Waltraudt Teising gehörte jahrelang zum Inventar der Insel.

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Wenn Waltraudt Teising kommenden Sommer mit ihrer Familie nach Deutschland zurückgeht, ist das ein Verlust für die Insel, vor allem für hilfsbedürftige Deutsche. Jahrelang hat sie Menschen in Not geholfen, nach Deutschland zurückzukehren und dafür gesorgt, dass sie in der alten Heimat aufgefangen wurden und sich ein neues Leben aufbauen konnten. Im Gespräch mit MM erzählt sie von ihrem Engagement und warum sie jetzt selbst die Insel verlassen möchte. Das beginnt mit einer Überraschung.

„Ich bin Chilenin.” Nach 26 Jahren in Chile und 20 Jahren in Deutschland zog Waltraudt Teising 2009 mit ihren Söhnen Dominic und Soeren nach Mallorca. Ihr Mann, Michael Teising, war schon ein Jahr vorher gekommen. Er arbeitet im Tourismus im IT-Bereich. In Wedel bei Hamburg waren die Kinder in den evangelischen Kindergarten gegangen. Auf der Insel kontaktierte Waltraudt Teising den damaligen Pfarrer der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde, Klaus-Peter Weinhold, und gehörte bald dem Krankenhausbesuchsdienst an. Als Ende 2012 die Sekretärin der Kirche ging, übernahm sie die Stelle. Die intensive Betreuung von Menschen gehört nicht zu ihren Aufgaben als Gemeindesekretärin. Das macht sie ehrenamtlich. „Ich bin nicht die Einzige, viele Menschen tun Gleiches.”

Mit einem deutschen Strafgefangenen fing es an. „Der Mann wurde entlassen und wusste nicht wohin.” In ein Obdachlosenheim wollte er nicht gehen. Nach zwei Jahren auf der Straße bat der 51-Jährige die evangelische Gemeinde um Hilfe. Er wollte nach Deutschland zurück. „Er hatte kein Geld, keinen Pass, nichts mehr.” Waltraudt Teising kontaktierte die Behörden und besorgte dem Mann ein Reiseausweispapier. Dann kaufte sie ein Flugticket, organisierte eine Unterkunft und machte seine Tochter in Deutschland ausfindig. Diese erklärte sich bereit, den Vater am Flughafen abzuholen. „Wie soll ich meiner Tochter gegenübertreten?”, habe er sich voller Scham gefragt. „Sagen Sie einfach, ,danke, dass Du mich abholst’”, riet Teising ihm. Erst machte der Mann einen Ein-Euro-Job, dann holte er den Führerschein nach, schließlich bekam er eine Stelle beim Arbeitsamt. „Er schaffte es. Wir schreiben uns immer noch.”

Es glaube einem niemand, wie viele obdachlose Deutsche es auf Mallorca gebe, meint Waltraudt Teising. Einige Hilferufe kämen übers Konsulat zu ihr, andere über den Krankenhaus- oder Gefängnisbesuchsdienst, manchmal rufen Sozialarbeiter oder Dolmetscher aus Krankenhäusern an. Ein großes Problem sei Alkoholabhängigkeit, ausgelöst durch Veranlagung oder einen nicht verkrafteten Schicksalsschlag. Manche seien alkoholdement, auch Jüngere. Hauptsächlich seien es Männer, aber Frauen gebe es auch. Nach Streit mit der Familie oder Enttäuschung im Job waren sie nach Mallorca gekommen, um neu anzufangen. „In der Sonne ist alles gut”, hatten sie gedacht – aber so war es nicht.

Nicht allen könne man helfen, hat Teising erfahren müssen. Manche Menschen wollten auf der Straße leben. „Diejenigen, die Hilfe wollen, müssen sich an die Hand nehmen lassen und nicht gleich hohe Ansprüche stellen.” Erst einmal müssten sie sich fragen: Was ist falsch gelaufen? Was will ich ändern? Fast alle wollten auf der Insel bleiben. „Aber ich sage, was Tacheles ist. Vor allem bei Krankheit sind sie in Deutschland besser aufgehoben.”

Das Flugticket zahlt nach Teisings Worten teils die Kirche, teils der Betroffene selbst, wenn er noch Geld hat. „Aber wohin mit den Hilfesuchenden?” Kontakte habe sie keine, meint Waltraudt Teising, aber ein Gespür, wer helfen könne. Sie recherchiere und telefoniere viel, grüble selbst nachts über eine Lösung nach. Außerdem wasche sie die Wäsche, packe die Koffer und löse den Haushalt oder Schlafplatz auf. Das sei anstrengend. Aber wenn die Person dann wieder in Deutschland Fuß fasse und es ihr gut gehe, sei dies ein wundervolles Gefühl.

„Die letzten Jahre waren gefüllt von den Fällen, sehr intensiv”, meint Waltraudt Teising. Sie habe schwer Nein sagen können. „Wie kann man auch Nein sagen, wenn man Not sieht und weiß, man kann helfen?” Aber jetzt habe die Familie Heimweh nach Deutschland. Soeren, der älteste Sohn, werde mit der Schule fertig, Dominic, der jüngere, schließe die mittlere Reife ab. Beide wollten nach Deutschland gehen und in der Landwirtschaft arbeiten.

„Was wollen wir dann noch hier?”, fragt die Mutter. Ob sie die Arbeit vermissen werde? Erst einmal nicht, sie müsse abschalten. Es gebe viele andere Möglichkeiten zu helfen. „Ich könnte alleinstehende Menschen begleiten oder Geschichten vorlesen.” Sie freue sich auf ein Haus mit Garten, das auf sie warte. Gartenarbeit liebe sie. Dabei könne sie wunderbar entspannen. Sicherlich werde sie Mallorca vermissen, die Wärme, die Nähe zum Strand und zu den Bergen, wie sehr, das werde sie erst in Deutschland merken.

Was sie gelernt habe durch ihre ehrenamtliche Arbeit? „Das Leben ist zu schön, um weggeworfen zu werden”, sagt Teising. Aber wie könne man das den Menschen bewusst machen? Viele täten es ja nicht absichtlich, sondern rutschten ab. Auch daraus habe sie gelernt, wie wichtig Vorsorge ist. Das werde sie auch ihren Kindern mitgeben. „Geht in die Welt raus, macht eure Erfahrungen, aber haltet immer ein Türchen offen für den Fall, dass es nicht klappt, damit ihr zurückkommen könnt.”