Der Herbstwind pfeift durch die von Pappeln gesäumten Straßen. Eine kleine Windhose lässt Laub und zwei Kartons zwischen geparkten Autos zirkulieren, während sich die hohen Bäume nach rechts und links wiegen, wie zum langsamen Rhythmus einer Mittelmeermetropole im Winter.
Hier und da blitzt ein Sonnenstrahl durch die dichte Wolkendecke und die wenigen Mutigen, die dem Herbstwetter trotzen und vor den Cafés im Freien sitzen, recken ihre Hälse gen Himmel. Vor einem kleinen Lokal hat sich ein Paar in Wollschals und Mützen gehüllt und wärmt sich die Hände an mit Heißgetränken gefüllten Tassen.
Direkt gegenüber befindet sich der Eingang zur Markthalle von Santa Catalina. Drinnen ist alles dunkel, die Blechrollos der Ladenlokale sind heruntergelassen, eine Frau spritzt den Boden mit einem Schlauch ab. Aus einem vergitterten Fenster gleich neben dem Eingang dringt Fischgeruch nach draußen, als letzter Zeuge eines erfolgreichen Markttages.
Santa Catalina, heute Palmas Trendviertel, lockt vor allem im verkehrsberuhigten Carrer de la Fábrica und den der Altstadt zugewandten Ecken Nachtschwärmer in die kleinen Lokale und Bars. Hier, in den Straßen hinter der Markthalle ist es ruhig. Im Carrer del Pou sitzt eine Frau mit burschikosem Kurzhaarschnitt hinter einem Schaufenster und tippt etwas in ihren PC. Über dem Eingang hängt ein Schild, auf dem "Trading Place" steht. Beim Hineingehen läuten kleine Glöckchen über dem Türrahmen. "Hello" sagt Nicky Prescott, die unüberhörbar aus dem angelsächsischen Sprachraum kommt. "I'm from South Africa", sagt die Frau mit der tiefen Stimme und erklärt, dass sie seit zehn Jahren mit gebrauchten Büchern handelt. "Wenn Menschen die Insel verlassen - und von denen gibt es viele - dann rücke ich an und hole ihre Bücher ab, die Regale nehme ich meistens auch mit. Das alles verkaufe ich dann hier, in meinem 'Trading Place' für alte Bücher", so Prescott.
Und mit ihrem "Second-Hand-Laden" ist sie hier, im alten Santa Catalina, nicht alleine. Ruth Jiménez ist auch auf den Zug aufgesprungen, verfolgt aber ein etwas anderes Konzept als Prescott. Sie verkauft Second-Hand-Luxusklamotten. "Das läuft richtig gut, ich verkaufe im Kundenauftrag und kassiere eine Kommission. Was nicht weggeht, kriegt der Kunde nach drei Monaten wieder zurück." Vor allem in Spanien sei es aber zu Beginn schwer gewesen. "Es gab lange keine Second-Hand-Kultur wie in Skandinavien, England oder Deutschland. Die Leute dachten lange, Second-Hand-Ware stinke und sei ausgeleiert." Mit ihrem Laden will Jiménez dieses Bild aus den Köpfen der Menschen herausbekommen. "Dieses Viertel hier ist ideal dafür. Hier leben viele alternativ Angehauchte, aber mit relativ dickem Geldbeutel."
Im Carrer d'Anníbal, findet sich ein ganz besonderes Zeugnis des alten Santa Catalina. Eine kleine Straße zweigt ab in eine Art Hof, endet dann aber vor einer Wand und erinnert an die Straßen in Londoner Arbeitersiedlungen. Einige der Häuser sind frisch renoviert, bei anderen sind die Fenster hinausgebrochen und durch Löcher in der Decke leuchtet das Licht des Herbsthimmels. Die Anwohner haben segelartige Planen über ihre Straße gespannt, offenbar um im Sommer Schutz vor der Sonne zu haben, die das kleine windstille Sackgässchen sicherlich ordentlich aufheizt.
Unweit davon, in einer kleinen Bar, dem Can Manat, sitzt eine Gruppe von Anwohnern bei einer Flasche Sekt zusammen und philosophiert. "Immer mehr Deutsche und Schweden kaufen hier Grundbesitz", erklärt das Gespann. Dennoch haben sie mit den meisten Mallorquinern, die hier leben, eines gemeinsam: Sie alle lieben ihr "Barrio". Miguel Ángel Alameda, der die kleine Bar betreibt, lehnt lässig zwischen Zapfhahn und Schinkenbein und schmunzelt über seine weinselige Klientel. Was das Viertel angeht, muss er den Gästen aber beipflichten: "Es ist wirklich toll hier. Das ist ganz bestimmt das attraktivste Viertel in Palma."
Plötzlich hält vor dem Lokal ein Müllwagen. Der Fahrer macht in seiner Kabine ausschweifende Gesten in Richtung der Bar, offenbar steht ein Lieferwagen vor der Mülltonne, die er gerade leeren will. Miguel Ángel Alameda eilt hinaus und prompt wird aus der Angelegenheit ein kurzes, angeregtes Gespräch. Die Menschen haben Zeit hier, zumindest in den Wintermonaten. Das Viertel scheint ein buntes Miteinander zu sein, die Grenzen zwischen "Tourist", "Resident" und "echter Einheimischer" verschwimmen. Eine schöne Atmosphäre.
(aus MM 50/2014)
1 Kommentar
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Farbenfroh? Keine Frage. Würde man sich jetzt noch etwas mehr um den Müll und den Hundedreck kümmern, und bei den Spaniern selbst mal mit etwas mehr Aufklärungsarbeit ansetzen was die Sauberkeit angeht, wäre das Stadtviertel (und viele weitere) wirklich ein Traum