In Afghanistan hat Fernando Pérez Marroquín gehört, wie Soldaten hinten in seinem Helikopter um ihr Leben kämpften. Er, der Pilot, saß vorne, versuchte cool zu bleiben und flog das nächste Krankenhaus an. Im Transportraum der Maschine versuchten Sanitäter, verwundete Soldaten zu reanimieren. Manchmal ließen die Patienten sich stabilisieren, manchmal verloren sie Hunderte Meter über der Erde ihr Leben. Die Bilder und Geräusche haben sich in Pérez Marroquíns Kopf gebrannt.
Der Soldat, sein Dienstgrad ist Major, erzählt in seinem klimatisierten Büro von den Erlebnissen, die Tür hat er zugemacht. Doch es wäre nicht schlimm, wenn seine Kameraden mithörten. Pérez Marroquín, 36 Jahre alt, kurzes schwarzes Haar, olivgrüner Ganzkörperanzug der Luftwaffe, spricht über Altbekanntes: den Krieg in Afghanistan und die Terrormiliz Taliban, die die Macht in dem Land am Hindukusch übernommen hat.
In 20 Jahren sind dort 100 spanische Soldaten ums Leben gekommen. „Es war nicht angenehm, zu hören, wie Menschen sterben oder zu sehen, wie ihre Gedärme neben ihnen liegen”, sagt Pérez Marroquín, der heute Vater einer fünfjährigen Tochter ist. „Das Risiko des ganzen Einsatzes ist dann spürbar.”
Am 11. September jähren sich die Anschläge auf die Zwillingstürme, das World Trade Center, in New York zum 20. Mal. Vier Wochen später patroullierten damals die ersten Soldaten in Afghanistan. Die Mission: Al-Qaida-Terroristen aufspüren und töten. Im Nachbarland Pakistan erschoss zehn Jahre später ein US-Elitesoldat Osama bin Laden. Der Einsatz schien sich gelohnt zu haben.
Deutschland und Spanien unterstützten die Vereinigten Staaten. Zeitweise nahmen mehr als 130.000 Soldaten aus über 50 Nationen am Krieg teil. Bis zum 11. September dieses Jahres sollten alle US-amerikanischen Truppen das Land verlassen haben. So hatte es Präsident Joe Biden angekündigt. Die Nato-Partner schlossen sich an.
Doch aus einem geregelten Rückzug wurde nichts. Die Taliban brachten im August überraschend schnell die Hauptstadt Kabul unter ihre Kontrolle. Chaos und Angst herrschten. Das westliche Militär verlegte wieder Soldaten nach Afghanistan, um den Flughafen der Metropole zu sichern und Landsleute auszufliegen. Ende August verliess der letzte us-amerikanische Soldat das Land. Viele Afghanen versuchen weiter zu fliehen, doch die Taliban kontrollieren die Grenzen.
Pérez Marroquín bedauert, dass die Nato abgezogen ist. Sie habe viel Arbeit und viele Menschenleben in die Mission investiert. Besonders die Zivilbevölkerung litt unter der Offensive der Taliban. Im Mai und Juni dieses Jahres gab es 2400 Tote und Verletzte. Mehr als 5000 waren es in der ersten Jahreshälfte, was einen Anstieg von 47 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum bedeutet. Die spanische Tageszeitung „El País” spricht von einem Wirbelsturm der Gewalt, „Torbellino de violencia”.
Fernando Pérez Marroquín war vor neun Jahren in Herat im Nordosten des Landes stationiert. Als 26-Jähriger war er drei Monate des Frühjahrs 2012 am Hindukusch im Einsatz. Pérez Marroquíns Einheit, Ala 49, gehört zur Luftwaffe und hatte den Auftrag, Verletzte zu retten. Der Mallorquiner bezeichnet den Einsatz eher als bewaffneten Konflikt. „Es standen sich nicht wie in einem Krieg zwei Länder gegenüber. Wir haben gegen Terroristen gekämpft.”
Die Luftwaffeneinheit Ala 49 hat ihre Heimat auf dem Flughafen von Palma, im militärischen Teil. Dieser liegt zwischen den beiden Start- und Landebahnen von Son Sant Joan und ist aus dem Fenster eines Flugzeugs erkennbar, wenn der Flieger zur Startposition rollt. Besonders der Hangar fällt auf, er hat Platz für mindestens vier Rettungshelikopter.
Fernando Pérez Marroquín fährt jeden Tag von seinem Zuhause in Palmas Küstenviertel Es Coll d’en Rabassa in sieben Minuten zur Basis. Nach einer ein Kilometer langen Zufahrtstraße und dem Gruß eines Kameraden erreicht er ein eigenes Dorf. Auf dem Gelände gibt es ein Schwimmbad, ein Fitnessstudio, Wohn- sowie Bürogebäude. 400 Menschen arbeiten auf der Basis, einige übernachten dort.
Was ist es für ein Gefühl, seine Heimat zu verlassen und in einen bewaffneten Konflikt nach Afghanistan zu gehen? „Ich hatte Lust darauf”, sagt Fernando Pérez Marroquín. „In Anführungszeichen.” Dafür habe er sich vorbereitet, dafür sei er Soldat geworden, sagt er. Es sei beruflich das Interessanteste gewesen, was er gemacht habe. Als er in den Einsatz ging, hatte er keine Freundin. Doch seine Eltern waren nicht begeistert.
Kontakt zu ihnen hielt der Soldat per Skype, Satellitentelefon, Mail, Brief. Einer seiner besten Momente im Einsatz war, als ein Paket aus Mallorca eintraf – von seinen Kameraden auf der Basis in Palma. Sie schickten Ensaïmada, Sobrassada und Quelitas-Kekse. Das war ein Foto wert. Im Lager spielten die Soldaten hin und wieder Fußball, Karten, schauten Filme, kochten Paella und feierten Geburtstage.
Mal das Militärgelände, das sich in der Nähe der Stadt Herat im Nordwesten Afghanistans befand, zu verlassen, war nicht möglich. Dafür lauerten zu viele Gefahren. „Die Taliban sind Teil der normalen Bevölkerung”, sagt Pérez Marroquín. Irgendwo konnte immer mal ein Selbstmordattentäter mit Sprengstoffgürtel herumlaufen.
Kontakt zu Afghanen hatte der Soldat dann, wenn diese die westlichen Truppen etwa als Übersetzer unterstützten. „Sie sind sehr angenehme Menschen”, sagt Pérez Marroquín. „Viele von ihnen haben verstanden, dass wir in ihrem Land sind, um sie zu beschützen.” Zum anderen traf der Soldat Einheimische, wenn er ausflog, um neben Kameraden auch Zivilisten zu retten. Er transportierte etwa Schwangere und Kinder. „Wir haben auch mal einen amerikanischen Hund gerettet, der bei einer Explosion verletzt wurde.” Das sei ein besonders schönes Erlebnis gewesen. In drei Monaten hatte Pérez Marroquín 27 Einsätze – die Zahl kennt er auch neun Jahre später genau.
Zwischen 2006 und 2014 schickte Ala 49 rund 70 Soldaten von der Basis auf Mallorca nach Afghanistan. Von ihnen ist niemand gestorben. Doch jeden Tag, jede Woche gab es mehrere Tote verbündeter Nationen, die im Nordwesten des Landes im Einsatz waren. Italiener, Amerikaner, Spanier. Das bekam Pérez Marroquín über einen Chat mit. Auch 59 deutsche Soldaten verloren am Hindukusch ihr Leben. Die Bundeswehr war unter anderem in Masar-i-Scharif im Norden stationiert.
Dass die internationalen Truppen abgezogen sind, will Pérez Marroquín nicht als Niederlage werten. Der Westen habe das lokale Militär ausgebildet, wofür die Einheimischen dankbar seien. Doch vieles erscheine wegen der Machtübernahme der Taliban umsonst. „Das ist keine gute Nachricht.” Afghanistan sei nämlich für die westlichen Soldaten wie ein Kind gewesen, „das du aufwachsen siehst”.
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