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Nicht einmal das sanfte, helle Läuten der Glocken der Pfarrkirche von Sant Jaume schafft es, die magische Stille zu durchdringen, die an diesem Morgen in Alcúdia herrscht. Lässt man den Blick schweifen, glänzen jenseits der Ruinen von Pollentia die Felder im Morgentau. Vereinzelt jagen papageienbunte Radsportler in kleinen Gruppen über die Avinguda Príncep d’Espanya, aus dem Eingang zu einer Bar zischt die Kaffeemaschine fragwürdig laut. Lediglich der vom am Stadtrand gelegene Kiesparkplatz aufsteigende Staub deutet an, dass es auch an diesem Tag wieder voll wird im historischen Ortskern. Denn schon am Morgen füllt sich der zum Stellplatz umfunktionierte Acker rasch mit zahlreichen Mietwagen – zu erkennen an den bunten Aufklebern am Heck.

Rund um den Kirchplatz stehen staunend einige deutsche Familien, gebannt starren sie auf die überdimensionale Jesusfigur, die noch von den Osterprozessionen dort auf ihre Verstauung wartet. Auf der Ecke gleich hinter dem Gotteshaus hat Miguel sein Souvenirgeschäft. Der große, schlanke Spanier möchte seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen – „ich mag keine Öffentlichkeit” – ist aber dennoch bereit, über „sein” Alcúdia zu plaudern.

„Ich bin hier aufgewachsen, habe den Tourismusboom erlebt und betreibe nun seit fünf Jahren diesen Laden”, erzählt er. Vor allem auf die Urlauber aus Deutschland hält er große Stücke. „Das sind gute Kunden. Einige schauen nur, aber eine Vielzahl kauft noch immer Andenken. Davon profitiere ich natürlich.” Trotz der vielen Touristen, verändert habe sich die historische Altstadt der Inselgemeinde kaum. „Es ist immer noch ein kleines, verschlafenes Städtchen”, sagt Miguel lächelnd und zum Abschied winkend.

Der Carrer Sant Jaume führt vom Kirchenhügel hinab in die Stadt. An manchen Ecken ist der Ort noch menschenleer, nur ein paar Kätzchen tollen fauchend auf einem Fenstersims herum. „Alcúdia ist ganz toll”, erklärt das britisch-spanische Pärchen Mariet und Francisco, das einen Kinderwagen samt Baby durch das Gässchen schiebt. „Wir haben gehört, es war mal einer der wichtigsten Orte auf der Insel, den wollten wir uns natürlich nicht entgehen lassen”, so der junge Mann aus Valladolid. Und seine Freundin aus London fügt an: „Ich bin zwar erst seit zwei Tagen auf der Insel, aber ich glaube nicht, dass es viele Orte gibt, die mir architektonisch und historisch so gut gefallen würden wie dieser hier.”

Woran das liegen könnte, erklärt Joan Gaspar, Tourismusdezernent der Gemeinde. „Wir fördern die Haushalte im Ort finanziell, damit sie die Fassaden ihrer Häuser renovieren lassen. In wenigen Orten der Insel werden sie so viele tolle Häuserfassaden aus Marès-Stein finden, wie bei uns.” Gleichzeitig fließen derzeit hohe Summen aus der Touristenabgabe Ecotasa in die Restaurierung der Gemeinde. „Für 400.000 Euro bringen wir jetzt die historische Stadtmauer auf Vordermann.”

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Dass die Einwohner Alcúdias ihr Örtchen mögen, merkt man beim Bummel durch die Gassen. Viele Fensterläden sind liebevoll mit Blumen geschmückt, man ist stolz auf den Ortskern und erfreut sich an den vielen Besuchern, vor allem in den Geschäften natürlich. Hinter dem Tresen einer Boutique steht Mariana Lemos. „Im Sommer kommen mittlerweile auch viele Franzosen und Briten, aber die Deutschen kommen das ganze Jahr über”, so die Geschäftsfrau mit den beiden Modeläden „Dandora” und „Canada House”. Das Leben in der Stadt sei aber trotz der vielen Touristen beschaulich. „Es ist wirklich sehr angenehm, ich will hier nicht mehr weg.”

Hat man die Innenstadt von der Kirche kommend einmal durchlaufen, landet man an der palmengesäumten Plaça Carles V. mit dem imposanten, sandfarbenen Stadttor, der Porta del Moll, dem historischen Stadtausgang, den man nehmen musste, um zum Hafen zu gelangen. Vom Werbeschild eines Frisörs lächeln die Besucher Justin Bieber und Lionel Messi mit peppigen Frisuren entgegen. Im Eiscafé daneben versuchen blonde, schwedische Kinder, ihre Eltern zum Kauf einer Kugel Eis zu überreden. Gleich dahinter zweigt rechts ein kleines Gässchen ab, das an einem geschmackvoll dekorierten Töpferladen vorbeiführt und in den Carrer del Lledoner mündet. Vor einer unscheinbaren Tür wartet Rudolph Olivier. Es ist einer der Betreiber des Boutique-Hotels Can Mostatxins, das sich hinter den dicken Mauern eines Altstadtpalastes verbirgt.

„Ich bin in Südafrika geboren, in England aufgewachsen und irgendwann in Alcúdia gelandet”, erzählt Olivier lachend und zeigt stolz den Spa-Bereich, der in einen offenen Patio integriert wurde und ein bisschen wie ein römisches Bad wirkt. „Ist toll geworden, was?” Die acht Zimmer der kleinen, aber sehr edlen Herberge werden überwiegend von jungen Paaren gebucht, erklärt Olivier. „Die meisten bleiben drei bis fünf Tage.” Mittlerweile haben die Betreiber auch den „Palacete” auf der anderen Straßenseite erworben, dort sollen zwölf weitere Zimmer, ein Restaurant und eine Bar untergebracht werden. Was Alcúdia ausmacht? „Es ist das herzlichste Städtchen der Insel und heißt jeden willkommen!”

Das wissen auch die vielen Radsportler zu schätzen. Auf der Plaça de la Constitució, Alcúdias zentralem Platz, hat es sich ein kleines Grüppchen mit Kindern bequem gemacht. Miriam, Philipp, Rudy, Dana und Luka sind im Trainingslager in Can Picafort. „Mit den Kleinen können wir nicht so lange Touren machen, da ist Alcúdia perfekt. Und um diese Jahreszeit findet man überall einen Platz, um etwas zu essen und zu trinken.” Nach einem Vormittag im Dorf geht es für die Sportler dann wieder ins Hotel.

Wesentlich länger in Alcúdia bleibt Kurt Müller. Er lebt zeitweise in einem kleinen, schmuckvollen Haus in der oberen Altstadt. „Ich mag den Ort sehr. Klar, wenn Markt ist, wird es richtig voll, aber ansonsten ist es so gemütlich und nie ‚overcrowded’”, so der Bremer. Müller versucht, sich in die Dorfgemeinschaft zu integrieren und auch Kontakt zu den mallorquinischen Nachbarn zu pflegen. Das klappe dank der geringen Größe des Ortes recht gut. „Ob ich hier wirklich angekommen bin? Das ist noch zu früh zu sagen, aber ich fühle mich wirklich wohl.” Und dieses Gefühl scheint offensichtlich alle Einwohner Alcúdias zu einen.

(aus MM 14/2018)