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Ehemalige SS-Offiziere, US-amerikanische Geheimagenten, Partys mit glamourösen Schönheiten am Pool, mysteriöse Todesfälle und ein Aktenfund in einem verlassenen Haus auf Mallorca - das Leben schreibt mitunter Geschichten, die jeden fiktionalen Kriminalroman bei weitem übertreffen.

Dass eine solche Lebensgeschichte jetzt dem Vergessen entrissen und zu Papier gebracht wurde, ist der schottischen Journalistin und Buchautorin Sian Mackay zu verdanken. Sie hat jahrelang dem Leben des österreichischen Barons Rudolph von Ripper nachgespürt und nun eine Biographie des Malers, Antifaschisten und Geheimagenten veröffentlicht. Der Adelige war ein offenkundig furchtloser, kämpferischer Mensch gewesen. Er lernte Hitlers Konzentrationslager von innen kennen und hielt die dort am eigenen Leibe erfahrenen Erlebnisse in seinen Werken künstlerisch fest. Eine seiner Grafiken zierte im Januar 1939 die Titelseite des amerikanischen "Time"-Magazins und warnte vor den Schrecken drohender Kriege durch Hitler.

Nach dem überstandenen Weltenbrand wiederum bewohnte Rudolph von Ripper ein Haus in Pollença, in dem er 1960 unter ungeklärten Umständen zu Tode kam. Seitdem liegt er auf dem Friedhof des Ortes unter einem roséfarbenen Grabstein zur letzten Ruhe gebettet.

Wie kam die zwischen Schottland und Spanien pendelnde Schriftstellerin Mackay, die sich meist mit historischen Persönlichkeiten wie dem Erzherzog Ludwig Salvator, Frédéric Chopin, George Sand und Robert Graves beschäftigt hatte, ausgerechnet auf Ripper? "Ein Bekannter von mir sollte für eine Kunstschule eine Immobilie auf Mallorca suchen, die geeignet wäre für Sommerkurse. Dabei wurde ihm ein Haus angeboten, das seit fast 40 Jahren unbewohnt war. Bei der Besichtigung stieß er neben dem völlig veralgten Pool auf einen Pavillon, der einst zum Umkleiden gedient hatte. Darin entdeckte er, unter dicken Staubschichten, angejahrte Cocktailkleider und eine blaue Aktenmappe mit Briefen und Fotos".

Der Deal um das Haus kam zustande, und als klar war, dass die neuen Eigentümer den ganzen Plunder entsorgt haben wollten, rettete der Bekannte die Mappe und reichte sie an Mackay weiter. "Dich interessiert doch so altes Zeug." Das war so um 1998. Die Schottin wusste mit dem Fund lange nichts anzufangen. Eine ganze Reihe der Briefe waren in altdeutscher Schrift verfasst und für Mackay, die kein Deutsch kann, unleserlich. Eher schon faszinierten sie die Hand voll Fotos, Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die Menschen im Stil der 1950er Jahre gemeinsam beim Feiern zeigten, sitzend auf zierlichen Terrassenmöbeln im Freien am Schwimmbecken.

"Damals war mit dem Internet noch nicht viel herzumachen", erinnert sich Mackay. Der auftauchende Name Ripper sagte ihr nichts, zumindest nicht in Zusammenhang mit einem Baron aus der untergegangenen kaiserlichen und königlichen Monarchie Österreichs. "Erst als ich auf eines seiner Werke stieß, war mein Interesse schlagartig geweckt." Für die Schriftstellerin begann eine jahrlange Reise in das schillernde Leben einer höchst ungewöhnlichen Persönlichkeit, deren Wege auf Erden Mackay posthum folgte und als "Odyssee" nachzeichnete ( siehe Kasten ).

Wer war Rudolph von Ripper? Der surrealistische Maler und Illustrator wurde 1905 in Klausenburg, heute Rumänien, als Spross einer altehrwürdigen Adelsfamilie geboren. Die überkommene Welt der Eltern war dem Niedergang geweiht, als 1914 die Schüsse von Sarajewo fielen. Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs war ihm die vom Generalsvater vorbestimmte Militärlaufbahn verbaut, und Priester, wie ihm die Mutter riet, wollte der 16-Jährige auch nicht werden. Stattdessen riss er aus und zog mit einem Wanderzirkus durch Deutschland, landete in Berlin, zog in die dortige Künstlerszene ein, machte sich die Ideen der Expressionisten und Surrealisten sowie politisch die der Marxisten zu eigen.

Ripper ist Kind einer zerrissenen Zeit. Der Aufstieg des Faschismus lässt ihn zum Antifaschisten werden, das Talent zum Künstler verwendet er im politischen Kampf für Zeichnungen und Illustrationen als graphische Waffen im Kampf gegen den Feind der Arbeiterklasse.

Um 1932 schickt eine antifaschistische Kommission Ripper erstmals nach Pollença, dort soll er in einigen Ruhemonaten Werke schaffen für Ausstellungen in politischen Galerien. Die Insel entpuppt sich für Ripper als Liebe auf den ersten Blick. Immer wieder träumt der Maler von einem Leben auf dem Eiland. Doch die Geschehnisse reißen ihn fort. Von England aus geht Ripper im Oktober 1933 - sein Landsmann Hitler ist bereits an der Macht - nach Deutschland, wird von der Gestapo festgenommen, kommt in ein Berliner Konzentrationslager, wird dort gefoltert, ohne seine Gleichgesinnten zu verraten, obgleich er von den Stiefeltritten eine Schädelverletzung davonträgt. "Ich bin sicher, er flüchtete in Traumwelten, insbesondere nach Mallorca. Pollença war für ihn ein Hafen des Friedens und der Schönheit", sagt Mackay.

Die österreichische Republik, damals noch nicht an das Nazi-Reich angeschlossen, setzt schließlich die Freilassung ihres Staatsbürgers durch. Mit den Zeichnungen, in denen Ripper seine Erlebnisse der Gefangenschaft verarbeitet, macht er sich einen Namen in antifaschistischen Kreisen. "Hitler spielt die Orgel des Hasses", heißt sein bekanntestes Werk. Die Kohlezeichnung zeigt, wie ein uniformierter "Führer" in die Tasten greift und sich dabei an einem Riesenrad die Leichen der Erhängten drehen.

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Im Spanischen Bürgerkrieg ist Ripper, der zuvor in der französischen Fremdenlegion diente, an der Front zu finden, als MG-Schütze in Flugzeugen. Der Krieg ruiniert ihm mit 23 Metallsplittern im Körper nicht nur die Gesundheit, sondern zerstört auch sein Weltbild: Der stalinistische Terror in den Reihen der roten Spanienkämpfer lässt ihn vom Kommunismus abwenden.

Amerikanische Kunstmäzene ebnen Ripper 1939 den Weg in die USA, wo Ausstellungen an der Ostküste ihm große Erfolge bringen. Ripper verkehrt mit Ernest Hemingway, Klaus und Erika Mann, Salvador Dalí. Doch Ripper will nicht nur Künstler sein, sondern die "Tyrannei zerschlagen, wo immer sie anzutreffen ist". So meldet er sich zur US-Armee, um gegen Hitler zu kämpfen. Er wird zum "Soldaten mit der Staffelei", der im Auftrag des Heeres die blutigen Schlachten am Monte Cassino in Italien künstlerisch verewigt.

Mit dem alliierten Siegeszug rückt Ripper in Österreich an, hilft in den Alpen mit, hochrangige SS-Offiziere zu enttarnen und festzunehmen, unter ihnen Otto Skorzeny, den berüchtigten Befreier von Mussolini am Gran Sasso.

Ripper wird aufgrund dieser Tätigkeiten immer stärker in das Netz der US-Geheimdienste eingebunden, steht nach dem Krieg auf der Gehaltsliste des CIA und agiert nach außen hin als US-Kulturattaché in Wien. In jenen Jahren lernt der Frauenliebhaber seine zweite Gattin, Ave Leege, kennen, eine ebenso junge und schöne wie reiche Erbin aus Amerika. Zusammen wollen die beiden den gemeinsamen Lebenstraum verwirklichen; eine Wohnung in Paris, ein Ferienhaus in Pollença, ein Dasein als Künstler und Gesellschafterin.

1952 wird mit Aves Geld das Haus Can Cueg am Torrent in Pollença gekauft. Ripper ist insgeheim dem CIA-Büro in Madrid zugeordnet. Die USA unterstützen im Kalten Krieg Spanien, es kommt Geld ins Land. Ebenfalls im Land des Diktators Franco halten sich viele ehemalige SS-Angehörige und Nazis auf. Skurrrile Zufälle des Daseins: Otto Skorzeny kauft sich ebenfalls ein Haus auf Mallorca, in Alcúdia, wenige Kilometer von Ripper entfernt.

Sind sich die beiden begegnet? Haben Sie alter Zeiten gedacht, beim Bier in einer Bar am Hafen? Sian Mackay spielt alle fiktionalen Möglichkeiten durch, wo Belege nicht vorhanden sind, um Aufschlüsse zu geben. Das gilt auch für den Tod Rippers, am 9. Juli 1960, allein in seinem Haus. Herzinfakt in der Garage unter dem Atelier, sagen die einen Quellen, ertrunken im Pool, deuten andere Quellen an. Ertrunken? Oder ertränkt? Nichts ist gesichert, alles denkbar. Und grenzenlos mysteriös. Selbst den ungeklärten Tod des britischen Geheimagenten Thomas Harris, ebenfalls ein begnadeter Maler, vier Jahre später auf Mallorca, bringt Mackay zur Sprache.

Und dann? Ave Leege behält das Haus, von dem Ripper nie müde wurde zu schwärmen, bis zu ihrem frühen Tod 1968. Danach geht es an einen mallorquinischen Nachbarn, der stets nach dem Rechten sah. Can Cueg steht Jahrzehnte leer und wird später an dessen Töchter vererbt. Derzeit soll es wieder verkauft werden, für drei Millionen Euro.

Bleiben die blaue Mappe, die Privatbriefe und die Fotos. Sie dienten Mackay dazu, das Leben des Künstlers aufzuzeichnen. Vor kurzem übergab sie die Dokumente einem Großneffen Rippers, den sie ausfindig gemacht hatte. Jetzt ruht die Mappe im Familienarchiv.

INFO
Von Ripper‘s Odyssey. War, Resistance, Art and Love, heißt das in Englisch erschienene Werk der schottischen Autorin Sian Mackay. ISBN: 9781910670934. Weitere Infos zum Buch und zur Autorin gibt es auf sianmackay.com

(aus MM 39/2016)