Seine Schafe folgen dem Mallorquiner Pere Borra auf Schritt und Tritt. Vor 25 Jahren besaß seine Familie noch 500 Tiere, heute besteht die Herde aus etwa 50 Böcken, Auen und Lämmern.Fotos: Patricia Lozano

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Wenn Pere Borra nach seinen Schafen ruft, dauert es nur wenige Sekunden bis die Tiere blöken. Noch bevor man sie zu Gesicht bekommt, vernimmt man in der Ferne bereits die Glocken der Schafe. „Die wissen ganz genau: Jetzt gibt es etwas zu fressen”, erklärt Pere Borra. Kurze Zeit später erscheinen die Böcke und Auen samt frischgeborener Lämmer am Horizont und folgen dem Mallorquiner zur Futterstelle.

Pere Borra hütet seit seinem 14. Lebensjahr Schafe. Er stammt aus einer Hirtenfamilie: Bereits sein Vater und Großvater arbeiteten als Schäfer im nordwestlichen Tramuntana-Gebirge in Sóller, Binibassi und Fornalutx. In den Höhenlagen der Serra waren sie bei Wind und Wetter mit den Tieren unterwegs und streiften vom Berg Puig de l’Ofre von Dorf zu Dorf.„Schäfer sein ist meine Berufung”, sagt Borra mit strahlenden Augen und streichelt liebevoll das vier Wochen alte Lamm auf seinem Arm. Doch in den vergangenen Jahren hat sich für die Schafhirten auf Mallorca einiges geändert. Das betrifft auch Borras Familie in Sóller. Noch vor etwa 25 Jahren waren sie im stolzen Besitz von etwa 500 Tieren, heutzutage hat sich die Herde auf etwa 40 bis 50 reduziert. „Das Geschäft mit dem Vieh ist nicht mehr so rentabel wie noch vor zirka 30 Jahren. Schuld daran sind vor allem die niedrigen Marktpreise. Damals bekam ein Hirte noch etwa 1,60 Euro für ein Kilo Schafswolle, mittlerweile sind es weniger als 50 Cent. Auch der Marktwert für frisches Lammfleisch, was bei den Mallorquinern so beliebt ist, sinkt ständig”, sagt Pere Borra.

Da er als einfacher Schäfer finanziell nicht mehr über die Runden kommt, arbeitet Borra zusätzlich in einem Steinbruch. Seine, wenn auch in den Jahren reduzierte, Schafsherde ist allerdings auch weiterhin seine große Leidenschaft. Daher legt er großen Wert auf artgerechte Tierhaltung und verantwortungsvollen Konsum: „Um qualitativ hochwertiges Fleisch zu bekommen, müssen die Schafe frei auf dem Land leben. Außerdem schlachten wir nur so viele Tiere für den Eigenbedarf, wie sie dann auch wirklich konsumiert werden. Und von Massentierhaltung und abgepacktem Billig- Fleisch aus dem Discounter halte ich sowieso nichts.” Doch die Schafe haben neben den Erzeugnissen von Fleisch,-Milch,- und Käseprodukten noch eine andere wichtige Bedeutung. „Das Schaf gehört zu den ältesten Nutztieren der Welt. Seine Anwesenheit hat die mallorquinische Landschaft seit Jahrhunderten mitgestaltet. Sie liefern natürlichen Dünger”, sagt Borra.

In Pere Borras Herde tummelt sich eine farbenfrohe Mischung aus braunen und weißen Schafen. Denn: Auf Mallorca gibt es eine große Artenvielfalt. Die zwei wichtigsten Rassen sind zum einen die ovella roja mallorquina, das „rote” Schaf und die ovella blanca mallorquina, das weiße mallorquinische Schaf. María Antonia Espinosa vom Inselverband Associació de ramaders de l’ovella mallorquina erklärt, dass beide Rassen eine wichtige Bedeutung für die Insel haben, sich allerdings die ovella blanca mallorquina in den meisten Regionen durchgesetzt hat: „Die weißen Schafe sind robuster und haben sich besser an das Inselklima angepasst. Zudem ist das Fleisch wesentlich zarter und qualitativ hochwertiger. Das braune oder auch „rote” Schaf ist eher in der Gegend um Llucmajor vertreten, etwas sensibler und wird hauptsächlich für Milch- und Käseproduktion genutzt”, so María Antonia Espinosa.

Auf den Baleareninseln gibt es insgesamt rund 200.000 Schafe, 14.000 Tiere und 75 Schäfer sind in dem Generalregister des Verbandes eingetragen. Da die mallorquinischen weißen Schafe vom Aussterben bedroht sind, hat die Vereinigung in Kooperation mit dem Inselrat und der Universität von Córdoba in Südspanien ein Projekt ins Leben gerufen. Dabei werden unter anderem Spermien der Schafsböcke in einem Labor in Madrid aufbewahrt. „Sollte eine Pandemie ausbrechen und die Mehrheit der Tiere verenden, besteht die Möglichkeit, die Rasse trotzdem weiter zu erhalten”, erklärt María Antonia Espinosa. Das erst vor kurzem auf den Balearen festgestellte Virus „Lengua azul” hatte dem Tierbestand auf den Inseln nur geringfügig Schaden zugefügt. Alle Tiere wurden mittlerweile immunisiert und erhalten im April die zweite Impfdosis.

Doch egal, ob braunes oder weißes Fell: Pere Borra schenkt allen seinen Tieren die gleiche liebevolle Aufmerksamkeit. „Ich hoffe, dass die alte Schäfer-Tradition auch weiterhin ein Teil unserer Familie sein wird. Daher gebe ich mein ganzes Wissen an meinen Neffen weiter. Wie die Schafe uns Hirten auf Mallorca brauchen, brauchen auch wir sie, um die Natur im Gleichgewicht zu halten.”