Um 19.22 Uhr wechselt schlagartig die Musik. Statt Funk von James Brown ertönt aus den Lautsprechern der Schlager zum Kinohit "Ghost Busters". Mehr als 5000 Menschen in der Radsporthalle Palma-Arena blicken gespannt in Richtung Bühne, die im Mittelfeld von Scheinwerfern angestrahlt ist, erheben sich, um besser sehen zu können, skandieren lautstark "Sí, se puede" (Ja, man kann). Dann ist er irgendwo im Blitzlichtgewitter der Fotografen und umringt von KameraTeams der TV-Sender auszumachen: Pablo Iglesias, der Chef der linken Protestpartei Podemos, umgeben von seinen engsten Genossen und der balearischen Kandidaten, wird mit jubelndem Applaus frenetisch gefeiert, ohne bisher auch nur ein Wort gesprochen zu haben. Lässig steht er auf dem Podest, dunkle Jeans, hellblaues Hemd, winkt mit hochgereckten Armen, das Lächeln im bärtigen Gesicht strahlend, der schweifige Zopf am Hinterkopf wippt mit Leichtigkeit über seine Schultern und wirkt selbst aus der Ferne frisch gewaschen und geföhnt.
Der Bezopfte
Wie kein anderer Parteiführer, der in den vergangenen Tagen auf Mallorca auftauchte, um die Werbetrommel für die spanischen Parlamentswahlen am 20. Dezember zu rühren, hat Pablo Iglesias die Menschen zu bewegen gewusst. Eine wahre Völkerwanderung pilgerte am Dienstabend in die restlos ausgefüllte Sporthalle, mehr als 500 Ankömmlinge konnten aus Sicherheitsgründen nicht mehr eingelassen werden. Viele waren zu Fuß gekommen. Nicht, weil es kaum Parkplätze gab, sondern weil viele vermutlich gar keinen Wagen besitzen.
Iglesias enttäuschte seine Anhänger nicht. Bestens gelaunt nach der Polit-Runde im Fernsehen vom Montag, bei der er nach Internet-Umfragen zum Sieger erklärt wurde, geriet sein Auftritt auf der Insel fast zum Heimspiel. Nirgendwo sonst ließ sich die Korruption konservativer Politiker besser anprangern als in der Arena, die mehr als das Doppelte des Geplanten gekostet hatte und mit ihrem Namen zu einem der spektakulärsten Gerichtsverfahren der Insel wurde.
Politisch versprach Iglesias ein Ende der Korruption durch eine mit mehr Mitteln ausgestattete Justiz, ein Verbot der Jobwechsel von Ministerämtern in die Verwaltungsräte strategischer Unternehmen, einen nationalen Plan zur Versorgung Spaniens ausschließlich aus erneuerbaren Energien, mit dem sich innerhalb eines Jahres 300.000 bis 400.000 Arbeitsplätze schaffen ließen, eine Reform der Verfassung und des regionalen Finanzausgleichs, ein Referendum in demokratischer Freiheit für Katalonien, ein weiteres Vertrauens-Referendum, dem sich jede Regierung zur Halbzeit der Legislatur stellen müsste. Sollte dabei das Votum negativ ausfallen, müssten Neuwahlen abgehalten werden.
Iglesias, das trug er überzeugend vor, sieht die Macht zum Greifen nah. Während der balearische Spitzenkandidat Juan Pedro Yllanas gar von einer "Revolution" sprach, die in zehn Tagen stattfinden werde, rief Iglesias den Zuhörern zu: "Wir erleben derzeit eine neue Transition." Seine Anhänger antworteten mit euphorischen "presidente, presidente"-Chören und zeigten das Finger-"V" als Zeichen des Sieges.
Der Krawattenträger
Im Vergleich zur Massenkundgebung von Podemos wirkte die Versammlung der Konservativen am Mittwochmittag im Parc de la Mar in Palma wie eine Familienfeier im Freien. Bis zu 500 Menschen, viele von ihnen PP-Parteimitglieder, waren zusammengekommen, um den Worten Mariano Rajoys zu lauschen. Der spanische Ministerpräsident gab sich vor dem TV-freundlichen Hintergrund der Kathedrale staatsmännisch und präsentierte sich als einziger Kandidat, der noch den Krawattenknoten beherrscht. Seine Botschaften waren jene, die seine Gefolgsleute, zumeist wohlfrisiert und in feinem Zwirn, zu hören erwarteten: Seine Regierung habe Spanien vor dem finanziellen Zusammenbruch bewahrt, mit ihm werde auch an der Integrität des Landes nicht gerührt werden. "Für jeden Spanier gelten die gleichen Rechte und Pflichten." Die in den vergangenen vier Jahren eingeleiteten Strukturreformen tragen nach seinen Worten Früchte und müssten sich weiter konsolidieren. Das vorrangige Ziel bleibe die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Neben Steuererleichterungen versprach Rajoy, bis 2019 jährlich 500.000 Arbeitsplätze zu schaffen. In den vergangenen zwei Jahren seien eine Million Jobs entstanden. Die Einführung einer Ökosteuer für die Balearen nannte Rajoy falsch. Sie setze ein schlechtes Zeichen gegenüber Besuchern. Von seinen Siegesaussichten zeigte sich Rajoy überzeugt. "Wir sind ein großes Land, auf das wir stolz sein können!"
Der Rosenkavalier
Der Spitzenkandidat der Sozialisten, Pedro Sánchez, streichelte am vergangenen Sonntag die Seele der 136 Jahre alten PSOE. Viele ergraute Mitglieder, die busweise in die schmucke Veranstaltungshalle Fàbrica Ramis gekarrt wurden, schwenkten eifrig die rote Parteifahne, manche Genossin trug die Parteiblume als gehäkelte Rose am Revers. Sánchez, der kraft seiner Stimme auch ohne Mikrofon in der gesamten Halle gut zu hören gewesen wäre, drosch verbal auf die Konservativen und deren Korruptionsskandale ein, nannte die Ciudadanos eine PP, "nur 20 Jahre jünger", und erwähnte Podemos allenfalls als "Sirenengesang". Einzig die Sozialisten seien in der Lage, Spanien soziale und steuerliche Gerechtigkeit, Reformen, ein Bildungs- und Gesundheitssystem ohne Einschnitte sowie gesellschaftlichen Fortschritt zu bescheren. "Guapo, guapo" (Hübscher), riefen berauschte Genossinnen.
Der Brustschwimmer
"Guapo"-Rufe bekam auch Albert Rivera von der bürgerlichen Protestpartei Ciudadanos zu hören. Der Sohn eines katalanischen Vaters und einer andalusischen Mutter gelangte in Barcelona aus Gegnerschaft zu den Separatisten zur Politik. Rivera riss sein auffallend junges Publikum zu Begeisterungsstürmen hin, als er am Freitag vor 1300 Zuschauern die Ränge des vollbesetzten Trui-Theaters hinabdefilierte. Der frühere katalanische Meister im Brustschwimmen machte auch auf der Bühne eine gute Figur, schlug eloquent - ohne Rednerpult und Stichwortzettel - auf die Korruption der Konservativen ein.
Rivera versprach "Reformen statt Einschnitte", einen gerechten Finanzausgleich der Regionen samt Einheitskasse für grundlegende öffentliche Dienste wie das Bildungs- und Gesundheitswesen. Auf diese Weise solle für jeden Bürger in Spanien die Gleichbehandlung gewährleistet sein. Für die Balearen setzte Rivera auf ein Dreisprachenmodell, damit die Schüler der Tourismusregion neben den Amtssprachen auch ausreichend Englisch lernen könnten.
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