Son Boter im 21. Jahrhundert: Miró hatte das Gebäude praktisch unverändert gelassen. Foto: Miquel Ëngel Cañellas Wände als Skizzenblock: Einzigartig sind Mirós Graffiti in Son Boter. Foto: Patricia Lozano Noch völlig unverstellt: Der Blick auf Son Boter, gezeichnet 1911 von Rafael de Ysasi Ransome. Foto: Hereus de Rafael de Ysasi, Museu de Mallorca Adrett gekleidet: Familienmitglieder der Besitzer von Son Boter. Foto: Hereus de Rafael de Ysasi fundacion miro juncosa familia | plozano

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Joan Miró, geboren am 20. April 1893 in Barcelona, gestorben am 25. Dezember 1983 in Palma. 1956 hatte sich der Künstler auf Mallorca niedergelassen, der Insel, von der seine Mutter stammte. Auf dem Anwesen Son Abrines in Palmas Vorort Cala Major verwirklichte er seinen Traum eines großen Ateliers: Das Taller Sert, benannt nach dem Architekten Josep Lluís Sert, der es entworfen hatte. Doch schon bald wurde ihm das Atelier zu klein. 1959 erwarb der Künstler das anliegende Son Boter mit einem Gebäude aus dem 18. Jahrhundert. Dort richtete er sein zweites Atelier ein, um große Formate zu schaffen. Das Anwesen steht im Zentrum der Ausstellung „Son Boter de Miró. Una mirada al pasado” („Joan Mirós Son Boter. Ein Blick in die Vergangenheit”) im Espai Cubic der Stiftung Miró Mallorca. Eröffnet wurde sie am Donnerstag, 16. November, um 19 Uhr. Die Schau, die vom amtierenden Stiftungsdirektor Francisco Copado kuratiert wurde, ist eine historische Annäherung an das Anwesen Son Boter und das Konzept der „Possessió”.

Wörtlich übersetzt, bedeutet der Begriff „Possessió” „Besitz”. Er bezieht sich traditionell auf eine ausgedehnte Agrarfläche, die zu einem kleinen Kern von Gebäuden, „les cases” genannt, gehört. Durch die Konzentration von Grund und Boden wurde der Begriff Ende des 16. Jahrhunderts zur Bezeichnung großer Landgüter verwendet, was sich bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hielt. Im 17. und 18. Jahrhundert befanden sich diese Besitztümer in den Händen von Großgrundbesitzern, unter denen der mallorquinische Adel eine führende Rolle spielte. Zu dieser Zeit begann der Bau großer oder herrschaftlicher Anwesen. Die primitiven Häuser wurden umfassend renoviert, um sie in Residenzen zu verwandeln, die etwas hermachten, getreu dem Motto „Zeigen, wer man ist”: Je vermögender der Besitzer, desto imposanter die Gebäude.

Grundsätzlich erfüllten die „Possessións” neben Landwirtschaft und Viehhaltung zwei weitere Merkmale. Zum einen wurden in den Gehöften die eigenen Erzeugnisse verarbeitet, zum anderen dienten sie den Pächtern, den sogenannten „Amos”, als Wohnsitz und den meist adligen, später auch großbürgerlichen Eigentümern, den „Senyors”, für den Erholungsaufenthalt. Der Faktor Erholung trat besonders in Stadtnähe in Gebieten wie Son Armadans, El Terreno und Cala Major hervor, die heute Viertel von Palma sind. Noch bis ins 20. Jahrhundert hinein hatten dort die besseren Familien von „Ciutat”, wie Palma bei den Mallorquinern traditionell heißt, ihre Sommerresidenzen.

Son Boter machte da keine Ausnahme. Im 18. Jahrhundert hatte ein Kleriker mit dem Nachnamen Martorell das Anwesen samt Gehöft aus dem 17. Jahrhundert erworben. Mit seinem Namen erschien das Gut erstmals 1785 auf einer Landkarte der Insel, die der mallorquinische Kardinal Antoni Despuig in Auftrag gegeben hatte und die mehr als 1250 Possesións enthält. Die Familie Martorells beschloss, auf dem Anwesen ein Haus zu bauen, um die Frühjahrs- und Sommersaison dort zu verbringen. Anfang des 20. Jahrhunderts erbten Rafael de Ysasi Ransome und seine Kinder das Landgut. Für die Ausstellung ist das nicht unerheblich, denn Ysasi, ein Militär, der in London geboren wurde, betätigte sich auf dem Gebiet der Kunst und Archäologie. Aus seiner Feder stammen Zeichnungen von Son Boter, die sowohl Blicke auf die Bucht von Palma als auch Details der Gebäudes enthalten.

Auch der Umstand, dass sich 1933 eine US-amerikanische Familie namens Lewis für fast ein ganzes Jahr eingemietet hatte, beschert der Schau nun Exponate aus Mirós Nachlass: 1983 hatte der Künstler Besuch von einem Sohn des Mieters erhalten, der Fotos aus der damaligen Zeit mitgebracht hatte. Dank dieser Aufnahmen lässt sich sehen, wie Son Boter eingerichtet war. Miró hatte das Anwesen 1959 erworben, ein Jahr nachdem es die Familie Ysasi veräußert hatte. An seinen Freund, den Architekten Josep Lluís Sert, schrieb er: „Ich habe gerade ,Son Boter’ gekauft, das prächtige Haus über unserem. Das ist nicht nur eine gute Investition, sondern vor allem ein Schutz vor lästigen Nachbarn. Es wird mir auch dazu dienen, monumentale Leinwände und Skulpturen herzustellen und um das Atelier zu entlasten. Außerdem habe ich vor, Litho- und Radierpressen zu installieren.”

Dass der Künstler das Anwesen überhaupt kaufen konnte, verdankte er dem Guggenheim International Award, den er 1958 erhalten hatte und der mit 10.000 Dollar dotiert war. Und anders als im Taller Sert hatte er sich in Son Boter auf Anhieb heimisch gefühlt. Das Anwesen wurde nicht nur sein zweites Atelier, sondern auch zu einem Ort der Zuflucht und der Reflexion. Alltagsgegenstände, volkstümliches Kunsthandwerk, Zeitungsausschnitte, Bilder primitiver Kulturen und andere Objekte teilten sich den Raum mit den Werkzeugen und Materialien seines künstlerischen Schaffens. Was Son Boter darüber hinaus zu einem magischen Ort macht, sind im Erdgeschoss die Kalkwände. Sie bewahren bis heute die mit Kohle gemalten Graffiti: Skizzen und Entwürfe von Skulpturen, die ein faszinierendes Universum imaginärer Figuren bilden. „Durch seine Graffiti an den Wänden verschmolz er mit dem Gebäude und verwandelte es in einen Notizblock, in den er sein eigenes Werk übertrug”, hatte im vergangenen Jahr die Konservatorin und Leiterin der Sammlung der Stiftung, Patricia Juncosa, MM zu Protokoll gegeben.

Möglicherweise hatte Pablo Picasso seinen Freund und Kollegen auf die Idee gebracht, die Wände als Skizzenblock zu benutzen. Dem französischen Schriftsteller und Literaturkritiker Georges Raillard erzählte Miró: „Picasso sagte mir eines Tages: Reine Schöpfung ist ein Graffiti, eine kleine Geste an einer Wand. Das ist die wahre Schöpfung. Deshalb ist die erste Phase für mich die erste Stufe. Sie ist die wahre Schöpfung. Was mich interessiert, ist die Geburt.” In der ersten Etage von Son Boter befindet sich ein weiterer besonderer Raum. „Dies ist das Zimmer, in dem ich mich ausruhe. Es ist so belassen worden, wie es war: die Farbe, die eingebauten Regale. Hier sind Prats, Pablo und meine Eltern”, erklärte der Künstler in einem Brief. Mit Prats meinte er seinen langjährigen Freund, Weggefährten und Galeristen Joan Prats, mit Pablo den Künstler Pablo Picasso. Dieser Raum ist den Besuchern derzeit nicht zugänglich. Dies wird sich möglicherweise nach der geplanten Renovierung von Son Boter ändern.

Die Ausstellung „Son Boter de Miró. Una mirada al pasado” wird bis Sonntag, 10. März 2024 zu sehen sein.