Das Königspaar mit seinen Enkeln.

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In der jüngsten Zeit ist oft die Rede von Integration, was eigentlich sehr positiv sein sollte. Gleichzeitig hat man aber den Eindruck, dass eigentlich keiner genau weiß, wie man es anpacken sollte, damit den Worten Taten folgen. Integration läuft damit Gefahr, zu einem Modewort zu werden, das bald nicht einmal eine Alibifunktion haben wird.

Nun, vielleicht sollte man sich bei gemischten Ehepaaren von Deutschen und Mallorquinern umsehen, um festzustellen, ob, und wenn ja, wie sie die Integration bewerkstelligt haben. (Ihr mallorquinischer Autor ist mit einer Deutschen verheiratet.) Die Weihnachtszeit bietet sich an, um die Probe aufs Exempel zu machen, denn Weihnachten ist eines der wenigen Feste, die praktisch für alle Menschen eine innige Bedeutung haben, und sei es nur, weil damit angenehme Kindheitserinnerungen verbunden sind.

Es ist allerdings auch ein Fest von Traditionen, auf die keiner so ohne weiteres verzichten will. Das Ergebnis mag also auch sein, dass man die Traditionen der beiden Seiten behält. Doch ob diese Summe eine Form von Integration darstellt, und ob sie auf allen anderen Gebieten des Zusammenlebens von Deutschen und Mallorquinern auf der Insel Anwendung finden kann, dürfte wohl fraglich sein. Wie dem auch sei, so könnte eine integrierte deutsch–mallorquinische Weihnachtsfeier aussehen:

Es ist der vierte Adventssonntag, und heuer trifft es sich gut, denn am folgenden Tag ist Heiligabend. Also müssen heute schon die Vorbereitungen für das Festessen am nächsten Tag getroffen werden, während auf einem Tisch die vier Adventskerzen brennen. Drei Wochen zuvor war die erste und dann jeden Sonntag eine weitere Kerze angezündet worden, was für den Hausherr eine Neuigkeit war, denn die Mallorquiner kennen diese Form der geistigen Vorbereitung auf die Weihnacht gar nicht.

Aber inzwischen ist er der erste, der dafür sorgt, dass an jedem Sonntag in der Adventszeit eine neue Kerze brennt. An der Wand hängt der Adventskalender, und fast alle Türchen sind schon offen, denn die Enkelkinder haben sich täglich ihre Ration geholt, ohne zu wissen, dass sie das der deutschen Oma zu verdanken haben.

Aus den Lautsprechern der Stereoanlage erklingen leise deutsche Advents– und Weihnachtslieder und mallorquinische „Cançons de Nadal”, auch „Nadales” genannt, wobei der Hausherr die strikte Anweisung seiner besseren Hälfte hat, die Schallplatte mit „Stille Nacht, heilige Nacht” zu meiden, denn dieses Lied darf um Gottes Willen nicht vor Heiligabend ertönen! Der Hausherr hält das beinah für eine Macke seiner Frau, aber ihr zuliebe achtet er peinlich darauf. Während sie sich in der Küche zu schaffen macht, kümmert er sich darum, den Kamin vorzubereiten, denn für einen Mallorquiner wiederum ist ein Weihnachtsfest ohne knisterndes Feuer im Kamin nun einmal kein richtiges Fest.

Zwar sind es nur noch wenige, die sich im Zeitalter der Zentralheizung, oder der nur mit Butangasöfen beheizten Zimmer, diesen Luxus erlauben können. Aber diejenigen, die diese Möglichkeit haben, dürfen sie nicht auslassen. Es ist sicher ein Überbleibsel aus der Zeit, in der die ganze Familie um die Feuerstelle sitzen konnte, wo ein riesiges Scheit, eigentlich ein Baumstamm, „Tió” genannt, verbrannt wurde. Die Kinder haben es mit dem etwas skatologischen Ausdruck „Tió, caga torró!” aufgefordert, endlich mal den „Torró” zu kacken, den die Hausfrau darunter versteckt hatte. Aber das war immer am Heiligabend, und erst dann durfte die typische Weihnachtsspeise, der „Torró” oder spanisch „Turrón” gegessen werden.

Der „Torró” wurde selbstverständlich im Hause selbst von der Hausfrau hergestellt und nur zu Weihnachten gegessen, aber heute kann man das ganze Jahr hindurch die unterschiedlichsten Varianten von „Torró” kaufen und braucht sich nicht der Mühe zu unterziehen, diesen Leckerbissen aus Mandeln, Pinienkernen, Honig, Eiweiß und anderen Ingredienzen selbst zu backen. Inzwischen kann man auf Mallorca auch Lebkuchen und anderes deutsches Weihnachtsgebäck kaufen, aber die deutsch–mallorquinische Hausfrau lässt es sich nicht nehmen, selbst das Weihnachtsgebäck zu backen, das man ja auch in Deutschland nur zu Hause machen kann. Allerdings muss auch sie zugeben, dass es in Begleitung eines mallorquinischen Malvasia–Weines besser schmeckt als in der alten Heimat.

Selbstverständlich gehört inzwischen der Weihnachtsbaum dazu, aber auch das hat mit deutsch–mallorquinischer Integration nichts zu tun, sondern ist eine importierte Gepflogenheit, die nicht nur in ganz Spanien, sondern in der ganzen Weihnachten feiernden Welt Einzug gehalten hat. Also muss der Hausherr die fremde Sitte hinnehmen und zumindest dabei helfen, den Weihnachtsbaum mit Glaskukeln, Lametta und elektrischen Kerzen zu schmücken.

Vielleicht würde er viel lieber nach altem Brauch einen „Betlem” bauen, bei dem nicht nur die Krippe, sondern eine ganze Landschaft nachgebaut wird, mit Bauernhäusern und Bergen, Flüssen und Teichen, Hirten und Schafen, und mit einem schlägelnden Weg, auf dem in der Ferne die Heiligen Drei Könige zu sehen sind, die sich der Krippe nähern, um dem Christkind die Ehre zu erweisen.

Aber die Tonfiguren sind im Elternhaus verblieben und wahrscheinlich verschollen, und der Weg zum Christkindlmarkt lohnte nur damals, als die Kinder noch klein waren und sich riesig gefreut haben, jedes Jahr eine neue Figur für das „Betlem” zu kaufen. Und so begnügt er sich damit, am Fuße des Weihnachtsbaumes die alte Krippe mit Holzfiguren aus Oberammergau aufzustellen, die seine Frau mit in die Ehe gebracht hat, und die Kerzen der Pyramide aus dem Erzgebirge anzuzünden, die man vor vielen Jahren von Bekannten in der DDR gegen einen Anorak und ein Paar Nylonstrümpfe eingetauscht hatte.

Weihnachten ist natürlich auch auf Mallorca das Familienfest schlechthin, und so ist Heiligabend der Tag, an dem auch die Familienmitglieder, die bereits aus dem Nest ausgeflogen sind, wieder vollzählig erscheinen. Diejenigen, die eine eigene Familie gegründet haben, müssen sich dann mit den beiden Schwiegerfamilien einigen, so dass sie Heiligabend bei der einen und den ersten Weihnachtstag mit der anderen verbringen. Da aber auf Mallorca wie in ganz Spanien sich immer mehr die Sitte durchgesetzt hat, die Bescherung am Heiligabend zu machen (eigentlich die erste Bescherung, denn auf die Geschenke am Tag der Heiligen Drei Könige hat man deshalb nicht verzichtet!), ist es natürlich viel lustiger, die Kinder und Enkelkinder am Heiligabend um sich zu haben.

Gegen Abend werden sie alle aus dem Wohnzimmer hinauskomplimentiert, damit die Geschenke um den Weihnachtsbaum aufgestellt werden können. Und wenn es dann soweit ist, werden sie wieder hereingerufen, und jeder sucht sich seine säuberlich beschrifteten Geschenkpackungen aus.

Der Hausherr steht ein bisschen abseits und schaut sich das Geschehen mit stiller Freude und ein bisschen Wehmut an. Seine Geschenke nimmt er etwas verlegen an, denn zu seiner Zeit wurden nur die Kinder beschenkt. Aber diese Seite der Integration ist ihm durchaus sympathisch. Danach darf endlich „Stille Nacht, heilige Nacht” erklingen, und nicht selten wird es von ihm mitgesungen, bevor man sich zu Tische setzt und der Weihnachtsschmaus beginnt. Dabei hat allerdings der mallorquinische Puter ganz eindeutig die Schlacht gegen die deutsche Gans gewonnen, nicht zuletzt deswegen, weil die Truthahnbrühe einfach unübertroffen ist.

Früher ging man anschließend in die Mitternachtsmesse und lauschte andächtig dem geheimnisvollen Gesang der Sibilla in der Kathedrale von Palma oder anderen Kirchen. Aber heute ist man froh, wenn man nach guter, alter deutscher Sitte um Mitternacht ins Bett gehen kann. Man ist ja schließlich nicht wie das Weihnachstfest, das nicht alt wird.

Erschöpft, aber integriert, legt man sich zur Ruh' und schläft so schnell ein wie damals, als Weihnachten noch Weihnachten war und die Mallorquiner nicht wussten, was Integration bedeutet.