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Hell scheint der Mond auf den Hafen von Porto Cristo, eine Katze streunt um die Anlegeplätze, sonst ist alles ruhig. Kein Wunder – es ist Donnerstagmorgen, 5.20 Uhr. Nur an einem Schiff leuchtet ein Licht. Die "Roca 1" ist eines von nur drei Fischerbooten, die Porto Cristo ihren Heimathafen nennen. Sie liegt vertäut zwischen zahlreichen Segelbooten und Miniyachten, die frühestens in einigen Stunden zum Einsatz kommen. Auf der "Roca 1" aber wird bereits gearbeitet.

Toni Mascaró und Miquel Vives beladen Kühlboxen mit Eis und bringen sie an Bord. Sie tragen gelbe Regenhosen und -jacken und Gummistiefel. "Der Wellengang ist nicht der ruhigste heute", bemerkt Toni. Er sei bereits um 4.45 Uhr aufgestanden, erzählt er, so, wie jeden Montag bis Freitag. Eis zum Kühlen vorbereiten, Wettervorhersagen lesen, zum Hafen fahren. Um 5.28 Uhr sticht die "Roca 1" in See. "Wir haben jetzt etwa anderthalb Stunden Fahrt vor uns, bis wir zur ersten Fangstelle kommen", erzählt Miquel. Zeit für ihn, sich nochmal hinzulegen. Eine Kajüte gibt es auf der 15 Meter langen "Roca 1" nicht, nicht einmal eine Sitzbank. Doch Fischer sind nicht zimperlich. Miquel rollt sich in der zumindest halb geschlossenen winzigen Steuerkabine auf dem Boden unter Tonis Füßen zusammen. Dieser wiederum sitzt auf dem einzigen Hocker an Bord und steuert. Neun Knoten, also 16 Stundenkilometer schnell geht es durch die dunkle See. GPS-Signale auf zwei kleinen Bildschirmen weisen den Weg.

"Ich mag es so, wie es ist", erzählt Toni und lässt den Blick über das mondbeschienene kleine Deck schweifen. Erst seit knapp fünf Jahren arbeitet der 38 -Jährige als Fischer, zuvor hatte er in einer Fabrik geschuftet. "Aber durch die Krise wurden alle entlassen", berichtet er und korrigiert die Fahrtrichtung leicht mit dem hölzernen Steuerrad. Auch jetzt sei es nicht leicht, fügt er nachdenklich hinzu. Man weiß ja nie, was man fängt. Keine Beute bedeutet kein Einkommen. Und zwischen Ende Oktober und Anfang März fahren die Fischer gar nicht raus. "Da ist die See zu rau." Toni bekommt dann immerhin Arbeitslosengeld. Er ist bei Miquel angestellt, auch wenn das Boot beiden gehört. "Die See hat mich schon immer gereizt", sagt Toni. Es klingt aufrichtig, nicht wie ein Versuch, sich seine Situation schönzureden. "Jetzt kann ich den ganzen Tag hier draußen arbeiten. Ich würde nicht zurück wollen."

Tatsächlich haben das Spritzgeräusch der Wellen, die sich am Bug der "Roca 1" brechen, und die schaukelnden Bewegungen im Mondschein etwas beruhigendes an sich - zumindest, so lange das Boot fährt. Miquel jedenfalls scheint tief in seine Träume versunken. Gegen kurz nach sieben regt sich der Fischer. Er hat gespürt, dass sich die Motorengeräusche verändert haben, das Fahrzeug wird langsamer: Die erste Fangstelle ist in der Nähe.

Signalrot leuchtet die Boje aus den grauen Wogen, die sich kaum vom mittlerweile heller werdenden, aber ebenfalls grauen Morgenhimmel abheben. Sie markiert den Anfang eines Netzes, das die Fischer vor einigen Tagen hier ausgeworfen haben. Miquel übernimmt das Steuer, Toni geht zum Bug und zieht die Boje mit gekonntem Griff aus dem Wasser, wuchtet sie an Deck und spannt den daran befestigten Netzanfang an einer Art elektrisch betriebene Seilwinde. Miquel schmeißt die Maschine an und das Netz wird automatisch aus dem Wasser gezogen. "Hoffentlich haben wir heute Glück", sagt Miquel. Geredet wird an Bord kaum, doch unangenehm ist das nicht. Toni und Miquel vertrauen einander, ihre Handgriffe sind geübt, ihre Aufgaben klar verteilt - da sind keine großen Worte notwendig. Toni steht vorne und schlägt mit einem Stock verfangene Felsbrocken aus dem sich einfahrenden Netz, Miquel bedient die Maschine und achtet darauf, dass sich das Hunderte Meter lange Maschenwerk nicht verfängt. Die beiden sind auf Langusten aus. "Diese Woche war bisher durchwachsen. Montag konnten wir nicht rausfahren wegen schlechten Wetters, Dienstag haben wir zwölf gefangen und Mittwoch 18. Mal schauen, wie es heute wird."

Die Minuten verstreichen, außer weiteren Steinen ist nichts im Netz. Dann gibt Toni einen zufriedenen Laut von sich. Die erste Languste taucht mit dem Netz aus dem Wasser auf, ihre langen Beine und fühlerartigen Antennen sind in den Maschen verheddert. Doch ihr aufgeregtes Klacken verrät, dass sie lebt. Sieben weitere Langusten folgen in der nächsten Stunde. Toni blickt zufrieden drein, als er die letzte in einer der Kühlboxen verstaut. "Ein guter Anfang", sagt er und grinst.

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Zwei weitere Fangnetze mehrere Meilen entfernt warten auf die Fischer. Mittlerweile ist es fast neun Uhr. Zunächst muss das aktuelle Netz jedoch wieder ausgeworfen werden. Miquel tuckert bereits langsam durch die Wogen und blickt auf einen dritten Bildschirm in der Steuerkabine, der die Tiefe und die Beschaffenheit des Bodens anzeigt. "Langusten leben gern in Unterwasserfelsen", erklärt Miquel und notiert sich die Koordinaten von günstigen Punkten. Nach gut zwanzig Minuten gibt er Toni ein Zeichen, der wirft die Boje erneut aus und achtet geschickt darauf, dass sich das Netz beim Hinabgleiten ins Wasser nicht verfängt. "Man weiß nie genau, ob die Stelle eine gute Wahl ist. Man muss auch Glück haben", so Miquel.

An der nächsten Station scheint dieses zu fehlen. Wieder schuften die Männer gut anderthalb Stunden hart und schweigend, doch diesmal ist nur eine Languste dabei, die groß genug ist. "Wenn sie zu klein sind, müssen wir sie wieder reinschmeißen, das sind die Bestimmungen", so Toni. Nur neun Langusten nach rund sechs Stunden auf See - das ist nicht viel. Der Kilopreis liegt bei etwa 39 Euro, eine Languste wiegt meist etwas weniger. Abziehen muss man die Kosten für Treibstoff und Bootsversicherung, und dann wird das Geld ja auch noch durch zwei geteilt. Selbst wem das Kopfrechnen beim harten Seegang schwer fällt, weiß: Viel bleibt da nicht. "Eine Chance haben wir ja noch", sagt Miquel und steuert das Schiff in Richtung dritte Boje. Wieder verfallen die beiden in arbeitsames Schweigen.

Gerade in dieser Zeit, in der das Boot sich nicht vorwärts bewegt und wie ein Korken auf dem Meer treibt, ist es nicht leicht, seinen Mageninhalt bei sich zu behalten. "Das ist mir auch schon passiert. Einfach über die Reling", ruft Toni und fügt pragmatisch hinzu: "Eine andere Möglichkeit gibt es ohnehin nicht."

Als sich die "Roca 1" nach weiteren zwei Stunden endlich wieder gen Heimathafen aufmacht, wird auch die Seekrankheit besser. Und Toni und Miquel sind ebenfalls zufrieden: Fünf weitere Langusten sind ihnen ins Netz gegangen, macht insgesamt 14. Oder 12,5 Kilogramm, wie sich später auf der Waage am Hafen herausstellen wird. Noch dauert es gut anderthalb Stunden, bis Porto Cristo erreicht ist. Miquel steuert, Toni spült mit einem Wasserschlauch den Beifang von Bord. Dann ist es an ihm, sich hinzulegen und auf einer Plane an Deck zu verschnaufen - der Fischerberuf ist ein Knochenjob, hier erinnert nichts an eine nette Spritztour.

"Ich kann mir nicht vorstellen, Touristen mitzunehmen, so, wie es die Balearen-Regierung bald in die Realität umsetzen will", findet Miquel und wischt sich mit der Hand, die nicht das Steuer hält, Schlammspritzer aus dem Gesicht. "Wir haben ja nicht einmal eine Toilette." Miquel selbst stört das nicht. Anders als Toni arbeitet er fast sein ganzes Leben lang als Fischer. "37 Jahre sind es jetzt." Einmal, erinnert er sich, habe er einen ganz großen Fang gelandet. Seine Augen glänzen. "Plötzlich hing ein 300 Kilo schwerer Tintenfisch im Netz. So etwas erlebt man bei einem Bürojob nicht."

Als die "Roca 1" um 15.20 Uhr endlich im Hafen einläuft, springt Toni auf. "Genug geschlafen." Jetzt muss die Ware noch weitergegeben werden. Ein Teil geht zur Lonja nach Palma, einige Langusten werden direkt von Transportunternehmen in Restaurants gebracht. Gegen 15.40 Uhr ist Feierabend. Den Nachmittag können die Fischer entspannen, abends geht es früh ins Bett - schließlich legt die "Roca 1" am nächsten Morgen wieder ab, pünktlich um kurz vor halb sechs.

(aus MM 23/2016)