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Mit einem solchen Besuch hatte Juan Albertí dann doch nicht gerechnet. Gleich 23 Norweger musste der Bürgermeister von Banyalbufar an den Westküste von Mallorca bei sich aufnehmen. Die hochgewachsenen Männer mit ihren rotblonden Stoppelbärten dürften in dem Dorf vor 100 Jahren wahrlich eine Attraktion gewesen. Sie blieben bei dem Alkalden wohnen, bis sich ihre Situation klärte und sie nach Palma geschafft werden konnten.

Wie war es zu dem Ereignis gekommen? Die "Bufjord", der Frachter der Seeleute, war am 2. September 1916 vor den Küsten von Mallorca von einem deutschen Unterseeboot "U-35" versenkt worden.

Ein Jahrhundert ist es nun her, dass der Erste Weltkrieg auch Auswirkungen auf Mallorca zeigte. Während nahezu überall auf dem Globus gekämpft wurde, sonnte sich die Insel im Glanze der strikten Neutralität, zu der sich die spanische Regierung durchgerungen hatte, um den fragilen sozialen Frieden im Inland nicht zu gefährden. So wurde das Land zum unbeteiligten Zuschauer des blutigen Ringens, das zu jenem Zeitpunkt weite Teile Europas erfasst hatte.

Und mitunter wurden die Spanier sogar zu Gastgebern, wie etwa in Banyalbufar. Oder Santa Ponça. Oder Sant Elm bei Andratx. Oder, oder, oder. Denn im Sommer und Herbst 1916 schien die deutsche U-Bootwaffe das Mittelmeer regelrecht zu beherrschen. Handelsschiffe, die Rohstoffe, Lebensmittel, Gebrauchsgüter oder gar Waffen führten und den Feinden der Mittelmächte - sprich Deutschland und Österreich - nützlich werden konnten, wurden kurzerhand aufgebracht und auf den Meeresgrund geschickt. Das deutsche Kaiserreich führte einen uneingeschränkten U-Boot-Krieg auf den Weltmeeren und war damit auch in den Gewässern der Balearen eine Bedrohung. Ziel war es, den Feind - England, Frankreich, Italien - von Zulieferungen aus Übersee sowie aus deren Kolonien in Afrika abzuschneiden.

Die Attacken liefen in der Regel nach einheitlichem Muster ab: Mit einem Warnschuss aus der Bordkanone zwang das U-Boot die aufgespürten Handelsschiffe zum Halt. Danach wurde der Frachter durchsucht und die Ware festgestellt. Anschließend musste die Mannschaft die Beiboote besteigen und das Schiff verlassen. Oftmals wurden sie Zeuge, wie ihr Handelsfrachter per Kanonenfeuer leckgeschossen und versenkt wurde. Torpedos kamen damals weniger zum Einsatz, wie der Historienreporter der MM-Schwesterzeitung "Ultima Hora", Germà Venta, jüngst recherchierte.

Spanien war zwar neutral, aber Deutschland verfügte auf Mallorca sehr wohl über einen geheimen Verbündeten. Wie aus den Studien des Forschers und Buchautors Pere Ferrer ersichtlich ist, wusste der mallorquinische Unternehmer Juan March den Krieg durchaus für seine Handelsgeschäfte zu nutzen. Der aus Santa Margalida stammende Bauernsohn, der später einmal die Banca March gründen und zu einem der weltweit reichsten Männern seiner Zeit aufsteigen sollte, versorgte die deutschen U-Boote auf hoher See mit Treibstoff und Lebensmitteln. Dafür verschonte die Reichskriegsmarine die Handelsschiffe Marchs, auf denen er Ferrer zufolge seinen Tabakschmuggel aus Nordafrika nach Spanien organisierte. Alles Machenschaften, die March schon früh den Beinamen "der letzte Pirat des Mittelmeeres" einbrachten.

Nun waren diese Machenschaften des Unternehmers lediglich ein offenes Geheimnis. Die britische Admiralität legte bei den Vertretern Spaniens wiederholt Protest ein, und der liberale Ministerpräsident Conde de Romanones fürchtete um die Neutralität seines Landes. Um March in seinem Treiben zu behindern, beschlagnahmte das spanische Militär im Sommer 1916 die südlich vor Mallorca gelegene Felseninsel Cabrera. Hier, in dem stillen Winkel des Mittelmeeres, sollen die deutschen U-Boote, oder zumindest eines von ihnen, Trinkwasser und Proviant aufgefrischt haben.

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Bernardo Feliu Amengual, ein geachteter Rechtsanwalt in Palma und Enkel des letzten Cabrera-Besitzers, sieht die Angelegenheit anders. Die Gerüchte um die U-Boote seien ein Vorwand gewesen, um seinem Großvater Sebastián Feliu das Eiland wegzunehmen. Zwar gab es eine Entschädigungssumme, aber der Alteigentümer, der dort ein großes Weingut angelegt hatte, habe den Verlust emotional nie so recht verwunden.

"Mein Großvater hatte, wie er sagte, keinerlei Kenntnisse von irgendwelchen U-Booten. Die spanische Marineführung hatte sich in Befürchtungen verrannt, die nicht gerechtfertigt waren", sagte Bernardo Feliu auf MM-Anfrage. Die Argumente seien damals regelrecht aufgebauscht worden, um die Enteignung durchzuführen.

Fakt ist, dass Cabrera sich auch heute noch im Besitz des Verteidigungsministeriums befindet. Zahlreiche Prozesse, die die Familie in dem Streitfall führte, haben an diesem Zustand nichts ändern können.

Zurück ins Jahr 1916: Die deutschen U-Boote hinterlassen in ihrem Kielwasser eine Spur der Vernichtung. Allein von Juni bis September wurden in den balearischen Gewässern, zum Teil weitab von Cabrera, 20 Frachter und Segler versenkt. Die meisten dieser Schiffe fuhren unter britischer Flagge, neben einigen italienischen Schiffen wie der "Clara" oder der "Garibaldi". Hinzu kamen einige Exoten wie die russische "Regina" oder eben die "Bufjord" der ebenfalls neutralen Norweger. Todesfälle im Rahmen der Angriffe kamen zwar auch vor, blieben aber zum Glück die Ausnahme.

Als der deutsche Kapitän mit dem französische klingenden Namen Lothar von Arnauld de la Perière Ende 1915 das Kommando auf "U-35" übernahm, machte er das Boot bei 15 Feindfahrten im Mittelmeer zur berüchtigsten Unterwasserwaffe der kaiserlichen Marine. "U-35" versenkte 189 Handelsschiffe sowie am 29. Februar 1916 das britische Kanonenboot "Primula" und am 2. Oktober 1916 das französische Kanonenboot "Rigel".

Klar, dass die britische Marine wenig erbaut war von den Verlusten. Offenbar hielt sie darüber hinaus das Vorgehen der spanischen Regierung für zu lasch. Sie beschlagnahmte kurzerhand Teile der Handelsflotte von Juan March und internierte die Schiffe in Gibraltar. Nun war March in der Defensive. Doch der schillernde Unternehmer wusste sich zu helfen: Er begann - extrem diskret, wie es seine Art war - mit beiden Seiten zu kooperieren. Um seine Schiffe freizubekommen, verriet er, so Ferrer und Ventayol, die Fahrtrouten der Deutschen an die Briten, während er ihre U-Boote weiterhin in den balearischen Gewässern mit Lebensmitteln und Treibstoff versorgte. Ein perfides Doppelspiel, das ihm zum Vorteil wurde, wie die Historie zeigte.

Dieser Strategiewechsel bewirkte, dass vor exakt 100 Jahren, im Oktober 1916, die versenkten Frachtbilanzen der deutschen U-Boote - neben "U-35" operierten insbesondere "U-34", "U-38" und "U-39" im westlichen Mittelmeer - zu schrumpfen begannen. Ganz hörten die Versenkungen jedoch nicht auf. Noch im Sommer 1918, wenige Monate vor Kriegsende, zerrissen Geschosse oder Sprengladungen die Rümpfe der aufgebrachten Lastensegler und Schiffe. Am 15. Mai 1918 traf der Krieg sogar ein mallorquinisches Schiff. Der Dampfer "Villa de Sóller", der meist Orangen aus dem Sóllertal an Bord führte, wurde bei einer Fahrt von Genua nach Barcelona vor Hyéres an der südfranzösischen Küste ohne Vorwarnung von "U-35" torpediert und innerhalb von drei Minuten versenkt. Und diesmal waren sehr wohl Menschenleben zu beklagen: Der Untergang der "Villa de Sóller" riss zwölf Matrosen in den Tod.

(aus MM 43/2016)