Alljährlich, kurz vor dem Ersten Advent, beginnt das große
Suchen. Wo um alles in der Welt ist der Ständer für den
Adventskranz, wo die Weihnachtsdekoration, der Rauschgoldengel?
Doch irgendwann findet man alles wieder. In meinen Kasten befand
sich, neben verknülltem Lametta, neben Strohsternen und vergoldeten
Walnüssen auch ein Schokoladennikolaus. Er war innen schon
bröckelig, das Stanniolpapier leicht abgeschabt. Es schien, als
habe er im vergangenen Jahr auch nicht gut geschmeckt.
Ich beschloss, das Ding in den Müll zu werfen. Und ich erschrak:
der Nikolaus begann, mit mir zu reden, fing an, zu
protestieren.
Die Schokolade straffte sich, das Stanniolpapier bekam ein wenig
des altes Glanzes zurück, als er mich anfuhr: ,,Du bis wohl
wahnsinnig geworden! Ein Jahr lang habe ich darauf gewartet, wieder
einmal Luft schnappen, endlich meinen gesellschaftlichen Auftrag
als Nikolaus nachzukommen. Und du...!” Er fuhr fort: ,,Du musst
nicht denken, dass ich nach dem einen Jahr schon alt und grau
geworden bin. Schließlich gehören Leute wie ich zu den
Glanzlichtern eines Festes; wir sind die Elite unserer
Branche.”
Ich hörte genau zu, als er mir mit bebender Stimme bittersüße
Geheimnisse ins Ohr flüsterte: ,,Wir, das heißt, meine Familie und
ich, sind überwiegend von der figürlichen Gattung, wir sind seit
jeher Nikoläuse, Weihnachtsmänner oder Osterhasen. Nur einmal, da
gab es in der Familie einen Makel. Eine Tante zweiten Grades erlag
einem irrtümlichen Umschmelzungsprozess und wurde zur Tafel
Schokolade. Ich spreche nicht gerne darüber. Natürlich rechnen wir
damit, aufgegessen zu werden. Aber wenn, dann wenigstens nicht als
Nahrungsmittel, sondern mit der gebührenden Ehrfurcht vor unserer
Schönheit und Gestalt. Wenn schon, dann am liebsten in einem Zug.
So mit angeknabberter Mütze und zerfleddertem Schuhwerk
dazustehen... Was macht das für einen Eindruck!” Ich wurde
nachdenklich, als der Nikolaus schon einwarf: ,,Denke nicht, wir
sind ersetzbar. Auch wir haben Persönlichkeit.”
Ich hatte Verständnis für seine Nöte. Mindestens bis zum
Heiligabend steht er zwischen den Rauschgoldengeln, um ihm das
richtige Umfeld zu geben. Dann esse ich ihn. In einem Zug. Ob er
mir schmeckt oder nicht. Sollte er dann später in meinem Bauch
rumoren, nehme ich es als gerechte Strafe für mangelndes
Nikolausverständnis.
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