Die Caritas-Chefin auf Mallorca, Margalida Maria Riutort, kritisiert das derzeitige Wirtschaftsmodell. | Foto: Teresa Ayuga

TW
3

Das will gar nicht zum Image der Trauminseln im Mittelmeer passen: Auf den Balearen sind 306.000 Menschen von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Das ist fast ein Drittel der Bevölkerung. Wie in kaum einer anderen spanischen Region klafft die Schere zwischen Arm und Reich hier auseinander und die Krise hat die Kluft besonders verstärkt. Seit 2008 haben die sozialen Unterschiede auf den Balearen um 10,8 Prozent zugenommen, landesweit dagegen um 8,6 Prozent, und das, obwohl hier Arbeitsplätze geschaffen worden sind, das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf höher und die Arbeitslosenrate niedriger ist als in Spanien insgesamt.

Ein Drittel aller balearischen Haushalte kann die laufenden Wohnungskosten, wie Miete, Wasser oder Elektrizität nicht mehr bezahlen, 12 Prozent mussten medizinische Behandlungen aus Kostengründen abbrechen, 3,7 Prozent leiden unter Hunger. Die überwiegende Mehrheit der Betroffenen sind nicht Einwanderer aus dem Süden, sondern Spanier und andere EU-Bürger.

Dies sind einige der Ergebnisse der Studie zur "Armut und sozialen Entwicklung in Spanien" der Caritas-nahen Stiftung Foessa. MM sprach mit der Direktorin von Caritas Mallorca, Margalida Maria Riutort.

Mallorca Magazin: Was ist die Stiftung Foessa, Frau Riutort?

Margalida Maria Riutort: Die Stiftung wurde 1965 auf Initiative von Caritas ins Leben gerufen, um die soziale Wirklichkeit in unserem Land objektiv zu ermitteln. An der letzten von insgesamt sieben Studien zur "Ausgrenzung und sozialen Entwicklung" haben neunzig unabhängige Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen wie Soziologie, Recht oder Wirtschaft aus ganz Spanien vier Jahre lang gearbeitet. Spanienweit wurden 25.000 Personen befragt, auf den Balearen waren es 1786.

MM: Wieso hat die Wirtschaftskrise die sozialen Unterschiede auf den Balearen mehr verschlimmert als im restlichen Spanien?

Riutort: Die Balearen-Regierung hat sich an die Vorgaben zur Einhaltung der Defizitgrenzen gehalten und das hat zu einer verstärkten sozialen Ausgrenzung der benachteiligten Schichten geführt. Andere Autonome Regionen waren nicht so strikt. Die Balearen-Regierung sagt, sie habe bei den Sozialausgaben nicht gekürzt, aber das ist nicht wahr. Im Gesundheits- und im Bildungswesen gab es Kürzungen. Dadurch standen zum Beispiel weniger Stipendien zur Verfügung und die Bedingungen für Sozialleistungen wurden hochgeschraubt. Es wurden einige Arbeitsplätze geschaffen, aber sie sind unsicher, Teilzeit oder befristet, ganz zu schweigen von der zunehmenden Schwarzarbeit.

MM: Wie spürt Caritas die Auswirkungen der Krise?

Riutort: Der Anteil an Mallorquinern beziehungsweise Spaniern gegenüber Einwanderern aus dem Süden ist gestiegen. Während wir 2009 bis 2010 noch 13 Prozent Spanier und 87 Prozent Einwanderer in unseren Programmen hatten, ist das Verhältnis heute 40 zu 60. Viele Lateinamerikaner sind in ihre Heimatländer zurückgekehrt, Afrikaner und Osteuropäer weniger. Wir sehen auch, dass viele ausgebildete Menschen keine Arbeit haben und nicht vorankommen. Der Arbeitsmarkt ist zu kompetitiv und wird es noch lange bleiben. Durch die schwindenden Ressourcen kämpfen die Menschen immer mehr mit den hohen Wohnungskosten auf Mallorca. Es gibt viel zu wenige Sozialwohnungen. Die Hypotheken erdrücken die Familien - sofern sie sie nicht aufgegeben haben. Bislang half ein familiäres Polster: Mehrere Generationen leben in einem Haus, Großeltern versorgen Kinder und Enkel. Diese Stütze zerfällt langsam. Das Ersparte geht zu Ende, Großeltern sterben und ihre Rente fällt weg. Das wahre Ausmaß der Armut wird erst langsam sichtbar.

MM: Wie hat die Balearen-Regierung auf die Foessa-Studie reagiert?

Riutort: Gar nicht. Die Studie zeigt weniger die Auswirkungen der Krise auf als die des Systems an sich. Schon 2006, als die Wirtschaft noch blühte, wies die Foessa-Studie ein erhebliches Ausmaß an Armut und sozialer Ausgrenzung nach. Die Krise hat das nur verstärkt. Die Frage ist also, wohin führt uns unser Wirtschaftsmodell? Wollen wir eine Gesellschaft, in der immer weniger Menschen immer mehr Geld haben und immer mehr Menschen ins Abseits geraten? Die Balearen gehören zu den Regionen Spaniens, in denen die Kluft zwischen Arm und Reich am meisten gewachsen ist. Die Studie klagt die soziale Wirklichkeit in unserem Land an. Die Politiker geben nicht gerne zu, dass da etwas grundlegend falsch läuft.

Die Fragen stellte MM-Mitarbeiterin Eva Carolin Ulmer.

(aus MM 52/2014)