Vor welchen Herausforderungen die Luftfahrtbranche künftig steht - global, in Europa und ganz besonders auf den Mallorca-Routen - damit hat sich erstmals eine Runde von Fachleuten auf Mallorca beschäftigt. Organisiert hatte die Fachtagung samt Podiumsdiskussion der Travel Industry Club per Debüt-Veranstaltung in Palma. Die Initiatoren, die in Deutschland und Österreich vor allem Entscheidungsträger und Fachkräfte aus der Reiseindustrie zum Gedankenaustausch zusammenbringen, hatten Anfang April zu einem Symposium in den Räumen der Ascenso Akademie in Palma geladen.
Die rund 50 Zuhörer lauschten gebannt den Worten von Gerd Pontius, CEO der Unternehmensagentur Prologis AG, die weltweit Luftfahrtgesellschaften berät, und zwar meistens dann, wenn die Airlines Kooperationen mit ihren bisherigen Wettbewerbern eingehen, häufig sogar über Staatsgrenzen hinweg.
Sympathisch: Pontius riet dem Publikum gleich zu Beginn unumwunden: "Wenn Sie wissen wollen, wie die Zukunft der Luftfahrt aussieht, fragen Sie nicht einen Experten, fragen Sie eine Kristallkugel!"
Der Hintergrund der Anekdote: Die Branche befindet sich nach seinen Worten in einem dramatischen Wandel. Es komme zu Partnerschaften und Kooperationen, wie sie bis dato undenkbar gewesen waren, Begriffe und Konzepte wichen auf, Althergebrachtes zeige immer weniger Beständigkeit. Fast scheint es, als sei die gesamte Luftfahrt von einem Sturm ergriffen worden, der sie gehörig durcheinander wirbelt.
Konkret: Wie Pontius beschreibt, sind die jüngst angebahnten Kooperationen etwa zwischen Air Berlin, TUI und Etihad oder auch zwischen Lufthansa und Etihad, also zum Teil zwischen bislang ausgewiesenen Konkurrenten, Neuland in der Branche. Dahinter steckt: Der wachsende Wettbewerbsdruck zwingt die Unternehmen, gemeinsam zu agieren.
Wie kam es zu dieser Entwicklung? Ausgelöst wurden die Turbulenzen durch den Höhenflug der sogenannten Billigairlines wie Ryanair und Easyjet. Allein die irische Fluggesellschaft besitzt in Europa mittlerweile einen gleichgroßen Marktanteil wie die gesamte Lufthansa-Gruppe zusammen (jeweils 16 Prozent).
In Europa stieg die Sitzkapazität aller Low Cost Carrier (LCC) seit 2012 um 42 Prozent auf neun Millionen. Der Marktanteil erhöhte sich im selben Zeitraum von 40 auf 49 Prozent. "Jeder zweite Flug ist damit ein LCC-Flug", sagte Pontius. Wobei auch der Begriff "Low Cost Carrier" nicht mehr für das steht, was einmal damit gemeint war. Denn die klassischen Linienfluggesellschaften und die LCC-Airlines haben sich einander stark angenähert und voneinander Konzepte übernommen, etwa was das Bezahlen für Gepäck-stücke oder die Verpflegung an Bord betrifft. "Es gibt keine Unterschiede mehr." Diese Angleichung mache sich insbesondere auf Kurz- und Mittelstrecken deutlich, die wiederum die allermeisten Routen in Europa umfassen. Fazit: Das LCC-Konzept entwickelt sich alternativlos zum dominierenden Konzept auf der Kurzstrecke.
Wie wirkt sich diese Entwicklung auf die Passagiere aus? "Die Kunden in Europa achten heute vor allem auf den Preis", sagte Pontius. Andere Rahmenbedingungen spielten bei der Wahl der Airline auf Routen von bis zu drei, vier Stunden Flugzeit kaum noch eine Rolle. Anders sei dies auf der Langstrecke: Hier lege der Kunde durchaus Wert auf mehr Beinfreiheit, bequeme Sitze und Service. Hierfür sei er auch bereit, einen entsprechenden Aufschlag zu zahlen.
Alvaró Middelmann, bekannt als ehemaliger Air-Berlin-Direktor für Spanien und einer der Podiumsteilnehmer, bestätigte, dass auf den Routen nach Mallorca selbst kaufkräftige Kunden zum billigen Fliegen neigen, und sie das auf diese Weise eingesparte Geld lieber in bessere Urlaubshotel oder exklusivere Restaurants investieren. Der Flug werde anders als früher nicht mehr als bereicherndes Luxuserlebnis wahrgenommen, sondern nur noch als schlichte Dienstleistung, um rasch von einem Ort zum anderen zu kommen.
Neben dem Trend zu mehr Partnerschaften - um gemeinsam dem rasanten Wachstum der Billigflieger etwas entgegensetzen zu können - sowie der allgemeinen Tendenz hin zur LCC-Strategie zeichnet sich eine weitere Entwicklung ab: Die Flugzeuge werden größer und können dadurch mehr Passagiere befördern. Das ist auch notwendig angesichts der steigenden Nachfrage nach Flügen und der begrenzten Kapazität der Airports, wo die Zahl der möglichen Starts und Landungen aus technischen und Sicherheitsgründen eingeschränkt ist. So darf der Kontrolltower in Palma nicht mehr als 66 Flugbewegungen pro Stunde durchführen. Die Airlines werden in der Zukunft die wachsende Zahl der Passagiere mit Maschinen bewältigen, die dann bis zu 250 Sitzplätze zählen.
Dass diese Entwicklung nicht neu ist, daran erinnerte der CEO von Eurowings-Europa und dritte Podiumsteilnehmer, Dieter Watzak-Helmer, der lange Zeit selbst als Pilot im Einsatz war. Als er das Model A320 fliegen lernte, zählte es nur 150 Sitzplätze. Heute wird der Platz an Bord für 180 Sitze ausgenutzt.
Und die Ticketpreise? Alle drei Luftfahrtexperten waren sich einig, dass das Fliegen aufgrund der großen Konkurrenz insbesondere in Europa sich weiter verbilligen werden, vorbehaltlich möglicher Ölpreisanstiege. Sicher ist nur, dass die Branche weiterhin mit stürmischen Auf und Abs zu rechnen hat. Oder, in Pontius' Worten: "Erwarten Sie das Unerwartete."
(aus MM 14/2017)
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