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Warum man "tempus fugit" mit "die Zeit rennt" übersetzen sollte

Kennen Sie das? Gerade noch die Feiertage hinter sich gebracht, den Sylvester-Kater auskuriert, die guten Vorsätze wieder über Bord geworfen, einmal umgedreht und zack - ist schon wieder September. Ich dachte immer, es sei eine Mär, dass man mit steigendem Lebensalter immer mehr den Eindruck gewinnt, die Zeit rase wie ein japanischer Shinkansen (der schnellste Zug der Welt) an einem vorbei. Mir jedenfalls kommt es so vor, als würde irgendjemand permanent heimlich an der Uhr drehen.

Dabei geht es mir wie vielen. Kaum jemand, der nicht stöhnt (und es scheint tatsächlich einen Zusammenhang mit dem Alter zu geben), dass die Ferien, der Urlaub, das ganze Jahr so schnell vorbeigegangen sind, wie noch nie zuvor. Da ich mir das Phänomen bisher nicht erklären konnte, habe ich es bestmöglich ignoriert und einfach so vor mich hin gelebt. Allerdings blieb da immer dieser fiese Beigeschmack von: Schon wieder (fast) ein Jahr älter, ein Sommer vorbei, in dem ich doch eigentlich viel mehr schwimmen und weniger arbeiten wollte.

Nun haben sich glücklicherweise ein paar schlaue Wissenschaftler daran gemacht, dieses seltsame Verhalten der Zeit zu untersuchen. Besser gesagt, wird erforscht, warum wir der Meinung sind, dass die Zeit in der Lage ist, unterschiedlich schnell unterwegs zu sein. Dass unsere Wahrnehmung uns dabei einen Streich spielt, ist natürlich klar. Das Zauberwort heißt Relation. Wir setzen die Zeit, zum Beispiel das letzte Jahr, ins Verhältnis zu unserem Lebensalter. Dadurch ist für einen 10jährigen Teenie ein Jahr deutlich mehr, sprich länger, nämlich ein Zehntel seiner Lebenszeit, während für einen 50jährigen Menschen ein Jahr nur noch ein Fünfzigstel seines gesamten Lebens darstellt. Subjektiv betrachtet ist hier das Jahr also wesentlich "weniger", sprich kürzer. An dieser Relation lässt sich auch mit den besten Anti-Aging-Mitteln oder Verjüngungskuren oder Ich-she-wieder-aus-wie 25-Operationen nichts ändern.

Was wir aber sehr wohl beeinflussen können, ist unser Zeitgefühl. Oder anders ausgedrückt, je nachdem, wie wir unser Leben gestalten, und das betrifft unsere Arbeit und die Freizeit gleichermaßen, verändert sich unsere Wahrnehmung. Je interessanter und ungewöhnlicher wir leben, um so eher haben wir das Gefühl, dass die Zeit sich dehnt und langsamer vergeht. Routine sorgt dafür, dass die Tage nur so fliegen. Im Magazin Zeit Wissen findet man dazu: Unsere Wahrnehmung ist paradox: Gerade dann, wenn man wenig erlebt hat, fühlt es sich im Nachhinein so an, als sei die Zeit besonders schnell vergangen. Ein eintöniger Arbeitstag, an dem man nur Bürokram erledigt, durch Blabla-Konferenzen wabert und in Warteschleifen festhängt, scheint manchmal ewig zu dauern. Am Abend wundert man sich trotzdem, was man eigentlich all die Stunden über gemacht hat.

Weiter liest man: "Ich bin überzeugt davon, dass das Gedächtnis die Zeitwahrnehmung maßgeblich bestimmt", sagt Marc Wittmann vom Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg. Wittmann leitete die Studie zur Zeitwahrnehmung mit zunehmendem Alter. "Erlebt man wenig Neues, Aufregendes, bleiben auch weniger Erinnerungen, und im Rückblick erscheint die Zeitspanne kürzer." Er vergleicht das Leben mit einem Urlaub: Am Anfang erkundet man die neue Umgebung, entdeckt unbekannte Dürze, Gerichte und Landschaften. Die Zeit scheint sich weit zu dehnen. Doch nach ein paar Tagen wird das Neue zur Gewohnheit, man schaut nach dem Aufstehen immer auf die gleichen Kühe vor Bergkulisse, kehrt jeden Mittag bei Luigi ein und planscht abends noch ein wenig im See. Und plötzlich ist der Urlaub viel zu früh vorbei.

Im echten Leben bleiben die vielen ersten Male, die man in der Jugend (und hoffentlich auch sonst im Laufe des Lebens) erlebt, deutlich in Erinnerung: Der erste Kuss, das erste Mal, die erste eigene Wohnung und natürlich der erste Urlaub am Meer, respektive auf Mallorca. Zwanzig (oder mehr) Jahre jeden Morgen in dasselbe Büro, dieselbe Firma zu gehen und jeden Abend vor dem Fernseher im selben Wohnzimmer zu sitzen, lässt dann die Zeit wie im Flug vergehen. Wie aus der Entwicklungspsychologie bekannt ist, werden wir Menschen, je älter wir werden, tendenziell weniger offen für Neues.

Doch je mehr Neues und Emotionales wir erleben, desto mehr Erfahrungen prägen sich im Gedächtnis ein – und desto länger wirkt ein Zeitraum im Nachhinein. Das bedeutet auch: Wir können die gefühlte Zeit abbremsen, wenn wir wieder mehr erste Male erleben. Für 2023 bleiben uns dafür noch knapp 100 Tage und es gibt keinen Grund, nicht jetzt etwas Neues anzufangen. Fragt sich also, was können wir heute beginnen, das dafür sorgt, dass wir die letzten Monate des Jahres langsam und genussvoll erleben, und zwar am besten bereits jetzt - und in der späteren Rückschau?

Hier auf Mallorca fallen mir da spontan sehr viele Dinge ein. Ich persönlich plane beispielsweise in den nächsten Wochen das erste Mal nach Ibiza zu fliegen. Darauf freue ich mich schon sehr. Dann möchte ich in diesem Herbst das erste Mal eine kleine Wanderung an der Küste entlang versuchen. Ich bin im Grunde sehr fußfaul, aber mittlerweile habe ich schon so viele tolle Berichte gehört und gelesen und Fotos gesehen mit unglaublichen Ausblicken, dass ich hoffe, dass die Neugier und die Lust auf Neues überwiegen und den inneren in seine Schranken verweisen werden. Dann würde ich gerne in diesem Jahr zum ersten Mal dabei sein, wenn die Weihnachtsbeleuchtung in Palma eingeschaltet wird (nach meinen Informationen am 23. November, 18.00 Uhr). Im letzten Jahr habe ich mich vom schlechten Wetter abhalten lassen. In diesem Jahr kaufe ich einen Regenschirm!

Sicher fallen Ihnen auch in Deutschland viele Dinge ein, die Sie ausprobieren könnten und die Ihnen ein wunderbares erstes Mal bescheren. Sie könnten beispielsweise ein neues Restaurant besuchen und auf eine Weise essen, die Sie sich bisher gar nicht vorstellen konnten. So gibt es (für Schwindelfreie) sowohl Restaurants in luftiger Höhe, als auch tief in der Erde, in einem Bergwerk. Suchen Sie im Internet einfach mal nach außergewöhnlichen Restaurants. Vielleicht konnte ich Sie ein bisschen anstiften zu Ihrem nächsten "Ersten Mal". In diesem Sinne.