Wie Motten vom Licht werden die alten
Männer von der Sonne angezogen. Sie haben ihre Sessel mit den
abgewetzten und aufgesprungenen braunen Kunststoffbezügen, zwischen
denen der Schaumgummi hervorblitzt, in den gleißenden Lichtfleck
gezogen, den die Strahlen im vorderen Teil des dunklen Raumes am
Fenster bilden. Genüsslich halten sie das Gesicht in die Wärme,
lassen sich davon die spärlichen Bartstoppeln kitzeln oder in die
aufgeschlagene Zeitung auf den Knien leuchten.
Der Stuhlkreis der Männer gehöre zu jedem guten Morgen in
Calvià, erklärt Rosa. Dass sie dabei mehr diskutieren als
konsumieren, sei ihr einerlei – „es ist immer eine nette Runde“.
Rosa und Miguel Rosselló sind die Wirtsleute im „Can Garrit“, der
ältesten Bar im Dorf. 106 Jahre hat das Haus mit der auffallend
spitzen Ecke schon auf dem Buckel. 23 davon steht das Ehepaar hier
als Pächter hinterm Tresen.
Davor wurde sie von Francisco Bauzà Cabrer geführt, dem Besitzer
des „Can Garrit“, davor von seinen Eltern: „Ich bin sogar in der
Bar geboren worden“, sagt der 88-jährige Francisco und lacht
schelmisch. In seinem Alter steht ihm aber nicht mehr so der Sinn
nach dem Barbetrieb – viel lieber genießt er es, von einem Stuhl
aus das Treiben im Lädchen seiner Tochter zuzusehen, die drei
Häuser weiter vom „Can Garrit“ einen Geschenkeshop betreibt.
„In Calvià sind die Leute eh keine eingefleischten Bargänger
mehr“, sagt er und winkt ab, „heutzutage sparen sich viele das Geld
und verkriechen sich zu Hause. Früher war das noch eine Sache“,
erinnert er sich, „da mussten die meisten ja schon um 4 Uhr
aufstehen, um zur Arbeit oder aufs Feld zu gehen, meistens trank
man einen Kaffee vor dem Schlafengehen und einen gleich danach.
Meine Eltern hatten oft so viel zu tun, dass es sich für sie nicht
lohnte, ins Bett zu gehen – sie streckten dann nur kurz mal ihre
Glieder auf dem Billardtisch aus.“
Von solchen Zeiten können Gastronomen in Calvià nur noch
träumen. Acht Bars buhlen um die Gunst von knapp 2000 Einwohnern.
Denn nur so viele Seelen zählt das beschauliche Örtchen in der
gleichnamigen Gemarkung, die wiederum zu einer der größten der
Insel und zu einer der reichsten Spaniens gehört. Im Dorf selbst
aber hat die Krise stark gewütet. „Viele hier haben ursprünglich in
der Hotellerie und im Baugewerbe gearbeitet“, sagt der 73-jährige
Antonio, einer der Wortführer im „Corillo“, dem Stuhlkreis der
Rentner, „aber jetzt sieht es da natürlich ganz mau aus.“
Calvià und der Tourismus – zwei Dinge, die unweigerlich
miteinander verbunden sind. Und um die sich so einige Gespräche der
Herren drehen, wenn sie nicht gerade die neu asphaltierte Straße
oder die kunstvollen neuen Straßenschilder und Straßenlaternen
diskutieren oder über Fußballergebnisse philosophieren. „Es Racó
des Dois“ (Blödsinn-Ecke) lautet die Aufschrift eines ausgedruckten
Zettels an der Säule neben der Herrenrunde. Dabei täte so mancher
Lokalpolitiker womöglich gut daran, der ein oder anderen
Herrenrunde eine Stippvisite abzustatten: Denn es kommt nicht
selten vor, dass hier bei einem Milchkaffee oder einem Carajillo
neue Hotelkonzepte für die Region geschmiedet werden. „Fast alle
von uns haben in Hotels gearbeitet“, sagt Antonio und zeigt in die
Runde – auch die 46-jährige Rosa und der 55-jährige Miguel waren
einst in einer der Bettenburgen Palmanovas tätig, bevor sie ins
„Can Garrit“ wechselten. „Wir fragen uns hier manchmal“, sagt der
66-jährige Toni, „ob die 48 Kilometer Küste der Gemeinde damals,
als der Boom anfing, nicht anstatt bebaut in Wahrheit vielleicht
nur verbaut wurde.“ Ernst blickt aus den Augen des Grauhaarigen.
Über 34.000 Hotelbetten gibt es in Calvià.
Allerdings sind viele Häuser in Palmanova, Magaluf und Santa
Ponça mittlerweile genau so renovierungsbedürftig wie Hotels der
Playa de Palma. „Es ist in Ordnung, wenn die Hotelketten
international investieren. Aber uns ganz vergessen – so kann es
auch nicht gehen!“, sagt Toni bestimmt und zieht energisch die
Bündchen an seinem roten Blouson zurecht. Vor allem darum nicht,
weil der Aufschwung der Zone nicht nur Geld ins Säckel des
monstruösen Rathauses anspülte, sondern auch einen wilden Mix der
Kulturen.
„111 Nationalitäten haben wir in Calvià“, erzählt Toni, nicht
unaufgebracht, „ein Melting-Pot, wie die Engländer sagen würden.“
Von denen gibt es etwa 5000, Deutsche leben 4000 in der Gemeinde.
„Und Kulturen sind invasiv. Wir haben Angst, dass wir eines Tages
noch ganz unsere kleine Dorfkultur verlieren werden!“ Antonio
pflichtet ihm bei: „Unser Corillo ist eigentlich ein Kampf. Wir
kämpfen für unsere eigene Kultur!“ ruft er laut und Miguel kann
sich hinter dem Tresen ein Lachen nicht verkneifen über solche
Entschlossenheit.
Bei diesen Diskussionen halten er und seine Frau sich lieber
raus. „Ein Wirt muss neutral sein“, meint er knapp – erst recht in
einer Gemeinde, die von einem so stark polarisierenden Politiker
regiert wird, wie Carlos Delgado. Nur bei einer Sache hält Miguel
ganz klar die Flagge hoch: bei Autos. Deswegen ist das einzige
große Bild an der Wand – von einem Dekoteller mit Porzellanhummer
einmal abgesehen, die Abbildung eines alten Minis. Zusammengesetzt
aus vier Einzelfotos, „das hat uns ein Stammgast mal geschenkt“,
erzählt Rosa stolz. Wie eine scharfe Grenze verläuft links neben
der Aufnahme ein weißer Rand auf der vom vielen Rauch der letzten
Jahre vergilbten Wand. Vor ein paar Tagen haben die Wirtsleute
angefangen zu streichen, „nach dem neuen Gesetz lohnt es sich ja
endlich!“, sagt Rosa lachend.
Im Moment aber hat die Bar noch viel von ihrem ursprünglichen
Charme: eine Zisterne in der Ecke, alte Stromabzähler, kleine
Marmortische, eine antike Vitrine mit sämtlichen Pokalen der Jäger,
die hier regelmäßig ihre Vereinstreffen abhalten. Besondere
Schmuckstücke sind die Fliesen, deren Ornamentreigen sich in einem
dunklen Ocker über den Fußboden zieht. Aber auch das bunte
Fensterglas in der Tür zum Patio. Oder der eingeschliffene
Schriftzug im Kristall über der Eingangstür.
„Café las Delicias“ steht dort in geschwungenen Lettern – der
einstige Name der Bar. Den Einwohnern hier ist er alles andere als
geläufig, „Can Garrit“ dagegen ist jedem ein Begriff. „Garrit“ war
einst der Spitzname von Franciscos Patenonkel aus Puigpunyent, der
die Bar vor ihm einige Jahre führte. Wohl ein sehr schöner Mann:
Als „Garrit“ wird auf Mallorquín ein besonders gut aussehender Herr
bezeichnet. „Hübsch sind wir doch hier alle!“, flachst Antonio.
„Das stimmt genauso, wie wir hier auch wenig Alkohol trinken! Das
Bier schmeckt uns nämlich lang nicht so gut wie den Deutschen – und
der Hierbas, den wir trinken, das ist ja kein Alkohol, das ist
Medizin!“
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