Tonya Savchenko wollte eigentlich nur Urlaub auf Mallorca machen, doch nun lebt sie seit mehr als anderthalb Jahren auf Mallorca. | Thor Schoof Lifemoments Photography
Melike YasarogluPalma, Mallorca12.11.23 10:01Aktualisiert um 13:49 Uhr
Es sollte eine kleine Auszeit werden, einmal durchatmen am Mittelmeer zusammen mit ihrem kleinen Sohn. Die Ukrainerin Antonina Savchenko ist im Februar 2022 im Urlaub auf Mallorca. Doch während ihr neun Monate alter Timur Sandburgen am Strand baut, marschieren die russischen Truppen in ihre Heimat ein. Von einem Moment auf den anderen ändert sich ihr ganzes Leben. Tonya, wie Familie und Freunde sie nennen, weiß: Sie kann nicht zurück nach Kiew. Alle Flüge sind gestrichen. Die beiden sitzen auf Mallorca fest.
Das ist jetzt mehr als anderthalb Jahren her. Mittlerweile ist Timur zweieinhalb und die junge Mutter Inselresidentin. Zusammen mit einer Freundin betreibt sie das Café Groc in Palma, direkt am Freilichtmuseum Pueblo Español. Sie hat sich alleine durchgekämpft und tut es noch immer, jeden Tag. Wenn sie davon erzählt, gerät sie immer wieder ins Stocken. Man hört den Kloß in ihrem Hals förmlich heraus. Ihr Blick weicht aus, um ihre geröteten, mit Tränen gefüllten Augen zu verbergen.
Damals sei das Hotel, in dem sie sich für den Kurzurlaub auf Mallorca eingebucht hatte, voll gewesen und sie musste ausziehen. Doch wohin? Nur mit ihrem Rucksack auf dem Rücken und dem Sohn auf dem Arm wusste sie nicht, wo sie die nächsten Nächte verbringen würde. Über eine Facebook-Gruppe, in der sich Ukrainer, die in Spanien leben, austauschen, fand sie Hilfe. Eine ihr unbekannte Frau rief sie an und vermittelte ihr eine Unterkunft. „Zwei Nächte kamen wir bei einem Rumänen in Alcúdia unter”, erinnert sie sich. Danach wurde auf Mallorca offizielle Hilfe für gestrandete Ukrainer organisiert. Die Mutter zog in ein Hotel nach Palma und harrte dort zusammen mit 50 Landsleuten aus. Doch es sollten nur einige Wochen sein, wie sich zeigte.
Denn unweit des Hotels suchte Tonya alle paar Tage einen Waschsalon auf. Dort lernte sie die Italienerin Chiara Bossi kennen. Ihr gehörte der Laden. Sie war hilfsbereit, hatte ebenfalls einen kleinen Sohn und sagte: „Komm, zieh bei mir ein.” Wieder werden ihre Augen feucht, während sie davon erzählt. Einige Monate lebten sie zusammen, während Tonya sich nach einer kleinen Wohnung in Palma umsah, um endlich auf eigenen Füßen zu stehen.
„Es war sehr schwer, überhaupt eine Wohnung besichtigen zu können. Wer vermietet schon an eine alleinerziehende Mutter, die aus der Ukraine stammt?“, sagt die 33-Jährige, die allerdings durchaus Verständnis für die Vermieter hat. Parallel suchte sie auch nach Arbeit, um für sich und ihren Sohn sorgen zu können. Währenddessen hatte ihre Freundin und Mitbewohnerin Chiara eine Idee. Das Café am Freilichtmuseum Pueblo Español war zu verpachten. „Sie ist eine Macherin“, schwärmt die Ukrainerin für ihre Freundin, „und ich dachte mir: ‚Warum eigentlich nicht?’“ Tonya lieh sich das Startkapital von ihren Verwandten und zusammen mit Chiara renovierten sie das Lokal. Ihr kleiner Sohn ging währenddessen zur Kita. Auch eine geeignete Wohnung fand sie nach sieben Monaten Suche im Viertel El Terreno.
Seit acht Monaten bewirten die beiden Frauen im Café Groc zusammen mit einer Angestellten nicht nur Urlauber, sondern auch viele Einheimische. „Es gibt guten Kaffee und gute Croissants“, sagt Tonya stolz, „und natürlich ist unser Laden sehr kinder- und familienfreundlich.“ Es gibt eine große Spielecke, Bücher und Spielzeug, bequeme Sessel zum Stillen.
Im Sommer schafft sie es endlich – nach anderthalb Jahren – in die Ukraine, um ihre Familie zu besuchen. Als sie sich an das Wiedersehen mit ihren Eltern erinnert, zittert ihre Unterlippe, sie schaut kurz traurig in die Ferne. Sie mussten ihre Heimat, die in einem von der russischen Armee besetzten Gebiet liegt, verlassen. „Es geht ihnen gut, aber ihre tägliche Realität ist der Krieg“, erklärt die junge Mutter: „Und es hat mich schockiert, wie gut sie trotzdem gelaunt sind.“ Ihr Vater sei nun 60 Jahre alt geworden und könne nicht mehr vom Militär einberufen werden, erzählt sie sichtlich erleichtert. „Am liebsten würde ich meine Eltern nach Mallorca holen”, sagt sie leise.
Bei der Frage nach ihrer Zukunft seufzt die Mutter und zuckt mit den Schultern. Wieder schaut sie traurig und verträumt ins Leere. Dann antwortet sie: „Wer weiß, was die Zukunft bringt? Ich lebe von Tag zu Tag. Schritt für Schritt. Wir sind einfach nur froh, hier zu sein. Ich bin nicht tapfer, die Ukrainer sind es“, sagt sie, während Tränen über ihre Wangen fließen. Einen Wunsch für ihre Zukunft hat sie doch: „Ich wünsche mir einfach nur, dass dieser Krieg – und auch alle anderen in der Welt – aufhören und die Menschen in Frieden leben können.”
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