Tauchende Meeresschildkröte (Archivbild). | ENRIC GENER

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Es ist ein Ereignis, das man aus fast steinalten Tierfilmen des schon lange verblichenen und dennoch weiter legendären Ozeanfreundes Jacques-Yves Cousteau (1910-1997) kennt: Wenn eine Meeresschildkröte wie üblich eine schier unüberblickbare Zahl von Eiern ablegt, ist dies ein magisches Ereignis. Wenn sie wie in Trance mit ihren Flossen ein tiefes Loch in den Sand gräbt, dort die weißen runden Dinger auf fast kunstvolle Weise langsam hineinmanövriert, das Ganze wieder schließt und am Ende wieder im Meer verschwindet, dann kann man den Blick von der Mattscheibe kaum abwenden.

Weil die beeindruckenden Tiere gebärtechnisch lieber nachts aktiv sind, wurde – soweit bekannt – niemand Augenzeuge der beiden auf Mallorca in den vergangenen Wochen an Palmas Stadtstrand Can Pere Antoni und in Cala Millor registrierten Vorgänge dieser Art. Hinzu kam jüngst ein Verdachtsfall an der im Inselosten gelegenen Cala Domingos, der sich jedoch später als falscher Alarm herausstellte. Ein Tourist hatte dort im Sand eine Schildkröte zwar gefilmt, die hatte jedoch keine Eier abgelegt.

Was den erstgenannten Küstenabschnitt in der Balearen-Kapitale angeht, so schlüpften kürzlich aus den Anfang Juni abgelegten Eiern endlich die ersten Baby-Schildkröten. „Zehn wurden in unserem ‚Limia’-Labor in Port d’Andratx geboren, 13 waren es am Strand”, so Guillem Félix vom Meerestierschutzprogramm Cofib des balearischen Fischerei- und Landwirtschaftsministeriums gegenüber MM. Insgesamt hatte die Schildkröte der Unterart Caretta caretta 106 Eier in den Sand gegraben – ein Ereignis, das davor noch nie auf Mallorca registriert worden war. „Aus den 82 Eiern in Cala Millor werden die ersten Tiere Ende August und Anfang September schlüpfen”, so Guillem Félix weiter.

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In dem staatlichen Labor werden die insgesamt 23 Tiere zehn bis zwölf Monate lang gehegt und gepflegt, bis sie dann 25 bis 30 Zentimeter lang sind und 1500 bis 2000 Gramm wiegen. „Danach werden wir sie an genau dem Strand, wo sie geboren wurden, wieder aussetzen”, so der Schildkröten-Profi, der auf den Inseln als die Kapazität für die an Land schwerfälligen und im Wasser eleganten Kreaturen gilt. Wenn bei den 23 eine Überlebensquote von 90 Prozent erzielt werden könnte, wäre das ein großer Erfolg.

Für die Tatsache, dass immer mehr dieser Meeresschildkröten Balearen-Strände zum Gebären aufsuchen – auf Ibiza gab es in den vergangenen Wochen sogar drei Eiablagen – hat Félix eine erstaunliche Erklärung: „Da an Orten, wo es mehr als 37 Grad heiß ist, nur noch Weibchen schlüpfen, suchen die Tiere angesichts des Klimawandels nicht ganz so tropische Küsten auf, damit mehr Männchen geboren werden.” Das sei in ihnen genetisch veranlagt. Das Ziel der Reptilien sei seit ewigen Zeiten, 50 Prozent Männchen und 50 Prozent Weibchen in die Welt zu setzen, um die Art zu erhalten. Wenn dann der Organismus spüre, dass in dieser Hinsicht etwas nicht stimmt, werde halt reagiert. „Wir werden hier auf Mallorca noch viel mehr Meeresschildkröten sehen”, ist sich Guillem Félix sicher. Die Zahl der Ablagestellen werde „exponentiell” zunehmen. Und dies, obwohl nicht wenige Meeresschildkröten in Fischernetzen oder nach dem Schlucken von Plastikobjekten – wie immer mal wieder berichtet wird – kläglich das Zeitliche segnen.

Zu den vor Mallorca am häufigsten vorkommenden Caretta-caretta-Schildkröten dürften sich dann auch Exemplare anderer Unterarten gesellen. „Es finden sich hier auch Dermochelys coriácea- und Chelonia mydas-Schildkröten”, weiß Guillem Félix.

Sollte jemand an irgend einem Strand eine Meeresschildkröte bemerken, so sollte er umgehend die Nummer 112 anrufen und sich dem Tier nicht nähern, um es tunlichst nicht zu stören. Außerdem ist er angehalten, leise zu sein und bloß keine Blitzlichtaufnahmen mit seinem Handy zu machen. Haustiere sollte er fern von der sensiblen Meereskreatur halten. Sind die Aussagen des Anrufers glaubwürdig, wird ein Cofib-Spezialtrupp losgeschickt, der das Eierablagegelände absperrt, sobald die Schildkröte die Gebärprozedur hinter sich gebracht hat.