Anfang 2018 hat das katalanische Satiremagazin „Foc i Fum” in einem Onlinevoting unter seinen Lesern „Mallorcas hässlichsten Ort” gesucht. Einen Preis, den wahrscheinlich kein Bürgermeister gern in seinem Büro stehen haben möchte. Mit dabei unter anderem Manacor, Consell, Muro und Inca. „Das war wie bei der Fußballweltmeisterschaft ein K.-o.-Turnier”, grinst der Mallorquiner Josep Quetglas Guerrero und ergänzt „Ich bin mir sicher, wäre Inca nicht in der ersten Runde direkt gegen Manacor angetreten und rausgeflogen, dann wäre Inca jetzt Mallorcas hässlichster Ort und nicht Manacor.”
Technisch gesehen ist der junge Mann zwar in Palma geboren, denn vor 25 Jahren musste seine Mutter zur Entbindung noch den weiten Weg in die Inselhauptstadt auf sich nehmen, aber abgesehen davon hat er sein ganzes Leben in Inca verbracht. Man könnte sagen, dem Musiker und Informatikstudenten fließt Lederpolitur durch die Adern. Er ist ein waschechter „Inquero” wie er sagt, also ein Sohn der Stadt, die einst für Schuhe und Lederwaren stand. Einer, der bei aller Liebe zu seiner Heimatstadt kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn es um die Missstände der rund 33.000-Seelen-Gemeinde geht. „Für uns junge Leute gibt es hier leider nicht viel. Wir haben eine Band, und nur mal so als Beispiel: Es gibt keine Proberäume in Inca. Selbst unsere Kumpels nebenan in Costitx haben so etwas. Und die haben nur rund 1300 Einwohner. Wenn wir früher etwas unternehmen wollten, sind wir immer nach Palma gefahren.”
Wenn sich Guerrero und seine Freunde am Abend verabreden, dann hängen sie meistens im „Sa Lluna”, einer Bar in der Innenstadt ab. Seit ungefähr fünf Jahren könne er seine Freundin von dort aus allerdings nachts nicht mehr alleine nach Hause gehen lassen. „Sie wurde immer wieder von jungen Arabern oder Latinos belästigt. Das macht mich wirklich traurig. Es gibt eine Bar gegenüber von Sa Lluna, dort prügeln sich die jungen Ausländer quasi jeden Abend. Die Polizei fährt vorbei und macht einfach gar nichts. Das kann doch nicht sein.” Es sei nicht alles Gold, was in Inca glänzt, aber dennoch liebe er die Stadt im Herzen Mallorcas. „Wir sind eine mittelgroße Stadt mit Dorfcharakter. Die alten Familien kennen sich hier alle untereinander. Und auch wenn es mehr und mehr junge Leute von hier wegzieht, will ich gern hierbleiben. Es ist schließlich meine Stadt.”
So wie Guerrero geht es auch dem deutschen Schreiner Thomas Perlitschke, der mit seiner am Stadtrand ansässigen Schreinerei „CreaTeam Design” in diesem Jahr 25-jähriges Firmen-Jubiläum feiert. Nach einem Vierteljahrhundert hat er nicht vor, seine in Inca verwurzelte Firma noch einmal umzutopfen. „Ich bin vor 28 Jahren in Pollença angekommen und hab dann nach einem geeigneten Standort gesucht, um eine Firma zu gründen.” Die meisten Schreinereien oder Tischlereien sitzen im Südwesten der Insel und genau deshalb hielt der heute 54-Jährige Inca damals schon für eine gute Wahl. „Zum einen ist die Konkurrenz hier natürlich nicht so groß, und zum anderen bin ich territorial hier einfach besser aufgestellt. Ich bin in fast jeder Richtung in 30 Minuten in den Küstenorten der Insel.” Zudem biete Inca als Industriestadt noch die nötige Infrastruktur für die Schreinerei, um schnell und kostengünstig an Arbeitsmaterialien zu kommen.
Im Allgemeinen habe sich die Industrie der Stadt aber mit den Jahren schon sehr verändert, erklärt der Düsseldorfer. „Früher gab es hier sogar einen Holzhändler. Außerdem waren es viel mehr kleine Handwerksbetriebe, und damit meine ich nicht nur die der Schuh-Industrie.” Im Laufe der Jahre seien immer mehr Familienbetriebe verkauft worden oder, noch schlimmer, sogar Pleite gegangen. „Vieles kommt eben wesentlich günstiger aus Asien. Das ist hier auf Mallorca nicht anders als anderswo in Europa.” Seiner Meinung nach ist Inca trotz allem auch heute eine Industrie- und Arbeiterstadt. „Ich sehe das immer wieder an den Gastronomiebetrieben. Die leben oft vom Mittagstisch und somit von den Handwerkern der ortsansässigen Firmen, die es hier gibt. Zum Mittagessen ist kein Tisch mehr frei und am Abend ist dann nichts los.”
Vor allem die gute Verkehrsanbindung und die Immobilienpreise seien ein echter Pluspunkt für die Stadt. Diese Meinung teilt auch Martina Krain, die seit mittlerweile elf Jahren in Inca wohnt. „Wir haben eine freistehende Finca mit Garten nur fünf Auto-Minuten vom Ortskern entfernt. Das wäre in Palma einfach nicht bezahlbar.” Die Hundetrainerin sei anfangs skeptisch gegenüber der Lederstadt gewesen, erzählt sie. Mittlerweile hat sie sich aber nicht nur mit Inca angefreundet, sie möchte nirgendwo anders mehr auf der Insel wohnen. „Die Stadt hat sich wirklich gemausert in den vergangenen Jahren. Es gibt hier mittlerweile richtig gute Restaurants. Der Ortskern verändert sich. Plätze und Straßen werden saniert. Da passiert was.” Außerdem seien die Anbindung an die Autobahn und die Zugverbindungen in Richtung Palma ein weiterer großer Pluspunkt für sie. „Wenn ich mit dem Zug nach Palma fahre, dann bin ich genauso schnell wie mit dem Auto. Manchmal sogar schneller.” Zudem gebe es sehr gute Busverbindungen direkt zum Flughafen und in alle anderen Himmelsrichtungen der Insel. „Hier bewegt sich wirklich etwas, das ist schön zu sehen.” Am 14. November eröffnete beispielsweise das „Teatre Principal” nach langen und 7,2 Millionen Euro teuren Renovierungsarbeiten wieder seine Tore für Theaterfreunde.
Inca ist inselweit bekannt für seine herausragenden Herbstmessen. Mitte Oktober startete traditionell die erste, die Fira de La Terra, eine Messe rund um den Natur- und Umweltschutz. Danach folgte die „Fira de l’Oci i l’Esport”, eine Sport- und Freizeitmesse. Am Wochenende darauf wurde es mittelalterlich in der Stadt mit der „Fira d’Época i de l’Art”. Diese drei Herbstmessen gelten traditionell als Vorbereitung auf das größte Ereignis im Veranstaltungskalender der Stadt: Nach einem Jahr coronabedingter Pause fand wieder der „gute Donnerstag”, der Dijous Bo, statt.
Auf den Dijous Bo geht Josep Quetglas Guerrero schon viele Jahre nicht mehr. „Mir ist da immer zu viel los. Zumindest war es in den vergangenen Jahren so.” 2018 waren mehr als 200.000 Menschen zu Gast in der Stadt, 2019 sind es wegen schlechten Wetters deutlich weniger gewesen. „Für uns junge Leute ist eigentlich die Nacht vor dem Dijous Bo viel interessanter. Da gibt es traditionell immer den ‚Dimecres Bo’ also den großartigen Mittwoch.” Vor der Corona-Krise war das die wohl freizügigste Nacht der Stadt in der Inselmitte. „Jede Bar hatte geöffnet, überall gab es Live-Musik und einfach eine grandiose Stimmung.”
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