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Als die alliierten Bomberflotten am 15. Februar 1945 Dresden in Schutt und Asche legen, ist Isabel Raabe eine der Augenzeuginnen. Vom Vorort Freital aus kann sie sehen, wie sich der nächtliche Himmel verfärbt. "Es hatte Voralarm gegeben, und meine Eltern hatten uns Mädchen angewiesen, in einer der Höhlen am Windberg Schutz zu suchen", erinnert sich Raabe fast sieben Jahrzehnte später an ihre Kindheit und Jugend im Zweiten Weltkrieg. Die Eltern eilten herbei, beladen mit Decken und Lebensmitteln, als die ersten Bomben fielen. "Es war wie ein Feuerwerk, aber es machte mir Angst."

Isabel Raabe ist 13, als die Heimatstadt ihrer Angehörigen über Nacht mit Brandbomben weitgehend ausgelöscht wurde. Damals kamen schätzungsweise 25.000 Menschen ums Leben, unter ihnen viele Flüchtlinge aus den östlichen Landesteilen, in denen die Rote Armee auf dem Vormarsch war.

Auch Verwandte von Raabe werden in der Brandnacht getötet. Ihr Onkel und seine Frau samt Schoßhund werden tot aus dem Luftschutzkeller geborgen, sie sind aufgrund des über ihnen wütenden Feuers an Sauerstoffmangel erstickt. "Ich habe es nicht mit eigenen Augen gesehen, weil man uns Kinder nicht die Nähe ließ, aber sie sollen - Hand in Hand - im Sitzen gestorben sein ..."

Welches Schicksal hatte die junge Deutsch-Mallorquinerin 1945 nach Dresden verschlagen? Geboren wurde Isabel Raabe 1931 auf Mallorca. Ihr Vater Franz Raabe war einer jener Handwerker, die sich bereits in den 1920er Jahren in Spanien niederließen. Er arbeitete in der Glasfabrik Can Llofriu, die unter anderem Flaschen herstellte. Auf der Insel lernte er die Mallorquinerin Dolores Serra kennen. Das Paar heiratete und bekam drei Töchter: neben Isabel waren das 1929 Emilia und 1933 Dolores.

Die kommenden Jahre lebt die Familie ihren Alltag. Dann bricht 1936 der Spanische Bürgerkrieg aus und wirft einen Schatten auf das Glück. Joan Serra, Isabels Onkel, wird als Kommunist von den Franquisten verhaftet und erschossen. 1939, mittlerweile ist der Zweite Weltkrieg ausgebrochen, kommt der nächste Schlag. "Der deutsche Konsul suchte meinen Vater auf und zwang ihn regelrecht, nach Deutschland zurückzukehren. Er sagte, besser Sie gehen jetzt freiwillig, sonst haben Sie später das Nachsehen ...". Franz Raabe weiß, dass im Nazi-Reich ein Mangel an Fachkräften herrscht. Er ist bereit, alleine zu gehen, doch seine spanische Frau besteht darauf, dass die Familie sich nicht auseinanderreißen lässt. "Wir gehen alle", setzt sie durch.

Es muss ein harter Schritt für sie gewesen sein. "Meine Mutter hatte eine unglaubliche Wut auf Hitler, den Verbündeten von Franco, dessen Anhänger wiederum ihren Bruder ermordet hatten. Das hatte auch sie zur Kommunistin werden lassen. Und als solche sollte sie nun in Nazi-Deutschland leben."

Die Familie verlässt Mallorca. Sie wird unterwegs ihrer Koffer bestohlen und gelangt Anfang 1940 nach Dresden, wo auch die deutschen Großeltern von Isabel Raabe leben. Ihre Schwestern und sie sprechen kein Wort Deutsch, als sie eintreffen. Das ist aber offenbar kein Problem für die Mädchen. "In dem Alter lernt man das innerhalb weniger Tage", sagt Isabel Raabe. Sie kann sich nicht erinnern, von den neuen Mitschülern gehänselt worden zu sein. Im Gegenteil, die Neunjährige fand bald Freundinnen und lebte sich rasch ein. Kaltes, graues Deutschland? Von wegen. "Wir liebten es, im Schnee zu spielen."

Doch die ersten Tage müssen die Mädchen zunächst im Haus bleiben. Bis der Blockwart kommt und sich erkundigt, warum sie nicht die Schule besuchen. "Wir haben keine winterfesten Schuhe für die Kinder", erklärt der Vater. Da werden der Familie Versorgungsmarken für Stiefel und Bekleidung ausgestellt.

Franz Raabe arbeitet in den dortigen Glaswerken, sein Nachwuchs tritt in die obligatorische Nazi-Organisation Bund Deutscher Mädel (BDM) ein. Störte sie der Zwang zur Uniform? "Nein", sagt Isabel Raabe, "das war gut so. So konnte ich meine Kleider schonen."

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Nur die Mutter verabscheut Deutschland. Aus Protest gegen Hitler verschließt sie sich der deutschen Sprache.

Am Ende rückt der Krieg immer näher an Dresden heran. Der Vater, der im Betrieb bei einem Arbeitsunfall einen Daumen verloren hatte, muss als letztes Aufgebot zum Volkssturm. Für ihn endet der Krieg mit einer Kopfverletzung durch umherfliegende Granatsplitter.

Und dann kommen die Russen. Anders als die BDM-Führerin Gisela der 14-Jährigen stets eingetrichtert hatte, verspeisen die Soldaten der Roten Armee dann doch keine Kinder. "Sie schenkten uns Bonbons." Auch Vergewaltigungen habe sie in ihrem Umfeld nicht wahrgenommen, wohl aber schlief so manche Nachbarin mit den Russen, um Lebensmittel zu erhalten.

Bald schon sollten die Jugendlichen in neuen Organisationen kommunistisch erzogen werden. Und da taucht erneut Gisela auf, wieder als Erzieherin. "Sie erzählte uns nun das krasse Gegenteil zu früherer. Da beschloss ich, mit Politik nichts mehr zu tun haben zu wollen. Dabei blieb es bis heute."

Isabel geht weiter zur Schule, mit 16 beginnt sie eine Lehre als Schneiderin. Der Vater arbeitete in einer Brotfabrik, Hunger habe die Familie nicht gelitten. "Wir waren glücklich. Wenn man mich und meine Schwestern gefragt hätte, dann wären wir einfach in Deutschland geblieben", erinnert sich Raabe.

Doch die Mutter pocht auf Rückkehr. Sobald das Geld für die Heimreise verdient ist, soll es losgehen. Allerdings dauert es bis 1949, bis die Besatzungsbehörden Reisegenehmigungen ausstellen.

Als Isabel Raabe die Bucht von Palma sieht, verliert sich ihr Heimweh rasch. Die Familie bekommt wieder spanische Pässe, auch der Vater. Er verzichtet auf die deutsche Staatsangehörigkeit, um nicht wieder Gefahr zu laufen, von den Seinen getrennt zu werden. Bald schon eröffnen die Raabes eine kleine Pension in Palma, heute ist das Haus ein Kindergarten.

"Es ist merkwürdig", sagt Isabel Raabe, "in Deutschland wurden meine Schwestern und ich stets ,die Spanierinnen' genannt, hier sind wir immer ,las alemanas'."

Und heute? Fühlt sich Isabel Raabe als Deutsche oder als Mallorquinerin? "Ach", sagt die 83-Jährige, "eigentlich fühle ich mich nur noch alt."