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Sobald sich die Autotüre öffnet, an der kleinen Plaça de Son Ramis, wird die Stille schlagartig präsent. Eine leichte Brise und das Singen eines Vogels in der Ferne sind alles, was sich vernehmen lässt. Hier, irgendwo im tiefsten Inselinnern von Mallorca, genauer im östlichen Ortsteil des Dorfes Llubí, ist die Ruhe der sprichwörtlichen "Insel der Ruhe" tatsächlich mit allen Sinnen erfahrbar.

"Hotel de la Vila" steht an dem renovierten Dorfhaus, das mit den betagten Nachbarhäusern den unscheinbaren Platz umschließt. Hier hat die Schauspielerin Catalina Alorda aus Palma vor vier Jahren ihren Übernachtungsbetrieb gegründet, in einer 2000-Einwohner-Gemeinde, die einst auf Mallorca vor allem für ihre Kapernproduktion bekannt war. "Ich wollte meinem Leben eine neue Richtung geben und die Stadt hinter mir lassen", sagt die junge Frau. Nach einiger Suche wurde sie in Llubí fündig, ein traditionelles Dorfhaus, das seit 20 Jahren unbewohnt gewesen war. Rund zwei Jahre dauerte der Umbau, dann eröffnet Alorda ihr kleines Hotel von sechs Zimmern. Seitdem widmet sich die Frau ganz dem Unternehmen und den Gästen, sie selbst bewohnt ein Hinterhaus. "Es ist viel Arbeit, aber es ist eine Tätigkeit, die dir Erfüllung gibt."

Das Mini-Hotel ist nicht das Einzige, das in jüngster Zeit seine Pforten geöffnet hat. Das balearische Tourismusgesetz sieht für Übernachtungsbetriebe dieser Art sogar eine eigene Bezeichnung vor: Es handelt sich um "Turismo de Interior", also Hotels, die sich in althergebrachten Dorfhäusern innerhalb des Kernortes befinden. Sie müssen mindestens Drei-Sterne-Qualität bieten und jedes Zimmer über ein eigenes Bad verfügen. Auch muss den Gästen mindestens ein Frühstück serviert werden. Der Rest ist optional: Das Angebot von Fernsehern im Zimmer, W-Lan, Minibars, Spa und Wellness-Massagen liegt im Ermessen der Hotelbetreiber. Die meisten Häuser verfügen über Dachterrassen und Patios oder Gärten, in denen Swimmingpools oder zumindest kleine Wasserbecken zum Eintauchen und Abkühlen zu finden sind.

In den vergangenen Jahren haben die urtümlichen Hotels einen kleinen Boom erlebt. Selbst in den entlegensten Dörfern im Inselinnern, durch die früher Urlauber höchstens dann kamen, wenn sie sich verfahren hatten, entstanden Unterkünfte. Der überkommunale Verband der zentralmallorquinischen Inselebene, die Mancomunitat Pla de Mallorca (siehe Grafik) , der Dörfer wie Sineu, Llubí, Costitx, Petra und Algaida umfasst, führt auf seiner Internetseite ein Dutzend "Turismos de Interior" auf: visitplademallorca.net .

So manches der Hotels besitzt gar ein eigenes Restaurant mit gehobener Autorenküche. Das gilt etwa für das Hotel Daica, das 2012 ebenfalls in Llubí den Betrieb aufnahm. Cati Pieras und David Ribas sind zwei Gastronomen, die sich nach Jahren der Arbeit in einem Luxushotel selbstständig machten und sich den Traum vom eigenen Lokal erfüllten. "Wir dachten: Jetzt oder nie." Parallel dazu schufen sie drei Gästezimmer. "Wir haben Restaurantgäste, die kommen zu uns zum Essen und zum Schlafen."

Drei Gästezimmer weist auch das Hotel Sa Plaça in Petra auf. Es ist eines der Urgesteine der Dorfhotel-Szene. Gegründet 1997, beherbergt es drei Arten von Gästen: a) Freunde und Angehörige von Einwohnern auf Besuch. b) Geschäftsreisende wie etwa Fotografen oder Agrarvertreter. c) Urlauber, die entweder für eine Nacht oder für länger buchen. Dabei sind insbesondere die One-Night-Stand-Gäste ausgesprochene Individualisten, weiß Hotelinhaber Walter Iturbide, ein Wahl-Mallorquiner mit schweizerischen und baskischen Wurzeln. Es handle sich um Mallorca-Urlauber, die jede Nacht in einem anderen Hotel verbringen und tagsüber zu Fuß von Dorf zu Dorf wandern oder zumindest radeln.

Vor Iturbides Hotel sitzt zufällig das deutsche Ehepaar Knut und Kimberley Wichert aus Bad Vilbel. Es ist zum dritten Mal auf Mallorca und hat noch nie in einem der Bettenbunker am Strand logiert, versichert es. "Wir wollen Ruhe, einheimisches Flair, gutes Essen und Hotelkomfort auf dem Dorf. Darum haben wir uns für Petra entschieden", sagen die Hessen.

"Es sind vor allem Gäste, die Ruhe und das authentische Mallorca suchen. Sie flüchten vor dem touristischen Mallorca", hat Boni Martínez beobachtet. Der Direktor des Hotels Es Convent in Ariany startet in seine fünfte Saison. Das ehemalige Kloster eröffnete 2010 vier Gästezimmer, heute sind es acht. Das Haus in kirchlichem Besitz kooperiert mit der Hilfsorganisation Mater, die behinderten Menschen Arbeit und Auskommen in der Hotellerie ermöglicht. Die Betreuten pflegen die Gärten, helfen in der Wäscherei oder in der Küche. Sie werden eigens aus Palma und von anderen Wohnorten zur Arbeit gefahren. Große Ehre für das Hotel: Es ist diese Woche nominiert worden für die Londoner Tourismusmesse World Travel Market 2015; als beste barrierefreie Unterkunft auf Mallorca. Das haben die Gäste, Familien und Rollstuhlfahrer aus ganz Europa längst für sich entdeckt.

Selbst das Dorf Sineu, das für seinen quirligen Mittwochsmarkt bekannt ist, wirkt an anderen Wochentagen geruhsam bis verschlafen. Hier gibt es mittlerweile drei Interior-Hotels. "Unsere Gäste sind anspruchsvoll. Sie wollen Ruhe, keinen Massenbetrieb und besten Service", sagt die Rechtsanwältin Noelia Fernández, die mitten im Dorf seit 2007 die acht Zimmer des Vier-Sterne-Hauses Can Joan Capó betreibt.

Nachts im Dorf. Der Himmel ist schwarz, nur die Sichel des Mondes lässt spärliches Licht über die Hügel fließen. In den Straßen leuchten vereinzelt Laternen, die Türen sind verschlossen, die Fenster mit Klappläden verriegelt. Aus kaum einem Haus Fenster fällt ein Lichtschein. Der laue Wind trägt den Duft der Felder hinein in den Ort. Es ist so still, dass die eigenen Schritte auf dem Pflaster widerhallen.

Mallorca auf den Dörfern kann regelrecht mystisch sein.

(aus MM 23/2015)