Das leere Grundstück klafft immer noch wie eine tiefe Wunde in dem ansonsten dicht bebauten Straßenzug. Hier stand das Mehrfamilienhaus, das in der Nacht auf den 26. Oktober 2009 innerhalb von Sekunden einstürzte und sieben Menschen unter sich begrub.
„Natürlich erinnere ich mich noch genau an jenen Tag”, sagt ein älterer Herr, der auf dem benachbarten Platz auf einer Bank sitzt. „Ich wohne ja gleich ein paar Meter weiter die Straße runter und habe das alles aus nächster Nähe mitbekommen.” Zwischen seinen Beinen wuselt ein kleiner, schwarzer Hund herum. „Ich versuche aber ehrlich gesagt, das alles zu vergessen.” Das Unglücksgrundstück ist abgesperrt, gleich nebenan hat jemand eine Art Schrebergarten angelegt. Ein Mispelbaum ragt mehrere Meter in die Höhe.
Das Unglück von Camp d’en Serralta war kein Einzelfall. Immer wieder hatte es auf der Insel in den Jahren zuvor, wie auch in anderen Gegenden Spaniens, ähnliche Ereignisse gegeben. Pfusch am Bau, mangelhafte Instandhaltung – die Gründe sind vielfältig. Bis heute kommt es vor, dass Fassadenteile von offensichtlich renovierungsbedürftigen Gebäuden in die Tiefe stürzen. Meist geht das glimpflich aus – weil zufälligerweise gerade kein Passant dort unterwegs ist.
Eigentlich aber sollten längst alle Gebäude spanienweit in einigermaßen gutem Zustand sein. Denn zu dem Zweck hat die spanische Zentralregierung bereits in den 90er Jahren eine Art „Gebäude-Tüv” eingeführt. Palmas Stadtrat beschloss dann eine entsprechende Verordnung, die regelmäßige Kontrollen vorschreibt. Kurz vor dem Unglück von Camp d’en Serralta, im Frühjahr 2009, trat dann eine aktualisierte Fassung in Kraft.
Die Suche nach der Ursache des Hauseinsturzes begann gleich am Tag nach dem Unglück. Recht bald konnte eine Gasexplosion, die zunächst als wahrscheinlichste Ursache galt, ausgeschlossen werden. Zumal Anwohner von Anfang an berichtet hatten, das Gebäude habe sich bereits seit längerer Zeit in schlechtem Zustand befunden. Mehrere Personen berichteten gar von einem mehr als armdicken Riss, der sich in den zurückliegenden Monaten in der Fassade gebildet habe.
Im Zuge der Ermittlungen stellte sich dann heraus, dass das Haus ursprünglich vor dem Jahr 1938 gebaut worden war – allerdings nur als einstöckiger Flachbau. Im Jahr 1958 dann wurden drei weitere Etagen daraufgesetzt, ohne, dass die tragenden Sandstein-Mauern verstärkt worden seien. Die Stadtverwaltung wies bereits wenige Tage nach dem Unglück sämtliche Vorwürfe der Mitschuld zurück. Es sei die Pflicht der Besitzer, für den einwandfreien Zustand des Gebäudes zu sorgen. Im Rathaus seien keine Beschwerden wegen des schlechten Zustands der Immobilie eingegangen.
Auch der Richter, der sich in den folgenden Monaten von Amts wegen mit dem Hauseinsturz befasste, kam zu dem Ergebnis, dass es sich um einen Unfall gehandelt habe, der nicht vorhersehbar gewesen sei. Zwei Sachverständige waren unabhängig voneinander zu dieser Erkenntnis gelangt. Die Ursache des Einsturzes sei gewesen, dass die tragenden Sandstein-Mauern im Laufe der Jahre porös geworden waren und schließlich dem Druck nicht mehr standhielten. Wenn ein Fehler gemacht worden sei, dann im Rahmen der Aufstockung im Jahr 1958. Die dafür zuständigen Personen aber könnten wegen der gültigen Verjährungsfristen nicht mehr verantwortlich gemacht werden. Damit stellte der Richter das Ermittlungsverfahren ein. Der damals gültigen städtischen Verordnung zufolge hätte die Immobilie im Jahr 2012 turnusmäßig von einem Sachverständigen begutachtet werden müssen – erst drei Jahre später also.
Zu einem grundsätzlichen Umdenken hat das Unglück von Camp d’en Serralta nicht geführt. Noch immer scheint das Bewusstsein für die Notwendigkeit regelmäßiger Kontrollen nicht allzu stark ausgeprägt zu sein. So musste die Stadtverwaltung von Palma in der Vergangenheit Jahr für Jahr Hunderte Immobilienbesitzer auffordern, den Bericht anfertigen zulassen. Ende vergangenen Jahres etwa waren nur 68 Prozent der Gebäude, die vorschriftsmäßig an der Reihe gewesen wären, begutachtet worden. Pedro Carrero, Sekretär der Berufsvereinigung der Bauleiter und technischen Architekten auf Mallorca, fordert denn auch, die Stadt müsse strenger vorgehen gegen Immobilienbesitzer, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. „Das Einzige, was wirkt, sind Geldbußen”, sagt er.
Einer Pressemitteilung der Stadt von Ende Juli zufolge ist es in diesem Jahr besonders wichtig, sich rechtzeitig um die Kontrolle zu kümmern, da ungewöhnlich viele Immobilien betroffen sind: Es müssen nicht nur alle Gebäude begutachtet werden, die aus dem Jahr 1969 stammen, sondern auch alle, die vor 1900 gebaut wurden – diese sind wegen des Zehnjahres-Turnus der Kontrollen nun wieder an der Reihe.
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