Viele Mallorca-Deutsche kennen das Gemeindehaus der deutschsprachigen evangelischen Kirche auf Mallorca. Ein unscheinbares Gebäude in einem schmucklosen Viertel am Rand von Palmas Stadtteil Arenal. Ein paar Hundert Meter weiter tobt in der Saison das touristische Leben. Wer aber die Umgebung des Gemeindehauses erkundet, der landet in einer anderen Welt.
Schon vor dem Gebäude fällt auf, dass die Straße nicht asphaltiert ist. Im Vergleich zu den nächsten Straßen kommt man hier aber noch recht komfortabel mit dem Auto voran. Das ändert sich mit dem weiteren Vordringen in diese Urbanisation, die den Namen Bellavista trägt (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Urbanisation bei Cala Blava auf dem Gemeindegebiet von Llucmajor). Man kurvt zwischen Steinlöchern herum. Wohl kaum ein anderer städtischer Bereich auf Mallorca rechtfertigt die Anschaffung eines Geländewagens so sehr wie dieser. Bürgersteige gibt es ebenso wenig wie asphaltierte Straßen. Müllcontainer sieht man nur vereinzelt. Kabel ziehen sich an Masten von Grundstück zu Grundstück, von Haus zu Haus. Aber es stehen in der Siedlung zum Teil recht hübsche Wohngebäude.
Eine komische Urbanisation zwischen Carretera Militar und Autobahn, in der viele Bewohner seit ein paar Tagen voller Aufbruchstimmung sind. Denn vielleicht sieht Bellavista in zwei Jahren vollkommen anders aus.
Die Häuser wurden nach und nach gebaut, existierten für die Stadt bisher aber nicht wirklich. Vor 86 Jahren habe alles angefangen, erzählt Cati Riutort, Sprecherin der Anwohnervereinigung "Junta de Compensación de la Urbanización de Bellavista" dem MM-Reporter beim Ortstermin. Die resolut wirkende 69 Jahre alte Dame freut sich: "16 Jahre haben wird gekämpft. Jetzt haben wir die Lizenz." Das Konsortium für die Playa de Palma und das Rathaus von Palma machen den Weg frei für Erschließungsarbeiten in Bellavista. So schnell wie möglich soll es losgehen. "Wir haben nicht damit gerechnet, dass es so lange dauern würde, bis wir so weit sind", meint Maria Atigues, die seit 38 Jahren in Bellavista zu Hause ist.
Erst seit drei Jahren lebt Heike Stijohann in dem vergessenen Viertel. Die deutsche Pfarrerin wohnt mit ihrem Mann Paul im Gemeindehaus. "Anfangs war es schon etwas merkwürdig. Aber man gewöhnt sich an die besonderen Umstände." Statt Kanalisation gebe es eine Kläranlage, der Strom hänge in der Luft, das Gas kommt in der Flasche. "Ein bisschen wie Leben auf dem Land. Ärgerlich ist, dass man seit einem Jahr die Post nicht mehr ins Haus bekommt, sondern Briefe im Postamt abholen muss. Außerdem ist es im Sommer sehr staubig. Ein Vorteil ist dagegen aber, dass man hier sehr ruhig wohnt. Es gibt keinen Durchgangsverkehr."
Heike Stijohann lebt am äußersten Rand von Bellavista. Wer mittendrin zu Hause ist, der hat größere Probleme. Zum Beispiel wenn es stark regnet und windet. "Das ist dann wie die Mischung aus einem Tsunami und einem Hurrikan", meint Cati Riutort. Der 79-jährige Sebastián Monserrat ergänzt: "Wenn es regnet, schaffen wir es manchmal nicht, nach Hause zu kommen." Auch hinsichtlich der ärztlichen Versorgung ist die Situation problematisch. Ob ein Krankenwagen über die nachts unbeleuchteten Straßen zu seinem Ziel findet, ohne vorher an einem Schlagloch Schaden zu nehmen, ist Glückssache.
Man fühlte sich jahrelang vom Rathaus vergessen, obwohl die Stadt diverse Abgaben von jedem Einzelnen kassierte. Daher kämpften Cati Riutort und ihre Mitstreiter um "Gerechtigkeit". Immerhin handelt es sich um zwischen 1200 und 1500 Anwohner in rund 500 Häusern, verteilt auf einer Fläche von 350.000 Quadratmetern.
Die Straßen haben keine eigenen Namen, sondern werden mit "Bellavista A" bis "Bellavista N" bezeichnet. Angelegt worden sei das Netz von einem aus Katalonien zugewanderten Mann, der das Gebiet in den 1920er Jahren gekauft hatte, nach dem Vorbild des Stadtbezirks Eixample in Barcelona nach einem rechtwinkligen Prinzip.
Im Laufe der Jahrzehnte entstanden immer mehr Häuser. Die Grundstückspreise waren deutlich günstiger als zum Beispiel im nicht weit entfernten Stadtteil Sometimes. Und die Sache mit der Infrastruktur werde sich schon irgendwann regeln, war man der Meinung. Als das aber nicht geschah - kam da nicht der Gedanke auf, einfach wegzuziehen? Bei dieser Frage schütteln alle im Gespräch mit MM vehement den Kopf. Sebastián Monserrat, der seit 40 Jahren in Bellavista ansässig ist, bringt es auf den Punkt: "Nein, darüber haben wir nie nachgedacht. Wer sollte uns denn das Haus abkaufen? Und insgesamt leben wir ja sehr gut hier." "Wir haben hier unser Haus gebaut und wollen auch hier bleiben", ergänzt José Alcazar, 83 Jahre alt.
Nacheinander sollen nun die Defizite abgearbeitet werden. Mit der Kanalisation will man beginnen. Später kommen Beleuchtung, Asphalt und andere Dinge. Eineinhalb bis zwei Jahre soll es dauern, "dann werden wir eine vorbildliche Urbanisation sein", stellt Cati Riutort in Aussicht. Sie lächelt, weil ihr der Gedanke gefällt und weil sie maßgeblich daran mitgewirkt hat, dass es nun so kommen kann.
Rund 13 oder 14 Millionen Euro werden jetzt wohl fällig. Geld, das die Bewohner von Bellavista selbst aufbringen müssen. Jeder zahlt seinen Anteil, bemessen danach, wie viele Quadratmeter er besitzt. Riutort: "Wir gehen davon aus, dass 65 Euro pro Quadratmeter fällig werden." Eine Investition, die sich wahrscheinlich lohnt. Denn schon bald dürften Häuser, die bisher niemand haben wollte, zu begehrten Immobilien werden.
Ein finanzieller Aufwand kommt ebenfalls auf die deutschsprachige evangelische Kirchengemeinde zu. "Ja, auch wir werden zahlen müssen", weiß Heike Stijohann. "Uns war aber klar, dass das eines Tages so kommen könnte und wir haben daher ein paar Rücklagen gebildet."
(aus MM 46/2017)
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