Charakter-(Strubbel-)kopf mit charismatischem Lächeln. So kennt man Martin Semmelrogge aus vielen seiner Filme. | Miquel A. Cañellas

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Der deutsche Schauspieler und Autor Martin Semmelrogge hat im MM-Interview verraten, was er an Mallorca liebt, warum er einen unbändigen Freiheitsdrang hat und welche Lektüre er auf der Toilette liest.

Mallorca Magazin: Für einen Rentner machen Sie aber noch eine ganze Menge.

Semmelrogge: Ich fühle mich auch noch gut. So lange ich noch meine Energie habe und die Leute mich ertragen … (lacht). Die Lesung wird auf jeden Fall eine sehr schöne Sache, klein, aber fein. Ich finde es natürlich toll, dass Peter Keglevic da schon aus seinem Roman „Ich war Hitlers Trauzeuge” gelesen hat. Ein tolles Buch! Das wäre eigentlich auch ein toller Film, aber das wäre ein 100-Millionen-Projekt. So etwas geht nicht in Deutschland.

MM: In Can Gats in Llucmajor lesen Sie am Sonntag, 1. September, aus Ihren Biografien „Ein wilder Ritt durch 50 Jahre Paragraphistan” und „Der wilde Ritt geht weiter: wer bremst, verliert”. Wie läuft so eine Lesung ab?

Semmelrogge: Das sind Geschichten, die gespickt sind mit Ereignissen, die Jahr für Jahr passiert sind. Dazu spielt Phil Wolff rockige Songs. Er ist ja der Mick Jagger von der Insel.

MM: Wenn man autobiografische Bücher schreibt, veröffentlicht man private Dinge. Ist das auch ein Korrektiv zu den Berichten über Sie in der Regenbogenpresse?

Semmelrogge: Ja, in den 80er Jahren schrieben die halt andauernd irgendeinen Scheiß, Getratsche mit einem Fünkchen Wahrheit. Das hatte ich natürlich selber verursacht. Ich musste manchmal in meinem Leben kapitulieren, um wieder richtig aufzustehen oder um dem Unglück auszuweichen und dann aber neue Kraft zu sammeln. Dann habe ich gesagt: Jetzt schreibe ich mal die Wahrheit. Aber das ist kein Erguss über mich. Der Verlag Langen Müller wollte ein Geschichtsbuch mit Storys machen, die beschreiben, was jedes Jahr war. Und so erzähle ich halt, wie ich das Geschehen erlebt habe. Du kannst dann sagen: Ich gehe jetzt mal auf Toilette und lese, was 1988 war. Die Geschichten sind immer etwa vier Seiten lang. Und natürlich gibt es manchmal auch persönliche Sachen.

MM: Lesen Sie auf der Toilette?

Semmelrogge: Natürlich. Da habe ich den „Spiegel”, den „Stern”, da habe ich „Auto Motor und Sport” und „Auto Bild” – und die Ruhe.

MM: Können Sie spontan Ereignisse aus Ihren Büchern nennen, die Ihnen besonders präsent geblieben sind?

Semmelrogge: Ich habe immer noch vor mir, wie ich mit meinem Kumpel Uli im BMW 1800er TI meines Vaters über die Münchner Stadtautobahn gefahren bin. Ich war 14, er war 13. Und wie ein VW Käfer neben mir wie wild Zeichen gab, dass ich da eigentlich nicht hingehöre. Und die hatten eine Uniform an. Mein Kumpel sagte: Martin, die Bullen! Und ich sagte: Nein, nein, das sind nur die Stadtwerke, ich kenne die Uniform. Natürlich hatte auch ich Muffensausen bekommen. Oder wie ich das erste Mal in Amerika war und mir gleich am ersten Tag ein Motorrad kaufte, als meine Freundin noch schlief. Im Motorradladen traf ich einen riesigen Indianer mit Zopf. Es war das erste Mal, dass ich einen Indianer sah, einen echten Indianer! Auf einmal fragte er mich: Bist du ein Deutscher? Er hatte einen Pfälzer Dialekt, und sein Name war Horst. Mit dem bin ich heute noch befreundet (lacht).

MM: Bei beiden Büchern hatten Sie Co-Autoren, beim ersten Buch Ihre 2018 verstorbene Frau Sonja, beim zweiten den Schriftsteller Andreas Reinhardt.

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Semmelrogge: Ich kann auch schreiben, aber dann brauche ich Ruhe, und ich muss ja immer rumlaufen. Ich erzählte und recherchierte das, und die Sonja konnte super aufschreiben. Sie hatte einen Mutterwitz und einen tollen Humor. Und mir sind Sarkasmus, Selbstironie und schwarzer Humor wichtig. Es geht ja nicht um mich, sondern darum, dass die Storys gut sind – wie ein Auto, das schön ist, aber noch ein bisschen getunt wird. Andreas Reinhardt ist auch ein super Autor, aber da habe ich viel mehr selber gemacht.

MM: Der Titel der ersten Biografie ist „Ein wilder Ritt durch 50 Jahre Paragraphistan”. Das klingt nach einem Land voller Vorschriften, in dem es sich vorzüglich anecken lässt. Haben Sie nach 24 Jahren Mallorca eine Distanz zu „Paragraphistan” bekommen?

Semmelrogge: Mich hat es schon früh in die Welt gezogen. Ich war in London, Italien, Österreich und vor allem lange in Amerika. Ich hatte aber immer ein Bein in Deutschland gehabt, wegen der Arbeit und der Familie. Heute bin und fühle ich mich auf Mallorca zu Hause, im Endeffekt gibt es hier viel mehr Laisser-faire. Ich bin zwar auch hin und wieder gerne in Deutschland, aber ich hatte dort eben immer wieder Probleme mit meinem Führerschein. Ich hatte einfach einen unbändigen Freiheitsdrang und war halt auch unvernünftig. Wäre ja langweilig sonst. Aufstehen, schlafen, aufstehen, schlafen – was für ein eintöniges Leben!

MM: Woher kommt Ihr starker Freiheitsdrang?

Semmelrogge: Früher habe ich Henry Miller, Charles Bukowski und Jack Kerouac gelesen. Das waren alles Aufsässige, die liebe ich immer noch. Kinski fand ich auch gut. James Dean war mein Lieblingsschauspieler. Dustin Hoffman. Die Rolling Stones. Den Metal liebe ich heute noch. Ich wollte halt immer schon anders sein. Warum, weiß ich nicht. Vielleicht auch wegen meines Vaters (der Schauspieler Willy Semmelrogge, Anm. d.Red.), der war auch nicht Mainstream. Er hat immer gesagt: „Musst halt aufpassen.” Ich bin auch nicht unvorsichtig. Aber ich liebe es heute noch, mit dem Hund an den Strand zu gehen, auch wenn es verboten ist. In der Pandemie bin ich auch während des Lockdowns an den Strand gegangen, da bin ich hinten durch die Dünen geschlichen.

MM: Sie schreiben: „Auf der Suche nach dem Glück ziehe ich das Unglück magisch an.” Ihre Karriere als Schauspieler hat daran ganz offensichtlich keinen Schaden genommen.

Semmelrogge: Sagen wir mal so, rückblickend würde ich natürlich manches anders machen. Jetzt höre ich auch mehr auf meine Intuition. Aber wenn du jung bist, dann denkst du: Warum soll ich das denn jetzt nicht machen? Dann hockst du oft auf einmal in der Scheiße. Und da musst du halt wieder rauskommen. Man wusste es ja nicht anders. Oder man war noch nicht so frei. Heute bin ich ja unglaublich unabhängig.

MM: Also doch kein Unglücksrabe?

Semmelrogge: Im Endeffekt habe ich immer irres Glück gehabt. Ich hatte schon das Glück, dass ich ein Talent in die Wiege gelegt bekam. Ich hatte das Glück, dass ich tolle Eltern hatte. Klar, da wurde nicht immer alles ausgesprochen, was man hätte aussprechen sollen. Aber irgendwann habe ich auch gelernt, da habe ich mir Hilfe gesucht, dass man die Probleme direkt anpackt. Das hat mir viel geholfen. Wichtig ist auch die eigene Sippe. Ich bekenne mich dazu, wenn irgendetwas passiert, dass ich für meine Sippe geradestehe. Ich bin ja verantwortlich für alles, was passiert, egal, welche Berater ich habe. Im Endeffekt muss ich das letzte Wort haben. Und es hat mir immer den Arsch gerettet, dass ich dann Verantwortung übernommen habe.

MM: Knast und Insolvenz – und trotzdem immer wieder aufstehen und weitermachen: Ihre Biografie trägt amerikanische Züge.

Semmelrogge: Ich bin ja eigentlich auch ein Ami. Mein Opa, der Vater von meinem Vater, ist von Berlin nach Amerika ausgewandert. Er hat meine Zweitfamilie ausgemacht. Der war Bigamist, aber die andere Familie wusste davon. Der Sohn von seiner anderen Frau ist auch ausgewandert, nach Fort Lauderdale in Florida. Und der Urgroßvater mütterlicherseits ist nach San Francisco gegangen. Seit den 80er Jahren, bevor ich nach Mallorca kam, war ich viel in Amerika. Das ist immer noch meine Heimat und mein Traumland. Und Mallorca ist mein Zuhause – eine Art Kleinkalifornien.

Die Fragen stellte Martin Breuninger.