Die Teilnehmer der Prozessionen nennen sich „Nazarenos” oder „Penitentes”, also Nazarener oder Büßer. Mit ihren Roben, den spitzen Kapuzen und deren Stoffverlängerung mit Augenschlitzen, hinter denen sie ihr Gesicht verbergen, wirken sie, als nähmen sie an einem Aufmarsch des Ku-Klux-Klan teil. Tun sie aber nicht. Die Prozessionen sind bis heute ein tief empfundener Akt ihres Glaubens, mit dem sie an den Leiden Christi teilnehmen und tatsächlich auch Buße tun.
Manche Nazarenos vollziehen die teils stundenlange Prozession auch barfuß oder befestigen gar schwere, lange Eisenketten an den Fußgelenken und ziehen sie hinter sich her. Die meisten Bruderschaften schieben zudem einen oder mehrere sogenannte Pasos über das Pflaster, geschmückte Wagen mit Marienfiguren oder Darstellungen aus der Leidensgeschichte Christi. Manche Büßer tragen die Pasos, die teilweise weit mehr als eine Tonne wiegen, auf ihren Schultern.
Angesichts des spektakulären Charakters der Prozessionen war das Bistum Mallorca schon bei der Ankündigung der diesjährigen Karwoche auf den Hinweis bedacht, dass es sich um keine folkloristische Show, sondern um einen religiösen Brauch handle. Entsprechend respektvoll sollten sich die Zaungäste verhalten, seien sie nun fromm oder einfach nur neugierig.
Die Zeit der Umzüge in Palma hat bereits zwei Tage vor dem Palmsonntag, am Schmerzensfreitag, begonnen. Man könnte diese Prozession in der Inselhauptstadt auch als Prolog zur Karwoche bezeichnen: Bei der sogenannten Processó dels Estendards trugen wieder Vertreter der 33 Bruderschaften ihre Standarten durch die Straßen der Altstadt. Diese werden allein in Palma zahlreiche weitere Prozessionen folgen.
Der bedeutendste und älteste Büßerumzug der Stadt und auch der Insel ist die Processó del Sant Crist de la Sang am Gründonnerstag. An ihm nehmen die rund 4000 Mitglieder der 33 Bruderschaften Palmas teil – vorausgesetzt, es regnet und stürmt nicht, weshalb bei entsprechend trister Wettervorhersage ebenso viele Stoßgebete zum Himmel geschickt werden.
Der mannshohen Crist de la Sang bildet das Schlusslicht des Umzugs. Die Figur war bereits 1564 bei einer Prozession zu sehen. Wie sehr sie auf der Insel verehrt wird, zeigt sich bereits, wenn sie am Tag vor dem Umzug in der Església de l’Anunciació an der Plaça Hospital samt Kreuz abgenommen und im Kirchenschiff ausgestellt wird. Scharen von Gläubigen kommen dann, um in aller Stille die Heiligenfigur zu berühren, sie anzubeten und hier und da in Tränen der Ergriffenheit auszubrechen.
Ursprünglich wurde die Prozession des Crist de la Sang von der gleichnamigen Bruderschaft veranstaltet, um Almosen für das Hospital General zu sammeln. Bald schon gesellten sich verschiedene Zünfte und Bruderschaften dazu. Der Historiker Gaspar Valero schreibt über diese Zeit: „Die Prozession hatte einen starken Bußcharakter und wurde daher auch als Prozession der Geißler bezeichnet, da bei dieser Glaubensäußerung die Buße öffentlich mit Peitschenhieben vollzogen und inszeniert wurde.”
Die Peitschen sind längst aus der Öffentlichkeit verschwunden, die Prozession wuchs dagegen zum größten Büßerumzug Mallorcas. Ehe der Crist de la Sang die Kirche verlässt, defiliert stundenlang ein schier endloser Strom an Nazarenos an der Figur vorbei. Im Stop-and-go führt die Route dann durch die Straßen Oms und Sant Miquel über die Plaça Major zur Plaça Cort und von dort bis zur Kathedrale. Nach einem Gebet, das dem Crist de la Sang gewidmet ist, führt der Umzug zurück zum Ursprungsort. Am Rückweg nehmen nur noch die Bruderschaften des Crist de la Sang und der Schmerzensreichen Jungfrau teil, begleitet von Vertretern der anderen Bruderschaften.
Ein Zuschauermagnet ist auch am Karfreitag die Grablegungsprozession in Pollença. Dort wird die Christusfigur nach der Kreuzabnahme gegen 21 Uhr in aller Stille die 365 Stufen des Kalvarienbergs zur Pfarrkirche Mare de Déu dels Àngels herabgetragen. Beliebt sind auch die Passionsspiele gegen 21.30 Uhr in der Wallfahrtsstätte Sant Salvador in Artà und vor der Kirche von Felanitx, ein Spektakel mit Licht- und Klangeffekten. In Palma verwandelt die Theatergruppe Taula Redona bereits zur Mittagszeit die Freitreppe vor der Kathedrale in eine Via Crucis.
Mit dem Karfreitag gehen die Osterprozessionen zu Ende. Ausnahme: die „Processó de l’encontre“ am Ostersonntag. Damit ist die Begegnung Marias mit dem auferstandenen Jesus gemeint. Um 10.15 Uhr ist sie in der Kathedrale zu sehen. Sämtliche Messen, Prozessionen (processó) und Kreuzabnahmen (davallament) der Insel sind im Programm der „Setmana Santa” aufgeführt, das sich von der Website des Bistums Mallorca herunterladen lässt. Ein PDF mit den Osterprozessionen und ihren Routen in Palma stehen auf der Facebookseite der Vereinigung der Bruderschaften Palmas zum Download bereit.
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