Der Spanier José Mariá Manzanares ist der Sohn eines legendären Matadors und zeigte im Kampf zwischen Tier und Mensch virtuos sein Können. | Pilar Pellicer

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Es ist kurz vor neun Uhr abends an diesem Donnerstag, 8. August, an der "Plaza de Toros" in Palma – und trotz der über 30 Grad sind die Straßen vor der Stierkampfarena voller Menschen. Tausende von Zuschauern, zumeist festlich gekleidete Spanier, drängen sich zum Eingang des Coliseo Balear, um dem einzigen 2024 dort stattfindenden Stierkampf beizuwohnen. Vereinzelt gibt es am Eingang noch Restkarten für 75 und 60 Euro, die Tickets für die billigen Sitzplätze sind restlos ausverkauft. Es handelt sich um ein Massenspektakel, und diese blutige und gleichzeitig urspanische Tradition lockt selbst im 21. Jahrhundert viele Begeisterte in die Arena, darunter Familien und spanische Prominente.

Der erst 27-jährige peruanische Torero Andrés Roca Rey (M.) gilt als bester Stierkämpfer
seiner Generation.

Vor Beginn des seit langem umstrittenen Schauspiels geht MM bei den "Taurinos", also den Befürwortern der Stierkampftradition, auf Stimmenfang. Unter ihnen befindet sich der balearische Vox-Politiker Pedro Bestard Martínez, der sagt: "Der Stierkampf gehört zur spanischen Kultur, ist das Erbe dieses Landes und darf niemals verloren gehen. Auch Rassen, die eigens für die Stierkämpfe gezüchtet werden, würde es dann nicht mehr geben."

Ähnlich wie der konservative Politiker argumentiert auch ein weiterer spanischer Besucher, Manuel Contreras Heradia, der für den Kampf eigens von der Nachbarinsel Menorca angereist ist. "Bereits in meiner Kindheit kam ich mit dem Stierkampf durch meinen Großvater, der sich die Spektakel ansah, in Berührung. Auch dass Minderjährige wieder in die Arena gelassen werden, finde ich gut, so kann ich meine Kinder mitbringen," so der Aficionado. Dass der Stierkampf nicht nur Anhänger hat, wird an diesem heißen Augustabend deutlich sichtbar.

Denn auf der gegenüberliegenden Straßenseite versammeln sich Hunderte von Tierschützern und Stierkampfgegnern, um gegen das in ihren Augen tierquälerische Spektakel zu demonstrieren. Unter ihnen befinden sich auch organisierte Gruppen von Protestierenden und Aktivisten, wie etwa „Satya Animal” oder „Anima Naturalis”. Die Mitglieder der Vereinigungen setzen sich international zusammen und wechseln sich im Stunden-Turnus beim Belagern des Platzes ab, wobei sie lautstark ihre Tierschutz-Parolen mit Trommeln untermalen. Dutzende von Ordnungshütern, Polizeikräfte und eine Umzäunung sollen dafür sorgen dafür, dass diese Proteste friedlich verlaufen und die Demonstranten durch die Nationalpolizei in Schach gehalten werden.

Unter den Aktivisten befindet sich auch die aus Köln stammende Mallorca-Auswanderin Nina Knopek. "Ich bin hier, um den Tieren mit meinen Kollegen eine Stimme zu geben. Dabei bin ich ein großer Befürworter von Traditionen, doch diese haben für mich nichts mit Blutvergießen zu tun", so die 38-jährige Deutsche. Eine weitere Demonstrantin, die Spanierin Irene Carrasco, sagt: "Seit über 14 Jahren ernähre ich mich vegan. Meine Gründe, dabei zu sein, sind daher ethischer und moralischer Natur. Ich bin gegen diese grausame Quälerei und das Leid, das den Bullen zugefügt wird, ehe sie getötet werden." Dem fügt die junge Aktivistin hinzu: "Für mich gehört das nicht zum spanischen Kulturgut, wir sind als Gesellschaft entwickelt und sollten auf solche blutrünstigen Vergnügen verzichten."

Hunderte von Aktivisten und Tierschützern protestierten vor der Stierkampfarena.

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Langsam füllt sich die Arena indes beinahe bis auf den letzten Platz, unter den Tausenden der zumeist spanischen Besucher sind auch zahlreiche Berühmtheiten. So sieht man etwa auf den Rängen der Arena den Unternehmer Lorenzo Rosselló, Real-Mallorca-Kicker Dani Rodríguez, den balearischen Parla-m-entspräsidenten Gabriel Le Senne, die bekannten Künstler Aldo Comas und Domingo Zapata sowie die populäre Modedesignerin Vicky Martín Berrocal.

Die Tiere, die an diesem Abend bei der Corrida ihr Leben lassen, stammen vom renommierten Züchter Juan Pedro Domecq. Das Aufgebot der Toreros umfasst ein Spitzenkämpfer-Trio, das sich aus dem Franzosen Sebastián Castella, dem Spanier José María Manzanares und dem Peruaner Andrés Roca Rey zusammensetzt. Um 21.35 Uhr geht der erste blutige Tanz zwischen den Toreros und den Bullen los, der rund 20 Minuten dauert. Zwischendurch kommt auch ein Lanzenreiter auf einem durch eine Polsterung geschützten Pferd in die Arena und testet die Angriffslust des Stieres, indem er ihn mit einer Lanze im Nackenbereich verletzt.

Darüber hinaus erhält der Torero auch Hilfe von den sogenannten Peones, die mit bunten Bändern versehene Spieße in den Widerrist des Tieres stechen. Der Bulle ist zunehmend geschwächt, was ihm deutlich anzusehen ist, und seine Bewegungen werden immer langsamer. Beim entscheidenden Moment des Kampfes versucht der Matador die Bewegungen mit dem Stier abzugleichen, bevor er ihn mit einem speziellen Degen tötet. Das ganze Schauspiel wird von einem Blasorchester in der Tribüne der Arena musikalisch begleitet und wiederholt sich sechsmal bis zum letzten Kampf kurz vor Mitternacht.

Dabei hat das Spektakel auch einen deutlich politischen Charakter, denn viele Gäste hissen die rot-gelb-rote Spanien-Flagge oder rufen laut "Viva España". Bei den nicht ganz ungefährlichen Corridas in Palma ist auch zu sehen, dass die Zuschauer Gefallen an der Leistung der Matadore gefunden haben, da sie nach mehreren Kämpfen jeweils ihre weißen Taschentücher hervorziehen – ebenfalls eine Tradition. Ein Tribunal entscheidet sodann darüber, ob der Matador eine Ehrenrunde verdient oder als Trophäe ein oder zwei Ohren des getöteten Stieres erhält ...

Die Gäste im Publikum schwenkten oftmals ihre weißen Taschentücher.

Zu den Befürwortern des Spektakels gehörte übrigens auch der verstorbene US-amerikanische Schriftsteller Ernest Hemingway. In seinem Erstlingswerk Fiesta von 1926 denkt und fühlt sich der Literaturnobelpreisträger in die spanische Seele ein, wozu ihm ein Besuch bei den Sanfermines in Pamplona und weiteren Stierkämpfen dienten.

Aber die Thematik ist heute umstrittener denn je. Die Kämpfe zwischen Tier und Mensch sind seit Jahren ein Politikum. In Spanien gilt der Stierkampf seit 2013 als immaterielles Kulturgut und steht unter gesetzlichem Schutz. Selbst das am 29. September 2023 eingeführte, neue Tierschutzgesetz schützt zwar Hunde und Katzen – nicht jedoch die Stiere. Immer wieder gab es auf der Insel zwar Versuche, die Corridas auf kommunaler Ebene zu verbieten – aber stets ohne Erfolg. Auch ein regionales Verbot des Linkspakts wurde 2018 vom Verfassungsgericht gekippt.