Von Norddeutschland bis Österreich sind sie nach Mallorca gereist, sie gehen verschiedenen Berufen nach und ihre Lebenswege ähneln sich kaum. Bis auf ein Detail: Birgit, Michaela und Gabi leiden an starkem Haarausfall, und das schon seit Jahren.
Jede dritte bis fünfte Frau hat irgendwann in ihrem Leben einmal leichten Haarausfall, sei es durch hormonelle Schwankungen während der Schwangerschaft oder Eisenmangel, weiß Jenny Latz. Sie hat die drei Frauen in Font de Sa Cala zusammengebracht. Denn anders als bei vorübergehenden leichten Haarausfallproblemen sind die Fälle hier extrem: Gabi hat vernarbenden Haarausfall, ausgelöst durch eine Autoimmunkrankheit, die ihre Kopfhaut angreift. Seit 15 Jahren hat sie nur an den Seiten Haare, ihr Scheitel ist kahl. Birgit und Michaela leiden an kreisrundem Haarausfall (Alopecia areata), haben dauerhaft eine Ganzkopfglatze, genau wie Coach Jenny Latz.
"Es soll ein Zusammentreffen wie unter Freundinnen sein, bei dem sich die Teilnehmerinnen gegenseitig verstehen", erklärt Jenny Latz. Bereits zum zweiten Mal bietet die Krefelderin das Seminar auf Mallorca an. "Weg von Zuhause und in Urlaubsatmosphäre kann man das Thema besser angehen", findet sie. Latz weiß, wovon sie spricht: Die 60-Jährige hat seit dem Abitur kaum noch Haare. Die ersten Jahre fiel es ihr sehr schwer. "Da hätte ich auch gerne bei so einem Angebot wie dem hier mitgemacht", sagt sie. Mittlerweile ist sie mit sich selbst im Reinen, hat schon zahlreiche Ratgeberbücher geschrieben und war jahrelang Bundesvorsitzende von Selbsthilfegruppen.
Fünf Tage verbringt sie mit den Seminarteilnehmerinnen in Font de Sa Cala, gibt Tipps und vor allem Raum für Reflektion und Austausch. Hierbei wird deutlich, wie unterschiedlich die Teilnehmerinnen mit ihrem Haarausfall umgehen.
Da ist Michaela, auf den ersten Blick tough und selbstbewusst. Ohne Hemmungen sonnt sie ihren Glatzkopf am Paseo Marítimo in Cala Rajada, wo die Frauen zum Abschluss des Seminars noch shoppen gehen wollen. Aber auch in ihrer Heimat Bremen hat sie kein Problem damit, ohne Perücke oder Kopftuch rauszugehen. "Als es vor neun Jahren anfing, habe ich es in meiner Abteilung in der Firma offen angesprochen und auch in meiner Handballmannschaft."
Von einem so offenen Umgang mit ihrem Haarausfall ist Birgit noch weit entfernt. Sie versteckt ihren Glatzkopf unter einem Tuch, selbst hier auf Mallorca, wo niemand sie kennt, Tausend Kilometer von ihrer Heimat entfernt. Ihr kommen die Tränen, als sie über ihren Leidensweg spricht.
Auch Gabi nimmt ihr Haarteil nie ab. Sie hat vieles versucht: vermeintliche Haarwuchssprays, Haartransplantationen. Bei über 30 Ärzten war sie bereits. "Irgendwann habe ich aufgehört zu zählen", sagt sie und der Frust in ihrer Stimme ist nicht zu überhören. "Man fühlt sich wie ein Versuchskaninchen, vor allem bei den Ärzten, die nicht zugeben wollen, dass sie nicht weiter wissen."
Unsicherheit, Hoffnungen und Enttäuschungen kennen auch Birgit und Michaela nur allzu gut. Genau wie das Gefühl, unehrlich zu sein, wenn man auf eine Perücke zurückgreift. Nicht der Haarausfall an sich sei das Hauptproblem, sondern das eigene Selbstwertgefühl, das darunter leidet. "Wir sind eigentlich kerngesund, unsere Blutwerte sind spitze. Dann ist es umso frustrierender, wenn Leute uns mitleidig anschauen und uns alles Gute wünschen, weil sie uns mit Chemotherapie-Patienten verwechseln", so Jenny Latz. Krebspatientinnen wiederum litten oft mehr am Haarverlust als an der Krankheit selbst. "Man fühlt sich ohne Haare nackt und ungeschützt. Für mich ist es ein Makel und damit umzugehen, ist nicht leicht", sagt sogar die toughe Michaela.
Auf Mallorca haben die Teilnehmerinnen sich Aufgaben gestellt, um mit ihren Ängsten besser umgehen zu können. "Ich bin tatsächlich ohne Kopfbedeckung die Straße am Strand hoch und runter gelaufen", erzählt Birgit. "Es war eine riesige Überwindung, das habe ich vorher noch nie gemacht. Aber dann hat es sich doch gut angefühlt. Das war die Freiheit, die ich immer wollte." Aber auch die Sonnenbrille habe geholfen, fügt sie hinzu. Und es waren ja auch nur ein paar Minuten.
Jetzt gilt es, die Denkanstöße und Erfahrungen von Mallorca auch in den Alltag daheim einfließen zu lassen. Leicht wird das nicht, das wissen sie alle. Aber sicherlich hilft es doch, immer mal wieder daran zurückzudenken, wie die meisten Leute am Strand oder im Sonnencafé reagiert haben, als sie die selbstbewusste Jenny Latz mit ihrer Glatze wahrnahmen: Freundlich und wohlwollend, so, wie man auf eine extrovertierte 60-Jährige eben reagiert - Haare sind nun einmal lange nicht alles im Leben.
AUSLÖSER VON HAARAUSFALL
Erblich bedingter Haarausfall ist die häufigste Form und tritt bei Männern und Frauen gleichermaßen auf, allerdings kommt es bei Frauen nie zu ausgeprägter Glatzenbildung.
Beim diffusen Haarausfall nimmt über den ganzenKopf verteilt die Haardichte ab. Zu völliger Kahlheit kommt es nie.Gründe können u.a. Stress, Hormonstörungen und Infektionen sein.
Bei kreisrundem Haarausfall fallen die Haare in umgrenzten Flecken aus, manchmal fallen alle Körperhaare aus. Ursache sind Autoimmunerkrankungen, die nicht bekämpft werden können.
Vernarbender Haarausfall kommt durch Kopfhauterkrankungen. An den betroffenen Stellen können keine Haare nachwachsen.
Infos auf www.haircoaching.de
(aus MM 44/2015)
3 Kommentare
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Gott beschütze uns vor dummen Menschen ohne jegliche Emphatie.
Aphorismen= Lieber Haare auf den Zähnen, als gar nichts zu beißen.-- Lieber ein Haar in der Suppe, als Suppe im Haar.-- Das Haar ist eine Sumpfpflanze, es gedeiht nur auf Wasserköpfen.-- Gott beschütze uns vor behaarten Frauen und bartlosen Männern.--
Schön, schön, aber die Frauen, die ich bisher ohne Haare kennen lernte, verloren sie wegen einer Chemotherapie gegen Krebs. Sie wären glücklich darüber gewesen, noch so wenige Haare auf dem Kopf zu haben, wie diese Damen da oben wegrasiert haben.