Sekt, Damen im Bikini auf dem Deck, eitel Sonnenschein und eine leichte Brise. So stellt man sich als deutscher Tourist ein Segeltraining auf Mallorca vor. Doch was die sieben Teilnehmer an jenem Freitagmorgen Mitte März am Real Club Nautico in der Bucht von Palma durchmachen, ist das pure Gegenteil dieser nautischen Fantasie. Die Männer aus Deutschland und der Schweiz nehmen an einem harten Viertageskurs im Regatta-Training bei Nautik-Coach Oliver Ochse unter ungewöhnlichen Bedingungen teil. Denn nur hartgesottene Segler gehen bei Windstärken von 4 bis 5 aufs Wasser. Doch was genau ist es , das die Teilnehmer motiviert, sogar 600 Euro für einen Kurs zu zahlen, der alles andere als ein Schönwetter-Segeltörn ist?
Vor dem Start checkt Segeltrainer Oliver Ochse an Land in der „Windy App” auf seinem IPad die Witterungsbedingungen und die Windrichtung. Heute haben die ambitionierten Segler Glück: Es ist kein Regen angesagt, und zwischendurch soll sogar die graue Wolkendecke aufbrechen. Alle Teilnehmer tragen entsprechend wetterfeste Kleidung, manche sogar eine Automatik-Rettungsweste. Bei dem Kurs, bei dem jedem Anfänger flau im Magen werden würde, gehen die Männer an ihre eigenen Grenzen und darüber hinaus. Jahrelange Vorerfahrung gehört zu den Voraussetzungen für die Teilnahme; einzelne von ihnen besitzen sogar ein eigenes Boot.
Oliver Ochse saß schon in einem Segelboot, bevor er ein Wort sprechen konnte. Vor 20 Jahren hat der 54-Jährige dann seine Berufung als Segelberater auf Mallorca gefunden und sich selbstständig gemacht. Der Sport auf dem Wasser hat ihn geformt, und eine Narbe auf seiner Stirn zeugt von ausgefochtenen Kämpfen mit den Naturgewalten. „Da habe ich das Vorschiffluk geküsst. So etwas kann passieren, wenn man müde oder unkonzentriert wird”, sagt er. Immerhin ist noch niemand bei ihm über Bord gegangen. Heute hilft ihm seine Erfahrung, die vielen kleinen Fehler, die sich bei den Segelteilnehmern einschleichen, zu erkennen und auszugleichen.
Die Mannschaft macht das Boot, die „Petit Chasseur M34”, startklar, packt die Segel, und jeder begibt sich an seinen ihm zugeteilten Posten. Zum Auslaufen aus dem Hafen wird der Motor angeworfen. Zunächst geht es in Richtung Magaluf. Geübt wird dort vor allem der Wechsel der Positionen. „Zum Segeln ist dieser Ort phänomenal, es gibt nur ganz wenige Tage ohne Wind”, erklärt Oliver Ochse.
Bald gibt der Segelberater das Kommando „Fock hoch”. Sogleich setzt Raphael, der Jüngste der Crew, das Vorsegel. Die Wassersportart hat ihren eigenen Fachjargon. Da es ein Kurs für Fortgeschrittene ist, wissen die Teilnehmer, dass mit Steuerbord die rechte Bootsseite gemeint ist und eine Schot auf Seemännisch die Leine zum Bedienen eines Segels bezeichnet. Entsprechend gut funktioniert das Teamwork, auch wenn die Mannschaft noch nicht ganz eingespielt ist.
Auch das Wenden wird trainiert. Die Herausforderung für die Teilnehmer ist dabei, innerhalb von Sekunden die Positionen von Backbord zu Steuerbord zu wechseln. Bei dem starken Wellengang ähnelt das aber eher einem akrobatischen Balanceakt oder einer Gleichgewichtsprobe. Die vielen Böen sorgen dafür, dass der Gennaker, das bauchige, dreieckige Zusatzsegel mit 80 Quadratmeter aus leichtem Tuch, heute nur einmal gesetzt werden kann.
Mit über zehn Knoten prescht das Boot durch das Wasser. Oliver Ochse sagt: „Alle Geschwindigkeiten im zweistelligen Bereich sind hoch. Bei der Copa del Rey etwa entscheidet jedoch die Kombination aus Richtung und Geschwindigkeit darüber, welche Regatta-Yacht gewinnt.”
Bei dem ungemütlichen Wetter sind wenige Boote auf dem Wasser. Damit es trotzdem zu keiner Kollision kommt, muss der Skipper ein gewisses Vorwissen mitbringen. Denn hier gilt die Regel: Lee vor Luv – das Boot, das näher am Wind ist, muss abdrehen.
Heute ist der Wind so stark, dass das Boot mit einer Krängung von 15 bis 25 Grad im Wasser liegt. Um es aus dieser Schräglage einigermaßen in Balance zu bringen, ruft Oliver: „Beine raus”. Sekunden später lassen drei Mann die Unterschenkel an der Luv-Kante baumeln, und das kalte Nass peitscht ihnen entgegen.
Immer wieder schütteln die Wellen die Mannschaft und die „Petit Chasseur” durch. Doch diese Action sorgt bei den Crewmitglieder nicht etwa für Angst, sondern macht für einige erst das Besondere aus. So auch bei Frank Harter (48) aus Hockenheim: „Das ist pures Adrenalin, wenn man da so schräg drin hängt. Wenn man die Manöver durchspricht und einen festen Stand hat und sich festhält, ist das aber sicher.”
Rainer Oberholzer (60) ist für den Kurs auf Mallorca aus der Schweiz angereist. Er sagt: „Auch wenn ich ansonsten unter anderen Bedingungen fahre, bin ich froh, in Zukunft als Skipper etwas mehr Wissen zu haben.”
Bei solchen Fahrten kann es schnell passieren, dass Teilnehmer seekrank werden. Anzeichen hierfür sind Oliver Ochse zufolge, wenn Segler besonders still und wortkarg werden. Neben Schwindel und Übelkeit sind die Symptome Schwitzen oder Konzentrationsschwäche. Doch zum Glück sind heute alle robust und wohlauf.
Eine Besonderheit bei diesem Training ist das sogenannte Blind-Segeln mit verbundenen Augen. Für Thomas Starke (52) aus Recklinghausen, der, ohne etwas zu sehen, die Pinne bedient und das Boot steuert, ist es ein besonderer Moment. „Ich habe versucht, mich auf mein Gespür zu verlassen, um zu fühlen, wie das Boot sich senkt und wie ich das Ruder setzen muss”, beschreibt er seine Erfahrung.
Gegen fünf Uhr nachmittags wird wieder Kurs auf den Hafen genommen. Bald legt die Crew erschöpft an Land an und holt die Segel ein. Die Teilnehmer haben müde, aber strahlende Gesichter. Für Raphael Ziegler (31) aus Regensburg ist der Sport auf dem Wasser mehr als nur ein Hobby: „Das Segeln gibt mir Freiheit! Auf dem Boot fühle ich mich losgelöst vom Stress an Land. Die Zeit geht einfach anders.”
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