Felipe Colón de Carvajal und Forscher Gabriel Verd (r.) im neuen Kolumbus-Museum, das im Mai im Pueblo Español in Palma eingerichtet wurde.

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Dass Christoph Kolumbus Amerika entdeckt hat, weiß jedes Kind. Mehr noch: Der große Seefahrer ist tatsächlich die international bekannteste historische Persönlichkeit der spanischen Geschichte. Dass in Spanien selbst heute rund 100 direkte Nachkommen des Cristóbal Colón leben, ist hingegen weit weniger bekannt.

Jüngst war ein Vertreter der 18. Generation nach Kolumbus in Palma zugegen: Es handelt sich um Felipe Colón de Carvajal, einem Import-Export-Unternehmer aus Madrid. Das Besondere an dem jungen Mann mit den blauen Augen: Der Nachkomme des Entdeckers ist der erste, der sich öffentlich stark macht für die "spanische Variante". Soll heißen: Nach dieser Lesart war Kolumbus kein Tuchhändler aus Genua, wie man gemeinhin auf der ganzen Welt annimmt - sondern Spanier. Und nicht nur irgendein Spanier, nein. Der Entdecker soll vielmehr der Sohn - wenn auch ein unehelicher - des Prinzen von Viana gewesen sein, und damit wiederum sogar ein Neffe des aragonesischen Königs. Das war nun seinerseits jener Monarch, den die kastilische Königin Isabella 1469 zu ihrem Gemahl erkoren und damit den Grundstein für das heutige Spanien gelegt hatte. Letztlich waren es diese beiden "Katholischen Könige", die Kolumbus 1492 beauftragten, den westlichen Seeweg nach Indien zu finden, falls die Erde - wie auch immer - tatsächlich eine Kugel sein sollte, also keine flache Scheibe, von deren Rand ein Schiff unweigerlich in die Tiefen des Weltalls stürzen würde.

Die Theorie des "spanischen Kolumbus" wird verfochten von einer eingefleischten Gruppe von Forschern. Wer davon überzeugt ist, dass der große Seefahrer ein offiziell nicht anerkannter Sohn des Prinzen von Viana (und damit des aragonesischen Thronfolgers) war, der ist auch ein Verfechter der Theorie, dass Kolumbus das Licht der Welt in Felanitx erblickte und somit Mallorquiner war. Der Grund: Es wird vermutet, dass der Prinz von Viana seinen Sohn mit einer jungen Mallorquinerin, Margalida Colóm, zeugte, damals als er als ungehorsamer Kronprinz von seinem Vater auf die Insel und auf die Burg Santueri bei Felanitx verbannt worden war.

Es waren wilde Zeiten gewesen. Söhne und Vätern bekriegten sich um Königreiche und lösten blutige Fehden zwischen ihren Anhängern aus. Politik war damals schon eine vielschichtige Angelegenheit ...

"Kolumbus als Sohn des Prinzen von Viana und Neffe des aragonesischen Königs - das ist für mich die plausibelste Erklärung, die es gibt, um das Rätsel der Herkunft unserer Familie zu lösen", sagt Felipe Colón de Carvajal. So deutlich hat das in der Öffentlichkeit noch niemand aus der Linie der Kolumbusnachkommen kund getan. Felipes Blutsverwandte sind sich selbst höchst uneins in dieser Frage. Es gibt welche, die in Kolumbus durchaus den Genuesen sehen, andere hegen große Zweifel an dieser offiziösen Darstellung, geben sich aber nach außen hin diplomatisch und unparteiisch. "Jede Theorie zu Kolumbus hat ihr Für und Wider", wiederholt gerne ein anderer hochrangiger Vertreter der Familie, "letztlich sind es die Wissenschaftler, die hier zu einem eindeutigen Urteil gelangen müssten ..."

Unter den Forschern ist Gabriel Verd zumindest der herausragende Verfechter des "mallorquinischen Kolumbus". Er hat zu dem Themenkomplex mehrere Bücher veröffentlicht und in den vergangenen Jahren viel bewegen können: Dass im Jahre 2003 das Grab des Kolumbus geöffnet wurde, um Knochenproben für Erbgutanalysen zu entnehmen, ist letztlich dem beharrlichen "Ackern" Verds zu verdanken. Der passionierte Kolumbus-Experte hat, einer früheren Inseltradition folgend, zahlreiche Indizien für die Mallorquiner-Theorie zusammengestellt, die durchaus für einen Entdecker der Neuen Welt aus Felanitx sprechen könnten: So verzeichnen etwa alte Seekarten, die Kolumbus anfertigen ließ, typisch mallorquinische Namen wie "Margalida" oder "Boca de Drago" (Drachenmaul). Verd sieht darin einen Zusammenhang zwischen den karibischen Inseln, die von Kolumbus neue Namen erhielten, und seiner Heimatregion Felanitx, in der Kolumbus zumindest seine Kindheit verbracht hatte.

In dieses Schema passen Studien renommierter Wissenschaftler, die belegen, dass Kolumbus seine Briefe in Spanisch und Latein verfasste, jedoch nie in Italienisch. Wenn sich Fehler einschlichen, dann waren es typische "Hispanismen", aber keinesfalls italienische oder genuesische Einflüsse.

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Mehr noch aber hält Forscher Verd die politischen Zusammenhänge der damaligen Zeiten für Indizien, mit denen er seine Theorie unterfüttert. So beruft er sich etwa auf den Vertrag, den die Spanischen Könige mit Kolumbus noch vor seiner ersten Amerika-Fahrt abschlossen. Sie statteten ihn damals mit ungewöhnlich hohen Amtsfunktionen aus, wie sie seinerzeit allenfalls Familienangehörigen oder allerhöchsten Adeligen zugestanden wurden. Es handelt sich um den Titel "Don" sowie um die Funktionen eines "Admirals", eines "Vize-Königs" und eines "Generalgouverneurs". Kolumbus bekam somit eine für die damalige Zeit unglaublich große Machtbefugnis und Rechtsfähigkeit zuerkannt, ohne überhaupt in Richtung Westen in See gestochen zu sein. "Wie ist es möglich, dass die oberste Staatsführung solche Vollmachten einem ausländischen, unbekannten und referenzlosen Tuchhändler aus Genua zubilligen würde, der obendrein noch gar nichts entdeckt hat?", fragt Verd und schüttelt dazu heftig den Kopf. Für ihn ist die Sache eindeutig. Isabella und Fernando erkannten in Kolumbus einen Angehörigen. Nach außen hin und in den Dokumenten der damaligen Zeit wurde jedoch die Herkunft des Mann aus Felanitx verschleiert, aus politischen Gründen, auch um ein Wiederaufflammen alter Familienfehden in Aragón zu verhindern. Kolumbus musste seine Herkunft verschweigen. Selbst seinen beiden Söhnen Diego und Fernando hat er sich nie offenbart. So wissen die Nachkommen bis heute nicht, wo die Wiege ihres Urahn tatsächlich stand.

"Es hat sich alles manipulieren lassen. Alle Dokumente, alle schriftlichen Zeugnisse. Aber nicht das Erbgut", sagte Kolumbus-Nachkomme Felipe, der sich mittlerweile mehrfach auf Mallorca mit dem Forscher Verd getroffen hat. Die beiden setzten ihre Hoffnungen auf einen genetischen Erbgutabgleich, der bereits im Jahre 2003 in Angriff genommen worden war. Damals hatten sich die renommiertesten Genforscher aus Spanien, USA, Rom und Deutschland Gewebeproben aus dem geöffneten Kolumbus-Grab gesichert (wenn es sich denn um das authentische Grab handelt, aber das ist eine andere lange und verworrene Geschichte). Das Problem damals: Die Knochenstücke waren so alt und schlecht gelagert, dass es mit den damaligen Labormethoden nicht gelang, den Gen-Code zu entschlüsseln. Schon damals war es das Ziel gewesen, das Erbgut mit dem eines Onkels des Prinzen von Viana abzugleichen. Stimmen die Sequenzen überein, dann wäre dies ein genetischer Beleg für die Vaterschaft des Prinzen in Sachen Kolumbus. Und damit wäre wiederum bewiesen, dass Kolumbus ein Mallorquiner war ...

Mittlerweile tut sich wieder etwas an der genetischen Entdeckerfront. "Die Methoden sind mittlerweile so ausgereift, dass sich vielleicht schon bald neue Erkenntnisse gewinnen lassen", sagte der Arzt und Humangenologe José Antonio Lorente von der Universität Granada. Der medizinische Forensiker ist eine Koryphäe seines Fachs und wird stets herangezogen, wenn es gilt, Tote aus dem Spanischen Bürgerkrieg ihren Angehörigen zuzuordnen, nachdem man die sterblichen Überrste der Erschossenen den Straßengräben und Massengräbern entnommen hat.

"Vielleicht können wir bereits im Oktober etwas Neues bekanntgeben, und es würde mir gefallen, wenn es der 12. Oktober wäre", sagte Lorente vor wenigen Wochen in Palma mit Bezug auf den Jahrestag der Entdeckung Amerikas.

Auch Felipe Colón de Carvajal sehnt den Tag herbei, an dem die Wissenschaft womöglich das Rätsel seiner Familie lösen, das Mysterium um Kolumbus enthüllen und das Geheimnis der Geschichtsschreibung lüften könnte.

Was wäre, wenn Kolumbus tatsächlich Spanier gewesen wäre, noch dazu Mallorquiner? "Für uns als Familie wäre es sehr bewegend. Und für Spanien wäre es ein Anlass zu großem Stolz."

Auch Gabriel Verd, der 2003 bei der Öffnung des Kolumbus-Grabes in Sevilla dabei war, sieht sich kurz vor Abschluss einer langen Reise, die womöglich mit einer spektakulären Entdeckung enden könntet. Schon jetzt präsentiert er seine Forschungen und Argumente für die "Spanien-These" in einem neuen Museum, das vor einem Monat im architektonischen Ensemble-Dorf Pueblo Español in Palma eingerichtet wurde. Hier macht er Besucher aus aller Welt mit der "Mallorca-Theorie" zu Kolumbus bekannt. Und erntet damit oft ungläubiges Staunen ...

(aus MM 26/2016)