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Locker-elegant an Prachtvillen vorbeischlendern und sich selbst wie ein Bohemien fühlen? Schön wär’s.Wer sich vom Paseo Marítimo aufmacht, El Terreno zu erkunden, muss zwar keine 365 Stufen wie auf dem Kalvarienberg in Pollença erklimmen. Aber bis zum höchsten Punkt, dem Castell de Bellver, geht es auch hier über lange Treppen oder schmale Pfade steil bergauf. Aber je weiter man sich nach oben kämpft, desto mehr entschädigt der Anblick prächtiger Jugendstilvillen und romantisch wuchernder Gärten, die den früheren Glanz des Viertels auch heute noch spüren lassen.

„Gelände” oder „Terrain” bedeutet „El Terreno” ganz schlicht auf Deutsch. Seinen Namen erhielt das Viertel am Westrand von Palma im Mittelalter. „,Terreno del Real Patrimonio‘, also ‚Gebiet in königlichem Besitz‘, hießen damals die kiefernbestandenen Ländereien, die zur Militärzone am Castel de Bellver gehörten“, erklärt Lokalhistoriker Gaspar Valeri. 1777 entstand dort die erste Villa; Can Vilella gehörte dem mallorquinischen Maler Cristófol Vilella. Er sollte sich als Vorreiter der Künstlerkolonie erweisen, die sich gute 100 Jahre später dort niederließ.

Doch 1805 geriet das Terreno erst einmal in geistliche Hände. Antonio Despuig y Dameto, ein spanischer Erzbischof und Kardinal, erwarb das ländliche Gebiet vor den Toren Palmas. Erste Urbanisierungspläne tauchen 1835 auf. „Die Dokumente dafür sind aber nicht mehr erhalten“, berichtet Valeri. Doch schon 1840 lobte der Stadtchronist Antoni Furió die schönen Häuser mit ihrer spektakulären Aussicht.

Denn ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das Viertel sichtlich aufgehübscht. „Die Familie Rubert kaufte dem Kardinal 1850 sein Haus ab und gestaltete wahrscheinlich auch das Straßen- und Gassennetz zusammen mit dem bürgerlichen Unternehmer, Josep de Villalonga i Jordá“, sagt Valeri. Es entstanden die ersten Häuser in Meeresnähe, umgeben von üppigen Landschaftsgärten mit sorgsam angelegten Steinwegen und Grotten, die Anfang des 20. Jahrhunderts zu einem beliebten Motiv von Malern wie Antoni Ribas und Santiago Rusiñol wurden.

Nach Josep de Villalonga ist heute eine der drei langen, schmalen Straßen be-nannt ist, die sich in drei Etagen von Norden nach Süden durch das immer noch dörflich anmutende Viertel ziehen. Sie lassen sich recht bequem entlang flanieren und geben in der Ferne den Blick frei bis auf das Zentrum der Stadt mit ihrer Kathedrale. Ganz anders die von Ost nach West verlaufenden kleinen Sträßchen und Treppen, die diese Adern kreuzen. „Die Anlage der steilen Gassen und Treppen deutet daraufhin, dass das Viertel ein reines Wohnviertel und auf Fußgänger ausgerichtet war. Für Pferde oder Autos waren diese Wege nicht geeignet”, sagt Valeri.

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Von der Carrer de la Salut, der untersten der drei Nord-Süd-Achsen, führt die Carrer Lanuza zur Carrer Dos de Maig ins Dachgeschoss des Terreno. Sie beginnt als steile Gasse und geht dann in eine Treppe aus Naturstein über, an deren Wänden sich im Frühling und Sommer Bougainvilleen ranken. Etwa 90 flache Stufen muss man überwinden, bis man die Carrer Dos de Maig erreicht und auf die tief unten liegende Bucht von Palma blicken kann. Im Vergleich zur rund 200 Meter südlich liegenden Treppe an der Carrer Menéndez Pelayo ist das allerdings eine recht bequeme Angelegenheit. Dort führen über 200 Stufen Richtung Himmel. Startpunkt ist die 1871 erbaute Pfarrkirche an der Carrer de la Salut, bei Bedarf ist für geistlichen Beistand also gesorgt. Auch die Bauherren zeigten Mitgefühl und stellten auf halbem Weg Steinbänke zum Verschnaufen auf. Meist hat man die steile Treppe fast für sich allein und kann in Ruhe die nostalgische Atmosphäre auf sich wirken lassen oder durch die Türschlitze in den Seitenmauern einen Blick in die dahinterliegenden Villengärten werfen. Am „Gipfel” angelangt, wird man mit einer atemberaubenden Aussicht belohnt.

Seine landschaftlich reizvolle Lage war es auch, die El Terreno seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zum ersten Touristenviertel Palmas machte. Die wohlhabenden Bürger hatten die engen, mittelalterlichen Gassen und düsteren Paläste satt und entdeckten das nur wenige Minuten Kutschfahrt entfernte El Terreno für ihre Sommerfrische. Treppen führten direkt zur Badebucht von Can Bàrbara. In licht- und sonnendurchfluteter Umgebung entstand schnell ein neues Villenviertel mit prächtigen Gärten. Die meisten Sommervillen waren bescheiden. „Es gab natürlich auch Ausnahmen wie etwa die im lokalen Jugendstil errichtete Villa Schembri mit ihrem auffälligen achteckigen Erkerturm“, sagt Valeri. Der spanische Maler Santiago de Rusiñol, der sich 1902 in El Terreno niederließ, war jedenfalls begeistert: „El Terreno ist ein weißer Schwan, und jedes Haus eine seiner Federn“, schrieb er.

Und schon wenig später kamen die Ausländer. Deutsche, Briten, Franzosen und Amerikaner liebten das Dolce Vita in Meeresnähe, darunter viele Schriftsteller wie Ruben Darío, Gertrude Stein oder Camilo José Cela. Der Spanische Bürgerkrieg bereitete dem Boheme-Leben ein abruptes Ende. Erst Mitte der 1950er Jahre lebte der Tourismus wieder auf. El Terreno wurde zum Partyviertel und zog illustre Gäste wie Jimi Hendrix und John Lennon an. Doch klotzige Hotels un d Hochhäuser beraubten die alten Villen ihres Meeresblicks, der Paseo Marítimo versperrte den direkten Zugang zum Meer. Was für Palma ein Fortschritt war, läutete für El Terreno den Niedergang ein.

Vor allem rund um die Plaça Gomila, wo sich zu Inquisitionszeiten ein berüchtigter Exekutionsplatz befand, ist der alte Glanz des Viertels erloschen. Anwohner klagen über Kriminalität und Verfall. Heute gilt: je höher gelegen, desto schöner. Ein Grund mehr, die Treppen hochzukraxeln, auch wenn‘s anstrengend ist.

(aus MM 36/2018)