Mallorca dient europäischen Autokonzernen immer wieder als Präsentierteller: Hersteller renommierter Marken - wie jüngst BMW im Hotel Son Vida - debütieren hier gerne mit ihren neuesten Modellen, um sie einem Fachpublikum aus Vertragshändlern und Motorsport-Journalisten vorzustellen, inklusive ausgiebiger Testfahrten über die Autobahnen und Bergstraßen des Eilands. In den Medien wird Mallorca dann gelegentlich als "Auto-Insel" glorifiziert. Dieser Terminus mag durchaus zutreffend sein. Kritiker wiederum nutzen den Begriff, wenn sie ihrerseits auf das als dürftig empfundene Netz des öffentlichen Nahverkehrs mit Bus und Bahn verweisen.
Welche "Auto-Insel" auch immer gemeint sein mag - einen Aspekt verkennt der Begriff nahezu immer, einfach deshalb, weil man schon tief in die Vergangenheit der Insel hinabsteigen muss, um eine ganz andere "Auto-Insel" aus dem Keller der Geschichte holen zu können: Nur die eingefleischtesten Inselkenner wissen, dass auf Mallorca einst Autos hergestellt wurden. Eine Marke mit eigenen Namen: "Loryc". Mallorca, die Auto-Insel: sie war schon von bereits von 1920 bis 1923 Realität.
Es handelt sich um 84 Wagen, die wie in einer Manufaktur per Hand gefertigt wurden, auch wenn der Motor aus Frankreich stammte. Dennoch waren die Lorycs durchaus Fahrzeuge von Insel-Prestige, noch dazu, da sie an spanienweiten Autorennen teilnahmen und nicht selten mit Auszeichnungen bedacht wurden. Die Lorycs waren eine Erfolgsgeschichte made in Mallorca, wenn auch von kurzer Beständigkeit.
Antonio Batle Manresa ist hauptberuflich Hotelier im Inselosten, aber seine ganze Leidenschaft gehört den Oldtimern und Motoren, die einst auf der Insel konstruiert wurden. Damals, als im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts die Insel elektrifiziert wurde und in jedem Dorf die Nachfrage nach Strom aufkam, entwickelten findige Tüftler in Palma, Sóller, Felanitx, Sineu und anderswo transportable Generatoren, um damit Strom zu erzeugen und Maschinen anzutreiben, unter anderem in den Webereien, Werften und Schuhfabriken der Insel. Mallorca war damals weitaus stärker mit einer produzierenden Konsumgüterindustrie gesegnet als heute. In dieser geschäftigen Aufbruchstimmung keimte auch die Idee, Autos herzustellen, wie sie in Italien, Frankreich, Deutschland und USA produziert wurden. Selbst in Spanien gab es damals ein halbes Dutzend heimischer Autofirmen.
Wie kaum ein anderer auf Mallorca kennt Antonio Batle sich in jener Phase des Kapitalismus gut aus. Der Autosammler besitzt eine ganze Flotte an motorisierten Fuhrwerken jener Jahre, wie etwa museale Peugeots und Delages. Der 77-Jährige nennt darüber hinaus drei auf Hochglanz polierte Lorycs sein Eigen und hat in Jahrzehnten mit unvergleichlichem Jagdeifer auch das gesamte Archiv jener längst vergangenen Autofirma zusammengetragen.
Die historischen Tatsachen und Zusammenhänge der Eigenmarke Loryc sind längst erforscht: Im Jahre 1919 taten sich drei geschäftstüchtige Inselunternehmer zusammen, mit dem Ziel, Autos auf Mallorca zu fertigen. Es waren dies Fernando Alzamora, ein Kaufmann und Elektrowaren-Händler, Rafael de Lacy, ein Militär und Vertreter der belgischen Autofirma Minerva, sowie Antonio Ribas, Stiefel- und Decken-Fabrikant sowie Reeder im Südamerika-Handel. Dieses Trio formte zunächst einen Ersatzteil- und Reparaturbetrieb speziell für Lastwagen und Busse, doch schon bald stand den Herren der Drang nach mehr. Aber um eine eigene Autofirma zu gründen, benötigten sie einen Ingenieur. Sie fanden ihn im Franzosen Lorenzo Ovrard.
Ribas und Ovrard begaben sich nach Paris zum Fabrikaten Henri Précloux, der die Automarke EHP herstellen ließ. Mit ihm schlossen sie einen Lizenzvertrag, um ein Auto aus seiner Fertigung nachbauen zu können, unter Benutzung des EHP-Motors. Précloux sollte dafür pro Wagen 300 Pesetas erhalten. Zusätzlich erwarben die mallorquinischen Unternehmer ein Musterauto für 6000 Pesetas. Das war damals viel Geld. Mit Summen dieser Art ließen sich damals auf der Insel ganze Immobilien erwerben. Der Besitz eines Autos war ein Prestigeobjekt für Gutbetuchte.
In Palma wurden die Wagen nachgebaut, wenn auch in anderem Design und Details, weiß Antonio Batle. So wies das Original EHP-Autorad 52 Speichen auf, beim Loryc waren es nur 40, kräftigere Speichen. Die meisten Exemplare waren offene Zweisitzer, die blechernen Cabriolets wurden im Volksmund liebevoll "Sardinen" genannt, aber es gab auch wenige Dreisitzer und einige wenige geschlossene Limousinen. Gestartet wurden die Benziner mit der klassischen Handkurbel.
Nachdem alle Vorbereitungen getroffen waren, gründete sich am 12. Januar 1920 offiziell die Firma "Lacy Ribas & Compañía", mit einem Grundkapital von 50.000 Pesetas. Die erste Fertigungsstätte befand sich im Osten der Altstadt von Palma, an der heutigen Avinguda Gabriel Alomar Villalonga. 1922 zog man um in die Fabrikhalle eines Düngemittelherstellers an die Küste des Stadtteils El Terreno. (Heute befindet sich dort der in den 1950er Jahren errichtete Paseo Marítimo). Das Stammkapital der Firma wurde auf 500.000 Pesetas aufgestockt. Damals erfolgte auch eine Umbenennung des Unternehmens in "Loryc Sociedad Alzamora SA". Der Name "Loryc" war dabei ein kreatives Kunstwort, das sich aus Lacy, Ovrard, Ribas y Compañía zusammensetzte.
Der erste gefertigte Loryc rollte 1921 vom Hof und wurde am 10. Juli desselben Jahren auf das Autokennzeichen "BA 507" registriert. Zwei bis drei Dutzend Mitarbeiter gossen und schweißten das Chassis und die Achsen, fertigten die Verkleidung, Bremsen, Lenkvorrichtung, Sitze et cetera. Die Räder stammten meist aus Barcelona. Der Stundenlohn für die Arbeiter: Eine Peseta. Genauso viel kostete ein Liter Benzin. "Damals verdienten Arbeiter wenig, aber sie hatten relativ wenige Ausgaben. Heute verdient man viel, aber es reicht nicht, um über die Runden zu kommen", kommentiert Antonio Batle das Verhältnis von Entlohnung und Kaufkraft damals und heute.
Von den 84 Autos, die auf Mallorca entstanden, wurden 61 auf der Insel angemeldet, die übrigen erwarben Käufer auf dem spanischen Festland. Der Preis betrug 5000 bis 6000 Pesetas. Ungeachtet der Erfolge, insbesondere bei den populären Autorennen - Rafael de Lacy war zumeist unter einer ledernen Rennfahrermütze am Steuer seines Wagens zu finden - musste die Firma Ende 1923 Konkurs anmelden und wurde abgewickelt.
Für Autoforscher Antonio Batle liegen die Gründe auf der Hand: Der Bau der Lorycs war teurer als ihr Marktpreis. Hinzu kam, die Konkurrenz, sprich nach Mallorca importierte Autos, waren technisch moderner und zum Teil sogar billiger als die Inselkarossen. Ein Citroën jener Jahre etwa verfügte bereits über elektronische Zündung und Scheinwerfer. Bei den Lorycs musste die Kurbel geleiert werfen, die Beleuchtung brannte mit Karbid. "Als Ribas und Ovrard sich für das EHP-Modell entschieden, war dieses Fahrzeug in Frankreich bereits technisch veraltet. Aber für Spanien war es zunächst noch ein hochmodernes Auto."
Schwierigkeiten bereiteten den Inselunternehmern zudem neue Zollbestimmungen: Die Importsteuer auf Autoteile wie Motoren stieg, für ganze Wagen sank sie hingegen. Das brach nicht nur Loryc das Genick, sondern auch einer Reihe weiterer spanischer Autofirmen. "Schon damals fällten Regierungen mitunter unternehmerfeindliche Entscheidungen", resümiert Batle.
Von den Lorycs existieren nur noch eine Handvoll. Hinzu kommen einige Exemplare, die für Batle jedoch keine authentischen Lorycs sind. Denn nach der Firmenpleite wurden noch EHP-Autos aus Frankreich importiert und unter dem Namen "Loryc" verkauft. Wie auch immer: Einzelne Autos sollen noch bis in die 1970er Jahre auf den Straßen der Insel im Einsatz gewesen sein.
(aus MM 10/2014)
5 Kommentare
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Tja was soll man dazu sagen noch was die Dame @NADINE hier von sich gibt ? Wahrscheinlich ein Mensch der die Welt verbessern möchte. Aber lieber kein weiteren Kommentar dazu u sich sein Teil denken:) und zum Glück muss man sich mit soetwas nicht jeden Tag befassen.Nix für ungut JP, nimm es nicht persönlich von solch einem species;) der Saltino aus Cala D Or
Das ist mir klar. Aus dem Artikel geht das aber nicht hervor! Daher könnte es ja auch sein, das der Herr ein kleines Museum am Haus hat und sich über interessierte freundliche Menschen freut, die sich für seine Schätze interessieren. (auch das steht nicht im Artikel). Trotzdem vielen Dank für Ihren netten (typisch deutschen) Kommentar, Frau Nadine. Leider nicht zielführend, aber besser als nichts...
Der Herr Batle möchte sicher keinen Besuch von Ihnen oder anderen neugierigen Meschen auf seinem Grunstück haben. Würde ich auch nicht wollen :-)
Wo genau kann man diese Autos vielleicht mal besichtigen? In welchem Ort an der Ostküste?
Als Autofan finde ich den Artikel interesant.