Eine Ente legt im Laufe ihres Lebens rund 80.000 Kilometer zurück. Ana's "Ente" hat bis heute zirka 800.000 geschafft. 32.000 davon auf dem Trip ihres Lebens. Ana Vega ist Mallorquinerin und 31 Jahre jung. Sie ist in 19 Monaten durch 25 Länder gefahren, jeden Meter mit einem Citroën 2CV, Cabriolet. Die himmelblaue Ente im Vintage-Stil ist gerade 34 Jahre alt geworden. Eva Serra wohnt in Barcelona, sie begleitete Vega ein Jahr als Beifahrerin.
Es war eine Reise, die im Sommer 2015 auf Mallorca begann und Ende März 2017 ihr vorzeitiges Ende fand. Glücklicherweise, denn es gab Situationen, "da war ich mir sicher, das war's jetzt. Das werden wir nicht überleben". Ana Vega spricht über den 15. Juli 2016. Sie rannte beim Putschversuch durch Ankara, Kampfflugzeuge schossen aus dem Himmel, fast 300 Menschen starben in ihrer Nähe. Sie hat als Freiwillige in einem Flüchtlingslager in Serbien geholfen, als die Massen hilfloser Menschen ihren Weg über die Balkanroute kreuzten: "Ich konnte nicht einfach weiterfahren." Sie pflückten Trauben in Italien und Oliven in Griechenland.
Wieso starten zwei junge Frauen, erfolgreich im Job und mitten im Leben, eine so riskante, gefährliche Reise? "Weil ich das alles nicht mehr wollte. Ich wollte leben und mein Leben genießen." Anfang 2015 sprachen sich die beiden Freundinnen. Vega redet von der Idee, einen Trip nach Istanbul zu machen, mit dem Auto. Sie wolle raus aus dem materialistischen Leben, weg vom Stress und rein in ein Abenteuer. Zwei Monate später ruft Serra an, sie kommt mit, für vier Monate, länger kann sie nicht. Aus der kleinen Idee wurde ein Plan und aus dem Plan im Sommer 2015 ein Abenteuer. Sie kündigten die Jobs, verkauften und verschenkten all ihr Hab und Gut. "Fast 700 Bücher musste ich loswerden, das ging mir ganz schön nahe. Aber es war auch unglaublich befreiend!" Heute passt so ziemlich alles, was Vega besitzt, in einen Koffer. Angespart hätten sie für die Reise nichts, so Vega, die zuvor im Marketing einer Firma fünf Jahre lang eine Vollzeitstelle hatte und nebenbei als freie Journalistin tätig war. "Ich hatte mein letztes Gehalt dabei und rechnete noch mit ausstehenden Zahlungen einiger Kunden, die kamen aber nie."
Die erste Etappe führte Ana Vega und Eva Serra mit der Ente (die übrigens gerade eine neue TÜV-Plakette bekommen hat) entlang der Balkanroute in die Türkei. Auf die Frage, wie sie mit dem Geld zurecht kamen und wo sie übernachteten, antwortet die Mallorquinerin: "Wir hatten ganz oft einfach viel Glück!" Sie saßen in Bars, haben sich mit den Menschen unterhalten und gefragt, ob jemand ein gutes Hostel in der Nähe kenne. Nicht selten kannte jemand jemanden, der zu Hause noch Platz hatte. "Sie halfen uns, das Auto zu reparieren. Manchmal haben wir im Gegenzug kleine Jobs übernommen." Außerdem hatten sie ein Zelt dabei. Die 31-Jährigen hatten sich vor der Reise zum Ziel gemacht, Menschen und Kulturen nicht nur kennenzulernen, sondern zu verinnerlichen: "Wir wollten einfach ganz nah dran sein." Einige Male ist Vega zu nah dran.
Im Dezember 2015 reiste Serra aus der Türkei ab und Vega fuhr alleine weiter, wie auch die gesamte zweite Etappe. Es ging durch die Türkei, auch nach Kurdistan und über den Grenzort Dogubeyazit in den Iran. "Die Armut, die Resultate aus den politischen Konflikten, das hat mich alles sehr beeindruckt und mitgenommen." Ana Vega fuhr weiter, quer durch den Iran, durch die Dascht-Wüste und über schneebedeckte Berge, alles mit der kleinen blauen Ente. "Eine unglaubliche Erfahrung." Eigentlich wollte sie über den Südosten des Iran weiter über Pakistan nach Indien fahren, aber so weit kam sie nicht. Der Konflikt zwischen dem Iran und Pakistan verhinderte ihre Durchreise. Sie änderte die Route, um über Russland nach Kasachstan zu kommen. Dafür musste sie zurück, wieder durch den Iran bis nach Armenien. Am 4. April 2016 stand sie mit dem Auto vor der Grenze Aserbaidschans. "An diesem Tag ist dort Krieg ausgebrochen", so Vega. Gekämpft wurde um das Grenzgebiet Bergkarabach. Ana Vega war mittendrin. Einen Monat lang hielt sie sich mit einem australischen Fotojournalisten da auf, wo das Militär kämpfte, im Schützengraben. "Die Soldaten warnten uns und sagten, wo sich die feindlichen Schützen befinden."
Danach änderte Vega die Route erneut, jetzt sollte es über Georgien nach Russland gehen. Wieder politische Konflikte. Vega musste nochmal in die Türkei, um ein Transitvisum für Russland zu beantragen. In der Türkei blieb sie ein paar Monate länger, zu lange. Am 15. Juli regnete es Schüsse. "Ich sah die Kampfflugzeuge über meinem Kopf." Sie rannten weg, in die Wohnung einer Freundin, öffneten die Fenster, damit das Glas nicht zerspringt. "Zehn Stunden lang haben wir uns auf dem Boden versteckt. Mit der letzten Bombe, die nur wenige Meter vor uns explodierte, stiegen wir in mein Auto und fuhren weg." Die Bombe eines Kampfjets, Typ F16, ging vor ihr in die Luft, 48 Stunden war sie taub. Ein Freund von Vega, Çengiz, Journalist in der Türkei, wurde an diesem Tag verhaftet, "ich habe ihn bis heute nicht wiedergesehen". Trotz des Albtraums wollte Vega die Reise nicht aufgeben. Sie fuhr von Ankara aus wieder nach Georgien, dort stieg Eva wieder zu ihr ins Auto und sie begannen im September 2016 gemeinsam die dritte Etappe. Zu zweit ging es mit dem Transitvisum nach Russland, dann gab das Auto den Geist auf. "Als wir die Ente repariert hatten, hatte ich nur noch zwei Tage, um nach Kasachstan zu kommen!" Man rief sie an: Sollte sie in zwei Tagen nicht das Land verlassen haben, würde man sie deportieren. Weiterzufahren, das hätten sie nicht geschafft, sie mussten wieder zurück nach Georgien.
Der nächste Plan war, über Polen, Litauen und Lettland nochmal nach Russland einzureisen. Dann ging ihnen langsam das Geld aus und sie beschlossen, wieder nach Spanien zurückzufahren. "Ob wir unseren Trip irgendwann fertigstellen? Ich weiß es nicht, aber es ist nicht ausgeschlossen." Jetzt müsse sie erstmal wieder etwas Geld verdienen und Energie sammeln. Heute hat sie in ihrer Handtasche Geld aus allen besuchten Ländern: "Falls ich mal jemanden treffe, der für Europa Geld wechseln muss." Würdest du so ein Abenteuer auch anderen Menschen empfehlen? "Nein. Also das soll heißen, das war mein Abenteuer und ich finde, jeder muss sein eigenes Abenteuer leben." (mh)
(aus MM 17/2017)
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