start, heute sind es elf. Insgesamt betrieben die im Unternehmerverband ASODIB zusammengeschlossenen Firmen im Jahr 2022 balearenweit 183 Supermärkte. Die Zahl der Angestellten lag bei 4862.
Das starke Wachstum der vergangenen Jahre sei auf die Bevölkerungszunahme zurückzuführen, sagt Tarancon. Es habe schlicht Bedarf nach weiteren Einkaufsmöglichkeiten gegeben. Im Jahr 1998 lebten auf Mallorca noch 637.000 Menschen, im Jahr 2022 waren es bereits 914.000 – eine Steigerung um 43 Prozent. Und noch gibt es durchaus Wachstumspotenzial für den Sektor, sagt Tarancon. Anstrebenswert sei, dass etwa 80 Prozent der Bevölkerung zu Fuß zum Supermarkt gehen können. Davon sei Mallorca noch weit entfernt.
Derzeit allerdings stehe etwas anderes im Fokus der Unternehmen: Die Modernisierung der Läden und die Anpassung an die Erfordernisse der heutigen Zeit. Mercadona etwa baue ganz gezielt sämtliche Geschäfte unter dem Gesichtspunkt der Energieeffizienz um. Unter anderem werden überall doppelte Türen installiert, um die Klimatisierung der Läden zu verbessern. Auch LED-Leuchten seien längst Standard. Bei Lidl wiederum gebe es praktisch keine Filiale mehr, die nicht über eine eigene Fotovoltaikanlage verfügt. 200 Millionen Euro hätten die Unternehmen des Sektors allein in den vergangenen fünf Jahren unter anderen in diesen Bereichen investiert.
Besonders deutlich werde der Wandel im Bereich Wiederverwertung. Es sei beispielsweise nicht allzu lange her, da wurden in den Supermärkten noch „Unmengen” Lebensmittel weggeworfen, wie Tarancon sagt. Das gebe es heute praktisch nicht mehr. „Sämtliche Lebensmittel, die noch in gutem Zustand sind und deren Haltbarkeitsdatum nicht abgelaufen ist, gehen heute an soziale Einrichtungen.” Es gebe zu diesem Zweck Kooperationen mit insgesamt 30 gemeinnützigen Organisationen. Auch beim Thema Recycling seien die Einzelhandelsunternehmen mittlerweile Vorreiter. „Während es früher nur darum ging, zu wachsen, zu wachsen und zu wachsen”, sagt Tarancon, „ist nun die Kreislaufwirtschaft das große Thema in der Branche.” Nicht nur, weil das immer mehr Menschen forderten, sondern auch, weil die bessere Nutzung der Ressourcen im Interesse der Unternehmen sei.
Dazu kommt, dass es zunehmend schwierig wird, weiteres Wachstum auf der Insel zu generieren. „Einen neuen Supermarkt zu eröffnen ist heute höchst kompliziert”, sagt Tarancon. Vor allem gebe es kaum noch geeignete Standorte. Die Vorschriften und Kontrollen von Behördenseite seien streng und vielfältig. Öffentliche Infrastruktur, Brandschutz, Zufahrtswege, Parkplätze – die Liste der Auflagen ist lang. Dazu kommen noch mallorquinische Eigenheiten. So zeichneten sich die Inselbewohner dadurch aus, dass sie im Gegensatz zu Festlandspaniern an Supermärkten partout nicht unterirdisch parken wollen. Das habe die Erfahrung im Laufe von Jahren gezeigt. Deshalb gebe es auf Mallorca praktisch nur Supermärkte mit oberirdischen Parkflächen, was den Platzbedarf und dadurch die Kosten extrem in die Höhe treibe.
Dazu kommt: Die Konkurrenz in der Branche ist brutal, wie Tarancon sagt. „Wenn du ein Produkt einen Cent billiger anbieten kannst als deine Mitbewerber, dann machst du das.” Dabei seien die Margen im Einzelhandel mit einem bis drei Prozent ohnehin gering. Die Firmen müssten um jeden einzelnen Kunden kämpfen. Deshalb sei beispielsweise auch das Thema der Öffnungszeiten so umstritten. Zuletzt hatte Mercadona vergeblich gefordert, seine Filialen am 31. Dezember – einem nicht verkaufsoffenen Sonntag – zu öffnen. Für einen Supermarkt mache es einen großen Unterschied, wenn er wegen eines Feiertages zwei Tage in Folge schließen muss, erklärt Tarancon. „Einen Salatkopf, den ich am Freitag als frisch verkaufe, kann ich meinen Kunden am Montag nicht mehr anbieten”, sagt er.
Beim Thema Öffnungszeiten gibt es vor allem Widerstand der kleinen Einzelhandelsbetriebe, die bei einer weiteren Liberalisierung um ihre Wettbewerbsfähigkeit bangen. Deren Interessenverbände PIMECO und AFEDECO stemmen sich so gut es eben geht gegen die Übermacht der Großkonzerne. Derzeit sorgt eine geplante Erweiterung des Einkaufszentrums Alcampo in Marratxí für Aufregung. Laut Carles Tarancon gibt es durchaus ein Umdenken in der Branche, nachdem viele Supermarktketten in den vergangenen Jahren auf Filialen auf der grünen Wiese setzten. Mittlerweile suche man verstärkt die Nähe zum Kunden. „Das Ziel ist, dass die Geschäfte in die urbane Struktur integriert sind.” Ein Beispiel dafür sei etwa der Lidl-Supermarkt, der im Frühjahr 2021 mitten in Palma eröffnete. Mit dem guten, alten Tante-Emma-Laden hat allerdings auch der nicht mehr viel gemein.
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