Eine knappe Mehrheit aus Junts pel Sí und CUP setzte die Deklaration durch – gegen einen Boykott der Opposition. 70 Abgeordnete stimmten mit ja, zehn mit nein, und zwei enthielten sich. Insgesamt verfügt die Separatisten-Koalition über 72 Abgeordnete im Regionalparlament mit seinen 135 Sitzen. Ob es sich formal um eine Unabhängigkeitserklärung handelt oder nicht, ist unter Juristen umstritten, da sich die kritischsten Formulierungen des Dokuments nicht in der eigentlichen Resolution befinden, sondern in der Begründung. Nach der Bekanntgabe des Stimmenergebnisses sangen die Angeordneten spontan die das alte katalanische Volkslied, Els Segadors (deutsch: ‚Die Schnitter'), das bei Separatisten den Nimbus einer Nationalhymne hat.
Darüber hinaus soll nun das spanische Recht seine Geltung verlieren, jedoch vorübergehend in einem neuen katalanischen Rahmen weitergeführt werden. Ein bereits im September beschlossenes und postwendend vom Verfassungsgericht annulliertes "Gesetz zum Übergang der Rechtsordnung" (Ley de Transitoriedad Jurídica) beinhaltet auch eine provisorische Verfassung, in der dem Regierungschef eine Rolle als "Präsident der Republik" zugeschrieben wird.
Allerdings dürfte dem katalanischen Ministerpräsidenten Carles Puigdemont wohl eher die Verhaftung oder das Exil drohen. Der spanische Senat hat jedenfalls noch am Nachmittag grünes Licht für seine Absetzung und die Aufhebung der Autonomie im Rahmen des Verfassungsartikels 155 gegeben. 214 Senatoren stimmten mit ja, 47 mit nein, einer enthielt sich. Unterstützung gab es nicht nur aus der konservativen Volkspartei PP und von den liberalen Ciudadanos sondern auch von der sozialistischen PSOE.
Ob diese Entscheidung sogleich umgesetzt wird oder erst in den kommenden Tagen, war zunächst offen. Die spanische Regierung wird zu einer Sitzung zusammenkommen, um über die praktische Durchführung zu beschließen. Dies sollte laut Medienberichten noch am Freitagnachmittag vor der anstehenden Veröffentlichung im Staatsanzeiger geschehen.
Ministerpräsident Rajoy trat vor die Kamera, bat die Spanier um Ruhe und versprach die "Wiederherstellung der Legalität durch den Rechtsstaat". EU-Ratspräsident Donald Tusk twitterte, dass Spanien weiterhin der einzige Gesprächspartner der europäischen Regierungen sei. Gleichzeitig appellierte er aber an alle, nicht auf Gewalt zu setzen, sondern auf Argumente.
Nach den vielen überraschenden Wendungen vom Donnerstag hielten Beobachter bis zuletzt eine Einigung "in extremis" für denkbar. Zudem könnte der Artikel 155 womöglich erst nach und nach angewendet werden und somit Spielraum für weitere Verhandlungen bieten. Das katalanische Parlament hat im Übrigen für einen "konstituierenden Prozess" votiert, um die Staatsbildung voranzutreiben. Dabei ist eine Bürgerbeteiligung vorgesehen, und bis Mitte November soll eine Verfassungskommission zusammentreten. In sechs Monaten könnte laut diesen Planungen eine verfassunggebende Versammlung gewählt werden.
In Barcelona stehen zahlreiche Polizeikräfte bereit; die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen "Rebellion". Gleichzeitig rufen Separatisten zu Massenprotesten auf, "um die Republik zu verteidigen". Es wird darüber spekuliert, dass sich führende Politiker in die französische Grenzregion um Perpignan absetzen könnten, die ebenfalls zum katalanischen Kulturkreis gehört. (mic)
aktualisiert um 17.46 Uhr
4 Kommentare
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Seehofer twittert grade, dass er sich den Bemühungen in Katalonien anschließt und sich zum "El Rey de Bavaria y Catalunya" proklamieren läßt...... Trump hat ihm schon in voreilendem Gehorsam gratuliert......Wenn die Angelegenheit nicht so erst wäre...............
@calatayud. Ich würde Sie ja wahnsinnig gerne verstehen. Wen meinen Sie mit "spanischen Reichsbürgern"? Nationalistische Spanier in Katalonien? Katalanen, die Spanier bleiben wollen? Oder Katalanen die, die Unabhängigkeit wollen - aber bei allen Respekt, die kann man dann nicht Spanier oder spanische Reichsbürger nennen, falls überhaupt katalonische Reichsbürger - ist aber dann trotzdem Schwachsinn.
Ich denke, Junker hat getan, was er tun konnte: Er hat gesagt, dass die Katalanen sich mitnichten als von Spanien Unterdrückte bezeichnen können. Und dass die spanischen Reichsbürger nicht damit rechnen dürfen, in der EU unterschlüpfen zu dürfen. Spanien handelt aufgrund einer Verfassung, die sich in wesentlichen Teilen an unserer orientiert. Und man sollte die Separatisten nicht mit unseren Bayern vergleichen. Eher mit den Reichsbürgern. Obwohl man denen fast unrecht tut: Die spanischen Reichsbürger verstehen sich als eine überlegene Rasse. Das zumindest tun unsere hier nicht. Zumindest wäre mir das neu.
Mal ein Gedankenspiel: Angenommen Gibraltar würde den Wunsch äußern unabhängig von GB zu werden. Der Gouverneur will sein Volk darüber abstimmen lassen. London verbietet die Abstimmung und schickt aus GB eigens Polizisten, aber trotzdem wird gewählt. 90% der Abstimmendenden erklären die Unabhängigkeit. Die britische Regierung beruft sich daraufhin auf den Frieden von Utrecht 1713/14 und die aktuellen Gesetze, entmachtet den Gouverneur, die Polizei und schickt eigene Ordnungskräfte (Polizei und Streitkräfte) nach Gibraltar, um den Willen der britischen Regierung durchzusetzen. Wie würde dann die (Welt)Öffentlichkeit reagieren? 1714 kam Katalonien auch unter die Herrschaft der Spanier. Das Land hatte einen vorübergehenden Autonomiestatus in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts, der mit dem Sieg Francos 1939 aufgehoben wurde. Franco verbot die katalonische Sprache und setzte alle lokalen Strukturen außer Kraft. Hat Spanien wirklich das Recht seinen Willen in Katalonien auch mit Gewalt durchzusetzen? Ich finde, wir sollten es uns nicht zu einfach machen in der Analyse der Unabhängigkeitsfrage. Persönlich bin ich dagegen, denn nationale Kleinstaaterei hat eigentlich in einem modernen, zusammenwachsenden Europa nichts zu suchen. Aber das ist ein persönlicher Blick von außen.