Mit aller Kraft hievt die junge Frau den Kinderwagen samt Baby in den Bus und steht ratlos inmitten einer Menschentraube. Niemand um sie herum bewegt sich auch nur um einen Millimeter, während sie versucht, den Buggy durch die Menge zu schieben. Vergebens. Ein genervtes Raunen ist zu hören. Zwar versuchen die Leute, Platz für Frau und Kinderwagen zu machen, doch es ist so voll, dass die Fahrgäste nicht wissen, wohin mit sich. Hilflos drehen sie sich um die eigene Achse, rücken von rechts nach links – bis eine andere Mutter zu schreien anfängt: „Der nächste Bus kommt doch schon in fünf Minuten. Wieso nimmst du immer mehr Leute auf? Hier stehen schon drei Kinderwagen!”, brüllt sie mit weit aufgerissenen Augen in Richtung Busfahrer.
Ein neuer Tag im öffentlichen Personennahverkehr von Palma hat begonnen und wieder geht er mit Stress los. Das ist oft so, vor allem wenn man mit stark frequentierten Buslinien unterwegs ist. Jeden Tag fährt die MM-Autorin mit der Linie 4 vom Viertel El Terreno in die MM-Redaktion am Paseo Mallorca. Dabei vergeht kaum ein Morgen, ohne Auseinandersetzungen, Streitigkeiten und Reibereien zu beobachten.
Denn die EMT-Busse auf dieser Linie karren jeden Tag tausende Menschen mit verschiedenen Zielen von A nach B: die Schüler, die Mütter mit ihren Kita-Kindern, Berufstätige. Auch ist diese Verbindung die Schnellste, um an einen der Stadtstrände im Westen Palmas zu gelangen: über Cala Major fährt die 4 bis an die Buchten von Ses Illetes. Zwischen Anfang März und Ende Oktober kommen also noch zahllose Urlauber hinzu. Kurz: Mit der 4 zu fahren, gleicht jeden Tag der Hölle.
Vor allem in der Hochsaison trifft man auch oft Urlauber an, die sich mit ihren großen Koffern in den Bus zwängen wollen. Mal sind sie auf dem Weg ins Hotel, mal wollen sie zum Flughafen. Doch oft kommen sie nicht weit. Viele von ihnen sind Briten oder Amerikaner und sie wollen ihre Fahrt mit Karte zahlen. „Only cash”, entgegnet der Busfahrer dann trocken. Fast jedes Mal enden diese Szenen mit verzweifelten Urlauber-Gesichtern oder mit blinder Wut. „Fuck your bus! Fuck your island!”, schrie ein Brite einmal, bevor er mit hochrotem Kopf aus dem Bus stampfte.
Für Residenten hingegen sind die Busse kostenlos. Seit Anfang Januar vergangenen Jahres nutzen sie die EMT-Busse, ohne einen Cent zahlen zu müssen. Wer in Palma gemeldet ist – also ein gültiges Empadronamiento hat – kann in einem der vielen Bürgerbüros der Stadtverwaltung eine Tarjeta Ciudadana beantragen. Das dauert wenige Minuten und kostet keine Gebühren. Fortan kann man die Stadtbusse in der Inselhauptstadt kostenfrei nutzen. Alle anderen bezahlen zwei Euro pro Fahrt und Person.
Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass die Stadtbusse so viel genutzt werden wie nie zuvor. Alleine im Januar dieses Jahres fuhren insgesamt 4,2 Millionen Fahrgäste mit den weiß-grün-blauen Fahrzeugen. Das sind 36 Prozent mehr als im Januar 2023. Im Vergleich: Rund 500.000 Menschen leben in der Stadt. Weil der Individualverkehr ohnehin eingeschränkt werden soll, ist das eigentlich eine gute Sache. Eigentlich.
Kommen dann aber zu den Residenten noch in der Hochsaison die Urlauber hinzu, wird es eng. Vor allem auf den viel frequentierten Linien, zu denen auch die Nummern 23, 25, 32 sowie 35 zählen. Sie verbinden die Playa de Palma mit dem Stadtzentrum. Darauf hat das Unternehmen EMT schon im Sommer 2022 reagiert, indem auf vielen dieser Strecken größere Busse in häufigeren Taktungen eingesetzt wurden. Dennoch passiert es beinahe täglich, dass man an der Haltestelle steht und der Bus an einem vorbeizieht; vorne leuchtet dann die Aufschrift „Bus complet”.
Dabei kann man manchmal auch folgendes Phänomen beobachten: Die Busse sind nur zur Hälfte gefüllt, werden aber dennoch als voll ausgewiesen. Das liegt an den Touristen aus aller Herren Länder, die es einfach nicht schaffen, nach hinten durchzulaufen, sobald sie zugestiegen sind. So blockieren sie die vorderen Reihen und erwecken bei dem Fahrer den Anschein, dass das Fahrzeug schon voll ist.
Immer wieder werden Urlauber lautstark ermahnt, nach hinten durchzurücken: „Por favor, ¿podéis pasar por atrás?”. Doch die meisten von ihnen sind viel zu sehr mit ihren Handys beschäftigt und starren auf Google Maps, schließlich wollen sie ja ihre Haltestelle nicht verpassen. Und sie müssen natürlich auch ihren vom Sightseeing müden Füßen eine Pause gönnen. Da lässt man sich doch gerne auf einem der rar gesäten Sitzplätze nieder und macht keinen Platz für Ältere oder Frauen, die ihre Kinder auf dem Arm tragen müssen. Warum auch?
Bevor jetzt der Eindruck entsteht, man würde auf Urlauber schimpfen: Selbstverständlich fehlt es auch Einheimischen manchmal an Umgangsformen. Vor ein paar Tagen hatte es sich ein sehr junges Paar im Bus gemütlich gemacht. Seelenruhig saßen die beiden auf ihren Plätzen, obwohl fünf Greise um sie herum standen. Als sie freundlich darauf hingewiesen wurden, entgegnete der Spanier, seine Freundin sei schwanger. „Und du? Bist du auch schwanger?”, fragte die Frau den jungen Mann unter dem Gelächter der anderen Fahrgäste. Aufgestanden ist er übrigens nicht.
2 Kommentare
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Das Problem des ÖPNV zeigt sich gerade auch in anderen Städten. Einfach nun mehr Busse etc. zu fordern stößt an machbaren Grenzen. Denn die Betriebe finden kein Personal mehr, dass eingesetzt werden kann. Dazu sind die Infrastrukturen bereits an der Grenze des Machbaren angelangt. Jede neue Baumassnahme verschlimmert nur das Problem. Für Busse und Radfahrer werden Fahrspuren gefordert, die aber zu noch mehr Einschränkung des Mobilverkehrs führen. Es ist kein Platz mehr da. Die Bebauung ist zu dicht. Da wird also am Ende nur der Teufel mit dem Belzebub ausgetrieben. Konstruktiv = mehr Wohnungen am Arbeitsplatz, ob der nun in der Stadt oder auf dem Land liegt, bleibt egal. Des Weiteren würde der Ausbau von S- und U-Bahn Erfolge verzeichnen.
Was soll die Aufregung?? -- Das ist doch in den Großstädten auch nicht anders, wenn die Pendler zur Arbeit fahren oder wieder heim. Überfüllte Bahnen aller Art. Eine Stunde Stehen bis Heimat Bahnhof. Was glauben Sie was das erst im Winter bedeutet?