Die wasserdichte Kamera, die einer der Abenteurer in der Neopren-behandschuhten Hand hält, wackelt so stark, dass die Filmaufnahmen später kaum zu gebrauchen sein werden. Schuld daran ist nicht etwa ein Tremor des Filmenden, sondern die zwölf Grad Lufttemperatur, der beißende Wind und die Tausende Liter eiskalten Wassers, welches die vier Abenteurer an diesem grauen Novembertag durch die Schlucht des „Torrent de Vista Mar” bei Port de Valldemossa treibt.
„Mallorca hat über 50 Wasserfälle, die meisten kennt nur keiner”, erklärt Canyoning-Experte Eckbert Waldleben, mit einem Schulterzucken. Der Leipziger lebt seit 17 Jahren auf der Insel und blickt mittlerweile auf zehn Jahre Erfahrung im Canyoning-Sport zurück. Am vergangenen Wochenende war es einmal mehr Zeit für ihn und seine spanischen Freunde, ein neues, etwas extremeres Abenteuer zu wagen. „Wir haben eine WhatsApp-Gruppe, in der wir uns für unsere Touren auf der Insel organisieren.” An diesem Tag, gibt der Abenteurer rückblickend zu, war es zumindest grenzwertig, wenn nicht sogar gefährlich, den Abstieg durch die Schlucht zu wagen.
„Es gibt deutlich schwerere Touren auf Mallorca. Beispielsweise ‚Sa Fosca’ eine Schlucht, die unweit der bekannten ‚Sa Calobra’-Schlucht liegt.” Dort gehe man in den Berg hinein, erklärt Waldleben weiter. „Da hast du eineinhalb Stunden Dunkelheit inklusive dem Durchtauchen mehrerer Wasserbecken, um wieder aus dem Berg herauszukommen.” Diese Tour gilt als die härteste Europas. Mallorca zählt demnach zur Canyoning-Oberliga, bemerkt der 56-Jährige.
Am vergangenen Samstag sorgten allein die extremen Wetterbedingungen dafür, dass aus einer normalerweise mittelschweren eine extreme Tour wurde. Adrenalin war beim Klettern auf nassen und rutschigen Felsen, beim Sprung in eiskalte Wasserbecken oder beim Abseilen ein ständiger Begleiter. Besonders herausfordernd waren die drei Fallkanten. „Das sind die Punkte, an denen das Wasser vom Fließen ins Fallen wechselt.” Der tiefste Fall ist gleichzeitig die letzte Hürde vor dem Boden und beträgt stolze 80 Meter. „Wir standen an der Kante mit Blick auf Port de Valldemossa und der Wind war so heftig, dass er das Wasser des Wasserfalls wieder nach oben und uns in die Gesichter gedrückt hat. Der ist quasi wieder nach oben geflossen.” Auf der Tour, erzählt Waldleben, habe er sich immer mal wieder einen dickeren Neoprenanzug gewünscht. „Wir waren dann irgendwann alle so durchgefroren, das war wirklich heftig.”
Besonders bei solchen außergewöhnlichen Bedingungen ist neben einem guten Neoprenanzug das richtige Equipment entscheidend. Ein Helm, Neopren-Socken und Handschuhe, Seile, Sicherungstechnik, Notfallausrüstung, Essen, Trinken und – ganz wichtig – die richtigen Canyoning-Schuhe. „Wir haben auch immer Gelände-Karten dabei, damit wir auf alles vorbereitet sind. Es kann lebensgefährlich sein, sich nicht richtig mit der Schlucht auseinanderzusetzen.” Die Tour sei besonders bei solchen Wetterbedingungen nur etwas für sehr erfahrene Leute. Man müsse sich nämlich zu 100 Prozent auf die anderen verlassen können. „Es kommt vor, dass man in Situationen kommt, aus denen man sich nur mit der nötigen Ruhe und Erfahrung befreien kann. Es gibt außerdem immer wieder Momente, in denen man sich durch unangenehme Situationen kämpfen muss.” Besonders schwierig sei dieses Mal das Abseilen am letzten, dem längsten Wasserfall gewesen. „Wenn du da keinen Helm trägst, hast du keine Chance. Das fühlt sich an, als würde dir jemand Ziegelsteine auf den Kopf werfen, wenn das Wasser von oben auf dich herunterprasselt.”
Nach insgesamt fünf Stunden waren die Abenteurer schließlich am Ziel, dem vorher im Tal geparkten Auto, erinnert sich Waldleben. „Du schaust da hoch und denkst: Wahnsinn! Wir waren erleichtert, dass wir heil unten angekommen sind und haben uns vor allem auf trockene Klamotten gefreut. Kaum hatten wir uns aufgewärmt, hat es trotzdem nicht lange gedauert, bis einer von den anderen fragte: ‚Otra vez?’ Also: ‚Wollen wir nochmal?’”
Touren-Tipp: Der Torrent de Coanegra ist eine Canyoning-Tour, die sich perfekt für Einsteiger eignet. Sie führt rund um das Gebiet des kleinen Ortes Orient im Tramuntana-Gebirge. An den Wasserfällen „Salt d’es Freu” kann man sich entweder 20 Meter abseilen oder einem Pfad folgen, der nach unten führt. Die komplette Route dauert zwischen drei und vier Stunden und eignet sich sogar für Familien. Ein Tourguide und die richtige Ausrüstung werden trotzdem empfohlen.
(aus MM 48/2021)
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