Club Ultima Hora

Ehemaliger italienischer Regierungschef Letta macht sich auf Mallorca für Europa stark

Der Sozialdemokrat sprach vor einem interessierten Publikum im Rahmen eines Forums, das vom MM-Verlag Grup Serra und dem mallorquinischen Wirtschaftskreis organisiert wurde

Italiens ehemaliger Regierungschef Enrico Letta bei seiner Rede in Palma. | T. Ayuga

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Europa steht an einem Scheideweg. „Wir haben eine gemeinsame Währung, aber keinen gemeinsamen Finanzmarkt“, mahnte Enrico Letta am Donnerstag bei einer Veranstaltung in Palma. Der ehemalige italienische Ministerpräsident und heutige Präsident des renommierten Instituts Jacques Delors forderte vor einem prominenten Publikum deshalb eine tiefere wirtschaftliche Integration Europas auf allen Ebenen: Finanzen, Energie, Telekommunikation, Rüstung. Ohne einen einheitlichen Binnenmarkt, so Letta, drohe dem Kontinent ein schleichender Bedeutungsverlust im globalen Wettbewerb mit den USA, Russland, China und Indien.

Anlass der Rede war war das Forum El futuro de la economía europea en la era Trump (Die Zukunft der europäischen Wirtschaft in der Ära Trump), organisiert vom Club Ultima Hora – Valores und dem Cercle d’Economia de Mallorca. Die Bedeutung des Treffens unterstrich bereits die Begrüßung durch Carmen Serra, Präsidentin des Medienhauses Grup Serra, in der auch das Mallorca Magazin erscheint. Sie warnte vor den weltweiten wirtschaftlichen und politischen Turbulenzen, ausgelöst durch die Rückkehr Donald Trumps ins Zentrum der Macht in Washington. „Ein alter Bekannter hat erneut das geopolitische Schachbrett erschüttert“, so Serra. Die Folgen träfen nicht nur Staaten, sondern auch „die Geldbörsen eines jeden Einzelnen“.

PALMA. CLUB ULTIMA HORA. Enrico Letta: „Tenemos moneda única, pero no economía única“. El ex primer ministro aboga por acab
Carmen Serra bei ihrer Eröffnungsrede. Foto: T. Ayuga

Josep Maria Vicens, Präsident des Cercle d’Economia, würdigte Letta als einen Vordenker der europäischen Idee. Europa sei, so Vicens, zwar gealtert, aber reif und fruchtbar geblieben – ein Ort, „der unser Ursprung, unser Leben, unser Erbe und unser Zuhause“ sei.

"Europa leider an Fragmentierung"

In seiner Rede präsentierte Letta dann Argumente, die in Brüssel längst nicht mehr nur hinter verschlossenen Türen diskutiert werden. Europa, so seine Diagnose, leidet an der Fragmentierung der Märkte. Dass strategische Bereiche wie Energie, Telekommunikation und Finanzdienstleistungen weiterhin auf nationaler Ebene organisiert seien, bezeichnete Letta als „historischen Fehler“. Die Konsequenzen seien im Alltag sichtbar – etwa an der Existenz von 27 nationalen Telefonvorwahlen oder daran, dass nur zwei europäische Hauptstädte – Paris und Brüssel – mehrfach täglich per Hochgeschwindigkeitszug miteinander verbunden sind.

Besonders kritisch sieht Letta die Abwanderung europäischen Kapitals in die Vereinigten Staaten. Jährlich flössen rund 300 Milliarden Euro über den Atlantik, nur um später als Investitionen in europäische Unternehmen zurückzukehren. „Sie kaufen unsere Firmen mit unserem eigenen Geld. Das ist eine Form von Kolonialismus“, so Letta. Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch sei Europa zunehmend unter Druck – von Westen durch Trump, von Osten durch Putin. „Und Elon Musk droht der Ukraine via Twitter mit der Abschaltung seiner Dienste – auch das ist Teil der neuen Realität“, ergänzte er pointiert.

Eine echte europäische Kapitalunion, so Letta, sei dringend nötig, um wirtschaftliche Souveränität zurückzugewinnen. Nationale Egoismen stünden dem jedoch noch immer im Weg. Besonders die Zurückhaltung bei länderübergreifenden Unternehmensfusionen sieht er kritisch: „Wir halten an nationalen Champions fest – im globalen Maßstab sind sie inzwischen Zwerge.“ Dass Europa auch ein Champion sein kann, zeigten Beispiele wie der länderübergreifende Flugzeugbauer Airbus. “Hir arbeiten wir gemeinsam an einem exzellenten Produkt – und sind darin besser als die Amerikaner mit Boeing.”

"Reformen sind auch ohne Umwege möglich"

Doch Letta gibt sich nicht geschlagen. Reformen seien auch ohne Vertragsänderungen möglich. Er schlägt ein „virtuelles 28. Mitglied“ der EU vor – ein Finanzmarkt mit einheitlicher Regulierung, dem Unternehmen und insbesondere KMU freiwillig beitreten können. Aktuell könnten nur rund 17 Prozent der kleinen und mittleren Betriebe vom Binnenmarkt profitieren. Es brauche einen neuen Impuls, auch in der Forschung: eine „fünfte Freiheit“ – neben Waren, Dienstleistungen, Personen und Kapital solle die Forschungsfreiheit als Grundpfeiler der Union gestärkt werden.

PALMA. CLUB ULTIMA HORA. Enrico Letta: „Tenemos moneda única, pero no economía única“. El ex primer ministro aboga por acab
Letta (l.) im Gespräch mit Josep M. Vicens. Foto. T. Ayuga

Im anschließenden Publikumsgespräch zeigte sich Letta offen für die Sorgen vieler Europäer. Besonders die Debatte um höhere Verteidigungsausgaben, etwa im Zuge der Unterstützung für die Ukraine, polarisiere. Gleichwohl sei eine gemeinsame Sicherheits- und Fiskalpolitik unerlässlich. „Wenn wir eine europäische Schuldenaufnahme erwägen, muss diese nicht nur Verteidigung, sondern auch Klimaschutz und Digitalisierung finanzieren“, so Letta.

Auf die Frage, wie Europa ohne den militärischen Schutzschirm der Vereinigten Staaten bestehen könne, blieb Letta nachdenklich. Es sei Zeit, Verantwortung zu übernehmen. Ausgerechnet die protektionistische Wende in Washington könne dabei zum Katalysator werden: „Trump wird Europa dazu zwingen, sich zusammenzuschließen. Seine Politik ist eine Gelegenheit – gerade weil sie gegen die Interessen Amerikas gerichtet ist.“

Zum Abschluss seiner Ausführungen erinnerte Letta an die moralische Grundlage der europäischen Idee: „Wir sind Europäer, weil wir nach dem Zweiten Weltkrieg gelernt haben, dass Grenzen wie zwischen Frankreich und Deutschland Orte der Zusammenarbeit – nicht des Todes – sein können.“ Es sei, so Letta, höchste Zeit, an diese Vision anzuknüpfen – bevor sie im politischen Alltag verblasst.

Enrico Letta, geboren 1966 in Pisa, blickt auf eine lange Karriere zwischen Politik und Wissenschaft zurück. Er war Premierminister Italiens (2013-2014), EU-Parlamentarier und Vorsitzender der sozialdemokratischen Partito Democratico. Bei den Wahlen 2022 trat er gegen die heutige Ministerpräsidentin Giorgia Meloni an und unterlag. Anschließend zog er sich aus der aktiven Politik zurück. Heute steht er an der Spitze des Instituts Jacques Delors in Paris und ist Dekan an der IE University in Madrid.