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Bei jedem Griff nach oben stößt er einen Schrei aus, als würde ihn jemand quälen. Aber wer sich hier quält, ist nur er selbst. Der weltbekannte Kletterer Chris Sharma aus den USA hangelt sich von Felsübersprung zu Felsübersprung. Wie ein Floh erklimmt er den karstigen Überhang und bezwingt den Felsbogen bei Cala Varques. Deep Water Soloing oder Psicobloc nennt sich das, wenn einer frei, direkt über dem Meer klettert. Wenn den Kletterer die Kräfte verlassen, lässt er sich ins türkisfarbene Wasser fallen.

Mallorca ist ein weltweit begehrtes Klettergebiet. Ganzjährig, dank des Klimas. Die kalkhaltigen Felsen sind griffig, landschaftlich atemberaubend ist die Tramuntana und direkt am Fels über dem Meer zu klettern, das sorgt für Nervenkitzel. Auch die vielen Höhlen auf der Insel ziehen Kletterer an. Nur im Sommer macht die hohe Luftfeuchtigkeit den Fels mitunter etwas rutschig.

Doch seit letztem Jahr ist das Springen vom Felsen ins Meer in der Gemeinde Manacor, also auch in der Cala Varques, verboten - und somit auch der Psicobloc. In der Region um Bunyola werden Gebühren pro Person und Auto erhoben, für die, die hier am Felsen turnen möchten. Auch die 2007 erlassene Regelung P.O.R.N (Pla d´Ordenació dels Recursos naturals de la Serra) der balearischen Regierung wird seit letztem Jahr kontrolliert und sorgt für Verstimmung. Das Gebirge wurde hier in vier Zonen unterteilt: Von "frei nutzbar" bis zu "gesperrt" reicht die Skala. Sie verlangt von Kletterern eine schriftliche Genehmigung, wenn sie in den nicht gesperrten Zonen im Tramuntanagebirge klettern möchten. Dunkelgrün zum Beispiel bedeutet limitado - eingeschränkt. Die Tramuntanakarte des P.O.R.N. ist ziemlich dunkelgrün.

So viele Regeln und Verbote haben die Klettergemeinde empört. Auch Javier Marín ist mit diesen Regelungen nicht einverstanden. Der Vorsitzende des balearischen Berg- und Kletterverbandes (Federació Balear de Muntanya i Escalada) sieht in der Disziplin Klettern großes touristisches Potenzial für die viel beklagte Nebensaison. Restriktionen und Eintrittsgelder seien seiner Meinung nach kontraproduktiv. "Das Ganze geht an der Praxis vorbei. Kletterer entscheiden spontan, wo sie klettern möchten, je nach Wetter. Muss man schriftliche Genehmigung einholen und kann am Ende in der angegebenen Region wegen Regens nicht klettern, dann ist das realitätsfremd", sagt der Mallorquiner.

Das war bisher so. Die Conselleria d'Agricultura, Medi Ambient i Territori möchte den Kletterern nun entgegenkommen. Man kann demnächst eine einjährige allgemeine Erlaubnis beantragen. Das Ziel dieser Genehmigungen sei keine Schikane, sondern diene einer besseren statistischen Übersicht, um langfristig einschätzen zu können, wie stark eine Region sportlich genutzt wird, sagt Joan Llabrés Enseñat von der balearischen Regierung. Aufklärung tut not, Dialog ebenso, denn in vielen Kletterforen herrscht Unsicherheit und dominiert Halbwissen. Aber auch viele Kommentare zeigen Selbstkritik und Einsicht, dass zum Beispiel der Müll, der von Kletterern hinterlassen wird, ein Problem darstellt. Eine Lösung könnte zum Beispiel sein, Unterkünfte oder Toiletten für Kletterer auf dem Gelände zu errichten und hierfür Geld zu verlangen. Kletterer aus dem Ausland sind verunsichert und ändern womöglich spontan ihre Reisepläne - Mallorca als Klettergebiet mit Gebühren, das wollen sie dann doch nicht. Und wer hat schon im Urlaub Lust, sich mit Genehmigungen auf Mallorquinisch rumzuschlagen?

Javier ist Bergführer und passionierter Kletterer. Der Mann mit dem vollen Bart und den kräftigen Händen liebt besonders die hohe Felswand (Big Wall). Eine seiner Lieblingsklettertouren ist im Torrent de Pareis, dort wo die Wände bis zu 400 Meter steil in den blauen Himmel ragen.

Kletterer, erklärt er, sind freiheitsliebende Menschen. Draußen an der frischen Luft zu sein, stundenlang an einem Fels zu hängen, immer wieder und wieder nach dem idealen Griff, dem besten Klettersteig zu suchen, das bedeutet Ausdauer und Biss.

Gerade bei Klettersteigen an der Big Wall kann es bis zu zwei Tage dauern, bis man oben ist. "Manche übernachten in einem an Seilen befestigten schwebenden Zelt", erzählt Javier. Freischwebend über dem Abgrund. Andere steigen abends ab und beginnen am nächsten Tag neu. Klettern ist ein Sport, bei dem der gesamte Körper im Einsatz ist. Gleichgewicht, Geschick, Konzentration und Kraft werden trainiert. "Vor allem ist es auch eine mentale Sache. Und wenn du eine Route geschafft hast, dann freuen sich auch die Mitkletterer. Es herrscht eine unheimlich positive Atmosphäre untereinander."

Ihr Interesse sei es nicht, der Natur zu schaden. Ihre in den Fels geschlagenen Metallhaken sehen sie nicht als Übel oder Eingriff in die Natur. Naturschützer haben da eine andere Sicht. Sie sehen auch die kleine Pflanze oder das Vogelnest, das durch die Kletterer gestört und verdrängt wird.

Gleichzeitig ist die Situation der Gebietszugehörigkeit auf Mallorca komplex. Viele Kletterfelsen befinden sich auf privatem Gelände, deren Besitzer Wanderern und Kletterern Zugang gewähren. In den meisten Fällen gibt es keine Schwierigkeiten. Andere Gebiete, wie häufig die Küstenregionen, gehören der Öffentlichkeit. Ob sich die Gebühr, die Manacor verlangt, auf andere Gebiete ausweiten wird, kann Javier nicht einschätzen. Er hegt aber die Hoffnung, dass die Gebührenfrage eine Chance sein wird, um endlich die verschiedenen Parteien an einen Tisch zu kriegen und klare Regeln und Bestimmungen festzulegen, mit denen Fincabesitzer, die Regierung, Umweltschützer und die Kletterer gut leben können.

(aus MM 45/2014)