Wenn der Weg das Ziel ist, was bleibt dann noch, wenn man angekommen ist? Möglicherweise könnte die Haltung, dass der Weg beim Gehen entsteht, die nachhaltigere Idee sein, um in Bewegung zu bleiben. | tco

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Der folgende Text ist der MM-Kolumne "Unter vier Augen" von Talia Christa Oberbacher entnommen. Die Autorin ist Hypnose-Therapeutin und Coach in der Palma Clinic auf Mallorca.

Ob es Liebe auf den ersten Blick war, als ich das erste Mal nach Mallorca kam, weiß ich nicht mehr. Dazu war alles viel zu aufregend. Ich war süße 16 Jahre, total verliebt und sollte nun mit meinem ersten Freund, meiner Mutter und meinem großen Bruder Urlaub machen am Mittelmeer. Alles war neu, der erste Flug, der erste Aufenthalt in einem Hotel. Vorher hatte es immer nur zu Campingurlaub im Zelt an der französischen Atlantikküste gereicht. Nun also Mallorca. Eine fremde Sprache, fremdes Essen, tolle Landschaften, alles war neu und unglaublich spannend. Da mein Bruder sehr gut Spanisch spricht und nach kurzer Zeit mit allen Kellnern und Hotelbediensteten bekannt war, hatten wir es recht nett und bald auch diverse Sonderbehandlungen, wie jeden Abend einen zweiten Nachtisch für meine Mutter und in der Bar freien Lumumba bis zum Abwinken (gibt es den heute eigentlich noch?).

Mallorca gefiel uns allen sehr. Der Strand war direkt vor der Tür, das Meer so blau, dass man es kaum glauben konnte und das goldene Licht am späten Nachmittag, das damals wie heute auf die Sandsteinmauern der Häuser und vor allem auf die Kathedrale fällt und sie zum Leuchten bringt, hatte einfach etwas Magisches.

Wir mieteten ein Auto und kurvten über die damals zum Teil noch sehr holprigen und engen Straßen und Wege. Wir bewunderten die Steilküste am Kap Formentor, waren fasziniert vom Tramuntana-Gebirge, lauschten den Klängen von Chopin in Valldemossa, ließen uns verzaubern von dem mystischen Konzert in den Drachenhöhlen von Porto Cristo. Wir fuhren mit dem Bähnchen durch das Tal von Sóller und kämpften mit Übelkeit auf der Sa-Calobra-Straße auf dem Weg zum Meer. Wir erlebten so ziemlich alles, was es damals (immerhin vor über 35 Jahren) an touristischen Highlights auf der Insel gab.

Dieser erste Aufenthalt auf Mallorca machte einen sehr nachhaltigen Eindruck auf mich und sorgte dafür, dass ich in mehr oder weniger großen Abständen immer wieder kam. Wieder und wieder. Es gab etliche Rückflüge, die ich mit Tränen in den Augen und dem inneren Schwur, dass ich ganz bald wiederkommen würde, verbrachte. Ich wurde älter, meine Liebe zu Mallorca blieb. Ich kam mit Freundinnen, mit Partnern, verbrachte meine Flitterwochen hier – später kam ich alleine und die Freude herzukommen und der Schmerz beim Abschiednehmen wurden immer größer.

Vor fast drei Jahren lernte ich dann, während eines Aufenthaltes hier, jemanden kennen, der mir den Zauber der Insel noch einmal auf eine ganz besondere Art zeigte. Mit jemandem unterwegs zu sein, der hier lebt, hat eine ganz eigene Qualität. Ich sah Buchten und Strände, so wunderschön, dass mir manchmal die Tränen kamen vor lauter Begeisterung. Durfte Aussichten genießen an Stellen, die wohl nur wenige Menschen, die nicht hier leben, jemals zu sehen bekommen. Meine Liebe wurde immer größer und ich dachte im Stillen manchmal daran, ganz hierherzukommen und zu bleiben. Meine privaten und beruflichen Umstände ließen das nicht zu und so organisierte ich es, nahezu einmal im Monat ein verlängertes Wochenende bei diesem besonderen Mann auf „meiner“ Insel zu verbringen.

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Durch meinen oft sehr herausfordernden Beruf brauche ich es, in regelmäßigen Abständen etwas anderes zu sehen, neue Erfahrungen zu machen, um den Kopf und das Herz wieder freizubekommen. Diese Auszeiten auf Mallorca mit allem, was dazugehörte, waren perfekt für mich, um wieder aufzutanken, meine innere Balance zu halten.

Dann kam das Virus und alles wurde anders. Die Pandemie veränderte meine Arbeit in vielen Bereichen. Plötzlich war es nicht nur möglich, sondern sogar oft besser, online zu arbeiten. Meine Klienten und ich konnten uns nun entspannt und ohne Masken begegnen. Ganz bequem vom Sofa aus, konnten sie mir von ihren Herausforderungen berichten, konnten wir gemeinsam Lösungen finden. Durch meinen systemrelevanten Beruf arbeitete ich mehr als je zuvor. Gleichzeitig fehlte meine größte Ressource: Das Reisen nach Mallorca wurde unmöglich. Mir wurde sehr bewusst, wie wichtig es bereits für mich geworden war, immer wieder hier zu sein, diese Insel und ihre Bewohner zu genießen. Das Meer, die Wärme, das Essen, die Art zu leben. Rückwirkend gesehen, brachte ich mich bis an den Rand eines Burnouts. Mir wurde klar, dass es Zeit wurde, mein Leben zu überdenken.

Und dann kam meine Chance. Durch viele günstige Fügungen, schicksalhafte Begegnungen und eine große Portion Glück, hatte ich die Möglichkeit, hier auf Mallorca eine zweite Praxis zu eröffnen. Mein Traum wurde Wirklichkeit. Alles schien zu passen. Na ja, es gab und gibt einige bürokratische und private Hürden zu überwinden. Nach fast drei Monaten Sommerhitze ist es auch mal schön, wenn es regnet und für wenige Tage ein paar Grad kühler wird. Und auch in der Liebe ist nicht alles, was aus der Ferne glänzt, bei näherer Betrachtung wirklich Gold. Aber das größte Problem ist, und ich weiß, dass sich das sehr seltsam anhört, dass sich mein Traum erfüllt hat. Ich lebe auf dieser wunderbaren Insel. Meine große Ressource, meine Kraftquelle, ist mein Alltag geworden. Ich habe kaum noch Zeit, die Dinge zu tun, die ich sonst immer getan habe, wenn ich hier war. Stattdessen arbeite ich, lerne Spanisch, versuche zu netzwerken und habe kaum eine Minute Ruhe. Keine Aussicht mehr auf verheißungsvolle Wochenenden alle paar Wochen. Was also tun?

Haben Sie auch schon einmal eine ähnliche Situation erlebt? Standen plötzlich da, ein Stück hinter der Ziellinie und wussten nicht weiter? So etwas kann durchaus dazu führen, dass man zunächst in ein Loch fällt und eine depressive Verstimmung entwickelt. Was passiert da mit uns? Warum fühlen wir uns leer und unwohl, wenn wir unser Ziel erreicht, unseren Traum verwirklicht haben? Nun, wir müssen uns zunächst einmal an die neue Situation gewöhnen. Lernen, die Welt aus dieser anderen Perspektive zu betrachten.

Im Grunde könnten wir sogar zufrieden sein. Aber in dieser schnelllebigen Zeit vergessen wir schnell, uns zu freuen und Erfolge zu feiern. Als Therapeutin weiß ich, dass es völlig okay ist, sich auch mal auf den Lorbeeren auszuruhen. Um wieder Luft zu holen und Kraft zu sammeln und um zu erkennen, welche zusätzlichen Möglichkeiten die aktuelle Situation mit sich bringt. Daraus kann dann wieder etwas Neues entstehen, wird es möglich, weitere Ziele zu finden und Pläne zu schmieden. Vielleicht brauchen Sie auch etwas Geduld bis zum neuen Traum, der geträumt und irgendwann realisiert werden will. Am besten also erst mal zurücklehnen, atmen und abwarten. Ich für meinen Teil habe jetzt die Idee, einmal im Monat eine neue Stadt, ein neues Dorf zu erkunden, um mir auf diese Weise eine kleine Auszeit zu nehmen. So kann ich meine neue Heimat immer besser kennenlernen und ganz hier ankommen.

(aus MM 42/2021)