Als sich Spaniens Staatsoberhaupt König
Juan Carlos im Mai einer Lungenoperation unterziehen musste, gab es
keinen Zweifel daran, wo der Eingriff erledigt werden sollte: Er
ließ sich in einem staatlichen Krankenhaus in Barcelona operieren.
Als er nach wenigen Tagen entlassen wurde, war er zwar
offensichtlich noch etwas wacklig auf den Beinen, sagte aber einen
bemerkenswerten Satz: „Wir können stolz sein auf unser
Gesundheitswesen.”
Was für den König gut genug ist, dürfte auch für die
Normalbürger ausreichen, sollte man meinen. Die Vorbehalte –
insbesondere unter Ausländern – sind aber groß. „Man spürt schon
eine gewisse Skepsis”, sagt Dr. Werner Brill, der als Chefarzt für
Unfallchirurgie, Orthopädie, Rheumatologie und Krankengymnastik oft
auch ausländische Residenten und Urlauber behandelt. Viele zögen es
im Ernstfall vor, entweder zum deutschsprachigen Privatarzt zu
gehen oder gleich zur Behandlung nach Deutschland zu reisen.
„Manche Deutschen sehen Spanien noch immer als
Dritte-Welt-Land”, vermutet Brill, der einst als Sohn deutscher
Eltern in Valencia zur Welt kam und Spanier ist, allerdings mehr
als zehn Jahre in Homburg und Neuss an großen Krankenhäusern
arbeitete. „Wer meint, er bekomme in Deutschland eine bessere
ärztliche Behandlung, täuscht sich. Die spanische Medizin ist
mindestens so gut.” In Sachen Ausbildung und Ausstattung sei man
hierzulande auf dem allerneuesten Stand.
Auch die Deutsche Botschaft in Madrid ermuntert Urlauber und
Residenten, das hiesige staatliche Gesundheitswesen zu nutzen. Die
„fachliche Qualität der ärztlichen Behandlung” genieße einen
„hervorragenden Ruf”.
Die im EU-Vergleich überdurchschnittliche Lebenserwartung
bestätige diese Einschätzung. „Trotzdem gehen nur wenige Deutsche
zum spanischen Arzt”, heißt es in einem von der Sozialabteilung der
Botschaft herausgegebenen Merkblatt. Denn: „Ein Heer von nicht
selten überteuerten deutschen Privat-ärzten steht für sie
bereit.”
Einer der zweifellos größten Vorteile des staatlichen
Gesundheitswesens in Spanien ist, dass es für die Bürger kostenlos
ist. Jeder hat in Spanien ein Recht auf ärztliche
Gratis-Behandlung. Es gibt keine gesetzlichen Krankenkassen, es
gibt keine Kassenbeiträge und keine Praxisgebühr. Lediglich für
Medikamente müssen Patienten bezahlen. Die kostenlose
Gesundheitsversorgung ist tief in den Köpfen der Menschen
verankert. Deshalb sind bisherige Versuche, eine Art Praxisgebühr
einzuführen, auch allesamt gescheitert.
Die Gratisbehandlung für alle hat jedoch gravierende Folgen. „Wo
es Bonbons gratis gibt, ist die Tüte schnell leer”, sagt Brill.
Soll heißen: In keinem anderen EU-Land gehen die Leute häufiger zum
Arzt als in Spanien. Die Folge: Lange Wartelisten. Selbst einen
Termin beim Hausarzt gibt es selten kurzfristig. Bei
komplizierteren Untersuchungen oder Operationen kann es gut und
gerne Wochen und Monate dauern, bis man an der Reihe ist.
Deshalb haben verschiedene spanische Regionalregierungen nun
Gesetze verabschiedet, die eine maximale Wartezeit festlegen. Wird
diese überschritten, dürfen die Patienten die Behandlung in einer
privaten Klinik durchführen lassen – auf Kosten des staatlichen
Gesundheitswesens und damit der Steuerzahler. „Das System ist viel
zu teuer”, sagt Brill.
Die Patientenvereinigung „El Defensor del Paciente” kritisiert
denn auch die chronische Unterfinanzierung des staatlichen
Gesundheitswesens, vor allem auf den Balearen. Es gebe viel zu
wenig Personal, es fehlten Ärzte besonders nachgefragter
Fachrichtungen. Die Hausärzte seien mit bis zu 50 Patienten am Tag
völlig überlastet.
Bei aller Kritik: Gerade auf Mallorca hat sich in den
vergangenen Jahren viel getan. Gab es vor 13 Jahren nur ein
einziges staatliches Krankenhaus (Son Dureta in Palma), sind
seitdem zusätzlich drei neue entstanden (Inca, Manacor, Son
Llàtzer).
Obendrein soll im Oktober die neue und hochmoderne Großklinik
Son Espases in Palma eröffnen, die das längst veraltete Son Dureta
ablösen wird, das mit seinen bröckelnden Wänden und überfüllten
Zimmern erheblich zum schlechten Ruf spanischer Krankenhäuser unter
deutschen Urlaubern und Residenten beigetragen haben dürfte.
Allerdings vertraut auch eine Mehrheit der Spanier nicht allein
dem staatlichen Gesundheitswesen. Private Zusatzversicherungen sind
weit verbreitet. Selbst der König will auf diese Art der
Sonderbehandlung nicht ganz verzichten. Nachdem er sich nämlich von
dem renommierten Spezialisten des staatlichen Krankenhauses in
Barcelona den gutartigen Tumor hatte entfernen lassen, verbrachte
er seine Genesung nicht etwa in einem Mehrbettzimmer der Klinik,
sondern ließ sich in einen für Privatpatienten reservierten Trakt
des Krankenhauses verlegen.
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