Man kann sich das in seiner Fantasie lebhaft ausmalen oder auch einfach nur Anleihen bei Hollywood-Filmen nehmen: Noch vor Sonnenaufgang stehlen sich zwei, drei Gestalten durch die dämmerigen Kiefernwälder, ausgerüstet mit einem verschließbaren Korb, in dem ein lebender Marder hockt. Es sind verwegene Gesellen, bärtig, ruppig rau, Abenteurer, wie sie vor 200 Jahren beste Bedingungen fanden, um draufgängerisch und gewalttätig durchs Leben zu kommen.
Das 19. Jahrhundert ist noch blutjung. Napoleon hat Europa in Krieg und Wirren gestürzt, im Mittelmeer rund um Mallorca jagen sich Briten, Franzosen und Spanier in wechselnden Koalitionen gegenseitig Segel- und Frachtschiffe ab. Die Kaperfahrt boomt wie in heutigen Zeiten der Kreuzfahrttourismus.
Die Nacht in Capdepera: Auf der Landspitze, auf der heute auch der Leuchtturm steht, hebt sich der "Torre Nova", der neue Turm, vom Nachthimmel ab. Das Bollwerk ist eine mit Kanonen bestückte Wehranlage im nordöstlichsten Winkel der Insel. Der Felssporn zeigt direkt auf Menorca. Die Schwesterinsel war von den Briten 1798 - wieder einmal - erobert worden, nachdem sich das Eiland bereits von 1708 bis 1783 in ihrem Besitz befunden hatte.
Klare Sache für den britischen Marinestrategen Thomas Cochrane, der zum Ärger der spanischen Flotte die balearischen Gewässer kreuzt: Der Turm von Capdepera hatte zu verschwinden.
Vielleicht spiegelte sich der Mond auf dem Wasser, vielleicht aber war es auch eine stürmische Nacht, die den Briten bei ihrem Vorhaben half. Die Seeleute schlichen sich zu dem Turm und holten den Marder aus dem Korb. Sehr wahrscheinlich bestrichen sie den buschigen Schwanz des Tieres mit Pech und setzten es in Brand.
Warum hatten die Briten Marder auf ihren Schiffen? Für Ángel Aparicio liegt der Sachverhalt auf der Hand. Seit Jahren durchforstet der Lehrer die Archive der Insel, studiert vergilbte Dokumente und handgeschriebene Briefe. Aparicio ist Präsident des Vereins "Grup per l'Estudi de les Fortificacions Balears", der sich der Erforschung und Bewahrung der militärischen Befestigungsanlagen auf den Balearen verschrieben hat.
Der passionierte Forscher ist einer der führenden Experten, was den Bau und die Bewaffnung der militärischen Küstenschutzbatterien der Insel anbelangt. Seinem Einsatz ist unter anderem die Erkenntnis zu verdanken, dass die Lonja in Palma, die in ihrer langen Geschichte zumeist als Getreidespeicher fungierte, während des Napoleonischen Krieges auch als Werkstatt zum Gießen von Schiffskanonen gedient hatte.
"Das Wichtigste zur Versorgung der Segelschiffe im Mittelmeer waren Wasser und Fleisch", erläutert Aparicio das Vorgehen der feindlichen Flotten rund um Mallorca. Je nach Bedarf wurden einige Besatzungsmitglieder in Beibooten heimlich an der Küste ausgesetzt. Sie befüllten Behälter mit Quellwasser und erlegten Wildtiere. Da sie aber keine Schüsse abfeuern durften, um nicht entdeckten zu werden, kamen gezähmte Marder zum Einsatz. "Die Männer setzten den Marder in ein Hasenloch und postierten sich an den anderen Ausgängen des Baus. Sie mussten nur im richtigen Moment zupacken, wenn der Marder ihnen die Beute zutrieb."
Der Marder war auch zum Sprengen der Wehrtürme nützlich. Und das ging so: In den gesicherten Militäranlagen war auch das Schießpulver gelagert. Damit es nicht feucht wurde, musste es ständig belüftet werden. Dazu hatten die Baumeister schmale und verwinkelte Belüftungsgänge in die Mauern integriert, so dass niemand von außen mit einer Fackel auch nur in die Nähe des Pulvers gelangen konnte.
Allerdings hatten sie die Rechnung ohne die "lebende Fackel" der Briten gemacht. Der Marder raste voller Panik durch die Belüftungsschächte, bis er in die Pulverkammer gelangte und ...
"Jeder Sachverständige kann dir bestätigen, dass der Turm durch eine Explosion im Innern zerrissen wurde", sagt Ángel Aparicio. Sein neues Buch ist voller Anekdoten über die Korsaren-Zeit auf Mallorca (siehe Bildunterzeile). Das waren Seeleute, die im Auftrag ihrer Regierungen fremde Schiffe überfielen und erbeuteten. Auch die Mallorquiner setzten Korsaren ein, in der Regel als Begleitschutz für ihre Waren und Frachtschiffe. Während auf dem Festland der napoleonische Krieg tobte, machte die Insel mit dem Getreidehandel im Mittelmeer gute Geschäfte.
Die Engländer wandelten sich zudem 1808 vom Feind zum Freund, mit dem Spanien die sogenannten Befreiungskriege gegen die Franzosen führte. Da hatte Thomas Cochrane aber bereits die Torre Nova von Capdepera in die Luft gejagt. Seitdem heißt die Ruine, die heute noch zu sehen ist, "Sa Torre Esbucada", der zerstörte Turm. Ein großer Grabstein für einen kleinen Marder.
Kein Kommentar
Um einen Kommentar schreiben zu können, müssen Sie sich registrieren lassenund eingeloggt sein.
Noch kein Kommentar vorhanden.