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Seit einem Moped-Unfall mit 14 Jahren ist Rosa Maria Torrens schwerstbehindert. Die heute 27-Jährige begann vor drei Jahren eine Reittherapie. Tagelang freut sich die junge Frau auf ihre wöchentliche Reitstunde. Im Rollstuhl wird sie an eine Rampe gefahren und von vier Helfern vorsichtig auf das davor stehende Pferd gehoben.

Begleitet von drei Therapeutinnen reitet sie dann im Schritt durch die Anlage. Die Therapeutinnen führen das Pferd, stützen Rosa Marias Rücken sanft mit der Hand und geben ihr kleine Aufgaben. Mal soll sie einen Arm anheben, mal mit den Fingern den Kopf berühren oder andeuten, ob das Pferd nach rechts oder links gehen soll. Rosa Maria kann nicht sprechen und die Übungen fallen ihr schwer, aber sie strahlt die ganze Zeit.

"Das Pferd ist Mediator zwischen Patient und Therapeut", erklärt die Reittherapeutin Marianne Schulz. Die Therapie mit Pferden wirke ganzheitlich, fügt Elsa Gutiérrez vom Verein für spastisch Gelähmte ASPACE bei Bunyola hinzu, der seit einem Jahr Reiten in die Therapiearbeit einbezieht. Die Beziehung zum Pferd wirke ebenso heilsam wie die Bewegung auf dem sich bewegenden Tier und dessen Körperwärme. Mit Reitenlernen habe das nichts zu tun, betont Gutiérrez.

Immer mehr Institutionen und Reiterhöfe auf Mallorca bieten therapeutisches Reiten an. Nicht alle Angebote seien seriös, warnt Schulz. Als Referenz-Zentrum für therapeutisches Reiten in ganz Spanien gilt S'Hort Vell in Biniali. Von weit her kommen Menschen, um hier Praktika zu machen oder sich - wie Rosa Maria Torrens - behandeln zu lassen.

Mit Ausnahme von Drogenabhängigkeit, deren Behandlung eines besonderen Rahmens bedürfe, seien sie offen für alle körperlichen, kognitiven und psychischen Beschwerden, sagt die Leiterin Maria Valldeperas. Ihre Patienten - zwischen vier und über 40 Jahre alt - hätten Aufmerksamkeitsdefizite, Sprachfehler, Ess- und Entwicklungsstörungen, Autismus, Lähmungen, Multiple-Sklerose und andere neurologischen Erkrankungen.

Reittherapie werde nie isoliert angewandt, sondern immer komplementär zu anderen Behandlungen, betont Valldeperas. Auf der Basis eines ärztliches Attests sowie nach ersten Besuchen und Annäherungen zwischen Patient und Pferd erarbeite ein Team aus Physiotherapeutin, Psychopädagogin und Psychologin ein Programm. Eine 45-minütige Sitzung einmal pro Woche über mehrere Wochen und Monate sei die Norm.

Auf der körperlichen Ebene verbessere Reittherapie Körperwahrnehmung, Gleichgewichtssinn und Muskeltonus. Bei Rollstuhlfahrern mache die Hüfte durch die Schwingimpulse des Pferdes die gleiche Bewegung, als würden sie laufen. "Und alle Verbesserungen auf der körperlichen Ebene wirken auf die Psyche", erklärt die Psychologin Sara Colóm. Erhöhter Gleichgewichtssinn etwa mache insgesamt stabiler, verbesserter Muskeltonus stärke den ganzen Menschen.

Keine Behandlung gleiche der anderen, sagt Valldespera. Bei Patienten mit sozialen Entwicklungsstörungen etwa spiele die Vorbereitung eine wichtige Rolle. Pferd und Sattel putzen, immer mit denselben Mitteln und in dergleichen Reihenfolge, die Putzinstrumente an ihren Ort zurücklegen, das Pferd satteln, diese Routine vermittle Sicherheit und Verantwortungsgefühl, trainiere Gedächtnis und Konzentration.

Auf dem Pferd machten Patienten mit Sprachstörungen zum Beispiel Übungen wie beim Logopäden. "Aber es ist viel interessanter, auf einem Pferd sitzend 'Pferd' oder 'Mähne' zu sagen als in einem Raum 'Kugelschreiber'", meint Valldeperas. Das Gleiche gelte für Übungen zur Orientierung, Geschicklichkeit und Aufmerksamkeit. Bei Kindern erleichtere der Freizeit-Aspekt die Therapie: "Sie kommen zum Reiten, das verbinden sie mit Hobby im Gegensatz etwa zum Besuch beim Physiotherapeuten."

Und Pferde hätten eine besondere Eigenschaft: "Sie sind emotional mit uns verbunden, sehr auf uns fokussiert." Die Patienten spürten, dass die Art, wie sie mit dem Pferd umgehen, Einfluss auf das Tier habe. Das stärke ihr Selbstbewusstsein. Nur elf der 40 Pferde auf dem Hof werden zur Therapie genutzt. "Nicht jedes alte, ruhige Pferd eignet sich zur Therapie, wie viele meinen", entrüstet sich Valldeperas. Die Pferde müssten jung und emotional stabil genug sein, um den Stress auszuhalten. Sie litten schon allein, weil Patienten oft schief säßen. Therapie-Pferde würden lange ausgebildet, vor und nach der Arbeit massiert und machten nie zwei Sitzungen hintereinander.

Die körperliche Verfassung des Patienten bestimme die Wahl von Pferd und Untergrund. Spastisch Gelähmte mit sehr verkrampften Muskeln bräuchten zur Entspannung einen weichen Untergrund und ein Pferd mit besonders sanftem Gang, sagt Valldespera. Rosa Maria dagegen reite zur Aktivierung ihrer Muskeln auf härterem Boden. "Früher trug sie ein Korsett, weil ihre Muskeln so schwach waren, damals ritt sie zusammen mit der Therapeutin. Heute sitzt sie allein auf dem Pferd", sagt Rosa Marias Mutter.

Die Reittherapie motiviere ihre Tochter auch sehr, an sich zu arbeiten. Schon jetzt übe sie zu Hause für die Reit-Show im nächsten Sommer, trainiere Gleichgewicht und Koordination. 180 bis  200 Euro kostet eine Therapie mit einer Sitzung pro Woche monatlich. Krankenkassen übernehmen die Kosten in der Regel nicht.

 

INFO

THERAPEUTISCHES REITEN

Centre Eqüestre S‘Hort Vell
Ctra. Santa Maria-Sencelles km 8,4 Biniali-Sencelles, Biniali
Tel. 9718-70543 / 627-308286
www.shortvell.es


Marianne Schulz
(nach Vereinbarung), Tel. 606-616076


Son Molina Centre d’Equitació
Ctra. de Sóller km 12,2, Bunyola
Tel. 609-098317,
www.sonmolina.es


Son Menut Club d‘Equitació
Camí de Son Negre, 3ª Volta, 3040
Felanitx, Tel. 971-582920
www.sonmenut.com

 

(aus MM 1/2014)