Den Traumblick in die Ferne hat man dieser Tage in Valldemossa so gut wie für sich allein.Fotos: Patricia Lozano

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Wenn Nadal Torres im Sitzungssaal des Rathauses von Valldemossa vor der Dorffahne sitzt, blickt er zuweilen fassungslos ins Leere. Auch der Bürgermeister des in den vergangenen Jahren regelmäßig überlaufenen Bilderbuch-Dorfs muss sich noch daran gewöhnen, dass der so berühmte Ort im Augenblick so verschlafen wie ein x-beliebiger Weiler ist. „Innerhalb der Woche ist kaum einer auf den Straßen”, so der Lokalpolitiker zu MM.

Und so fühlt man sich in den Gassen von Valldemossa derzeit ziemlich allein. Die Stille an diesem Januar-Montag lockt jede Menge vielfarbige Katzen hervor. Sie geben einem das Gefühl, als befände man sich irgendwo in einem namenlosen Mini-Ort in Kastilien. Es ist so ruhig, dass man ihr Schnurren hört. „Man macht hier halt morgens und abends die Runden mit den Hunden”, sagt Nils Burwitz. Dazwischen halte man sich zu Hause auf. Der deutsche Künstler lebt hier seit vielen Jahren, er kennt in dem 2000-Seelen-Ort fast jeden. „So wie jetzt muss es in den 50ern hier zugegangen sein”, sagt der 80-Jährige, der auch in der momentan geschlossenen Kartause schon künstlerisch aktiv sein durfte.

Wegen der Corona-Krise sind die Zeiten vorbei, als hier Tag für Tag Dutzende Touristenbusse auf dem großen Parkplatz hielten. Damals drängten sich die Massen vor der Kapelle der Dorfheiligen Catalina Thomàs (1531-1574), bestaunten die Pflanzenkübel in den Gassen und blickten auf den Café-Terrassen in die Sonne. Wo früher vor dem Cappuccino in der Hochsaison jeder Tisch permanent besetzt war, parken jetzt Autos. Auch hier müssen die Gastbetriebe zubleiben.

Es ist kalt in dem malerisch an einem Hang gelegenen Puppenstubendorf. Die Feuchtigkeit dringt durch die Haut in die Knochen, und man kann nachempfinden, wie durchfroren der polnische Komponist Frédéric Chopin und seine Freundin George Sand waren, als sie sich hier im Jahr 1838 drei Monate aufhielten. „Nie habe ich so sehr unter Kälte gelitten, obwohl es in Wirklichkeit nicht sehr kalt war”, schrieb George Sand in ihrem Buch „Ein Winter auf Mallorca”. Auch heute, am 18. Januar 2021, lässt einen diese Gemengelage mitunter leicht zittern. Und weil es so ungewohnt still ist, fühlt man auch, wie verloren sich die beiden in diesem Gebirgsdorf vorgekommen sein müssen. Die abergläubischen Einwohner mutmaßten sogar, dass diese Ausländer die Pest hereingebracht hatten und verbrannten deswegen nach ihrem Abmarsch deren Kleidung.

Die Pest gibt’s nicht mehr, aber Corona. Im Rathaus ist man ob der klammen Situation fast verzweifelt. „Die Massifizierung war nicht das Ideal, aber das, was wir jetzt erleben, ist es auch nicht”, sagt Jaume Mayol, der Kulturdezernent des Postkarten-Idylls. „Wir wollen einen gehobenen Tourismus, weil das hier ja ein Künstlerdorf ist.” Die Pandemie sei durchaus eine Chance, in dieser Hinsicht Veränderungen herbeizuführen. Leere und Ödnis wolle man nicht, erst recht nicht die feierfreudigen Dörfler. Nichts war los im Corona-Jahr in Valldemossa, sogar der traditionelle Kutschen-Umzug im Oktober zu Ehren der heiligen Catalina musste abgesagt werden. Jaume Mayol spricht von einer „totalen Abkopplung” des Ortes. Das Einzige, was nennenswert war, waren laut dem Lokalpolitiker die Rettungen von verirrten Wanderern durch die Guardia Civil.

Auch von Belang waren Film-Drehs. Im Oktober und November wurden hier Szenen für die spanische Produktion „Pan de limón con semillas de amapola” gedreht. „Die Crew war im Es Petit Hotel untergebracht”, erinnert sich Nils Burwitz, der gegenüber wohnt. Jetzt steht die Herberge leer. Geschlossen sind auch die ehedem bei Urlaubern so begehrten Souvenirläden, neben denen Gemeindemitarbeiter die tote Zeit nutzen, um die Äste von einigen Straßenbäumen abzusägen. Auch das Museum zu Ehren des begnadeten Landschaftsmalers Josep Coll Bardolet (1912-2007) ist noch zu, soll aber im Februar wiedereröffnet werden. Zugänglich sind in Valldemossa momentan nur einige Bäckereien und kleine Läden, aus denen einsam und schüchtern maskierte Verkäufer blicken.

Doch ein Hauch von dem, wie es früher war, kehrt jedes Wochenende zurück. „Dann kommen Ausflügler aus Palma und es bilden sich Schlangen vor den Bäckereien, weil die Leute die ‚Cocas de patata’ wollen”, weiß Bürgermeister Nadal Torres, der Nils Burwitz angesichts dessen 80. Geburtstags im Rathaussaal eine Statue der Dorf-Heiligen überreicht. Die „Cocas de patata” gehören genauso zu Valldemossa wie „Santa Catalina”.

Immerhin, verhungern muss man hier trotz geschlossener Restaurants nicht. Auch auf einem der vielen Mäuerchen lässt sich Essen genießen – an einigen Orten mit Weitblick auf die schön grüne Tramuntana-Landschaft.

(aus MM 3/2021)