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Der kleine Miguel sitzt vor dem Wohnwagen in der Sonne und hat beste Laune: Gemeinsam mit seinem Onkel Alejandro macht der Zehnjährige wie jeden Sommer ein paar Tage Urlaub auf dem großen Parkplatz hinter der Cala Agulla in Cala Rajada. Die beiden Mallorquiner kommen aus Palma und schätzen den Standort für ihren Caravan vor allem, weil man es hier locker nimmt mit den Vorschriften und auch weil man sich kennt.

„Am Wochenende stehen hier manchmal bis zu 50 Wohnmobile, man trifft immer dieselben Leute, das ist cool“, sagt Alejandro. Seinem Neffen gefällt vor allem die Nähe zum Meer und die Natur. „Hotels mag ich nicht, hier im Hinterland der Cala Agulla gibt es so viel zu entdecken“, sagt er, lediglich auf die Moskitos würden die beiden gerne verzichten.

Die Cala Agulla, der größte Strand in der Gemeinde Capdepera, liegt etwa fünf Gehminuten vom Parkplatz entfernt. Die Bucht ist in diesen Tagen gut besucht. „Vor allem Spanier und Deutsche sind gerade in Cala Rajada“, weiß Antònia, die die Parkgebühr kassiert. In dem braunen Holzhaus ist sie aber auch ein bisschen so etwas wie eine Touristenauskunft: „Ist das die Bucht von dem Foto hier?“, will eine junge Frau wissen und ein älterer Herr fragt, wie lange er von Cala Rajada nach Porto Cristo braucht. Antònia beantwortet alle Fragen während sie gut gelaunt die Parkgebühr von fünf Euro pro Auto kassiert. „Ein bisschen weniger als sonst um die Zeit ist schon los, aber ich habe definitiv gut zu tun“, sagt sie, etwa 200 Autos kämen im Moment durchschnittlich pro Tag.

Bei Elke Glomm im Reitstall Rancho Bonanza laufen die Geschäfte bei weitem noch nicht wieder so gut wie sonst. „Wir sind jetzt bei einer Auslastung von etwa 25 Prozent“, schätzt Glomm. Mehr könnten die Pferde im Moment aber auch gar nicht leisten. „Durch die Coronakrise haben die Tiere wochenlang nur auf der Koppel gestanden und natürlich Kondition abgebaut“, erklärt sie und gibt zu bedenken, dass es bei über 30 Grad auch für die Vierbeiner schwierig sei, wieder Kondition aufzubauen. So kann man bei der Rancho Bonanza bisher eben nur zwischen einem Ausritt am Vormittag und einem am Nachmittag wählen. Damit zusätzlich Geld in die Kasse kommt, haben sich die Pferdefreunde etwas einfallen lassen: Claudia Sager, die zwei Privatpferde im Reitstall von Glomm hat, bemalt alte Hufeisen und dekoriert sie unter anderem mit Fell und Haaren der Tiere. „Ein Hufeisen kostet 35 Euro. Wenn wir zwei davon verkaufen, können wir schon wieder das Stroh für einen Tag bezahlen“, erklärt Glomm. Und es gäbe glücklicherweise doch einige, die sich nach einem entspannten Ausritt durch das herrliche Naturschutzgebiet hinter der Cala Agulla ein Hufeisen mitnehmen, um den Zwei- und Vierbeinern der Rancho Bonanza zu helfen.

„Ich glaube bei mir kaufen gerade schon viele, einfach um mich zu unterstützen“, sagt auch Liezu Höhnke. Die Deutsche hat sich mit ihrem Bekleidungsgeschäft „Zoko“ im Herzen von Cala Rajadas Einkaufsstraße vor 15 Jahren einen Traum erfüllt. Im Vergleich zu den vergangenen Jahren seien die Umsätze zwar immer noch geringer – etwa 50 Prozent – trotzdem sieht Höhnke eine positive Tendenz: Ihre Kunden seien entspannt und glücklich, wieder auf ihrer Lieblingsinsel zu sein, außerdem sei das Publikum in diesem Sommer kauffreudiger als sonst in der Hauptsaison, es gebe weniger „Gucker“ und mehr Käufer.

Wer einmal in die Eistheke von Giovanni Santese von der „Gelateria Paradiso“ schaut, der kauft mit hoher Wahrscheinlichkeit auch. Die kleine Eisdiele ist seit 16 Jahren im Familienbesitz und in Cala Rajada ein bisschen so etwas wie ein offizieller Geheimtipp. „Wir sind die einzigen hier, die das Eis selber machen“, weiß Santese. Mit „wir“ meint er „ich“, denn der Italiener schmeißt den Laden in diesem Jahr aus wirtschaftlichen Gründen alleine.

Neben seinem Eis – vor allem auf die Sorten Mango und Himbeer ist er stolz – spielt dem Eisverkäufer in diesem Sommer noch etwas in die Karten: „Viele kaufen ein Eis oder ein Bier, um beim Gehen die Maske absetzen zu dürfen“, erklärt er lachend. Seit Ende Juli seien endlich merklich mehr Touristen auf den Straßen unterwegs, das motiviert den Eismacher. Dafür steht er dann auch gerne bis spät in den Abend hinein im Laden, immerhin gilt es, die zu großen Teilen „verlorene Saison” zu retten.

„Von Saison retten kann nicht die Rede sein, bei uns geht es nur um Verlustminimierung“, sagt Andreas Schweighofer von Mama Pizza am Paseo Marítimo. Nach einem Coronafall bei seinen Angestellten musste der Wirt das Restaurant im Juli für zwei Wochen schließen, jetzt, wo wieder geöffnet ist, sei die Nachfrage jedoch groß wie eh und je, einen Tisch gebe es am Abend meist nur noch mit Reservierung. „Wir arbeiten gerade nur mit der Hälfte an Personal, gerade einmal 20 statt 40 Leuten, erklärt Schweighofer. Alles andere sei ihm in diesen Zeiten zu unsicher – schließlich hat er am eigenen Leib erfahren, wie schnell in dieser Saison die Umsätze wieder bei Null sein können.

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„Und dann gibt es solche Nörgler unter den Gästen, die sich beschweren, weil es nicht schnell genug geht. Das nervt! Wir geben doch wirklich unser Bestes. Die Kellnerinnen laufen am Tag über 22 Kilometer. Von manchen Menschen würde ich mir grade in diesem Sommer ein bisschen mehr Verständnis für unsere Situation wünschen“, sagt der Mann, der Mama Pizza vor 33 Jahren eröffnete. Vielleicht sei das aber auch nur eine subjektive Wahrnehmung – schließlich sei er acht Monate die Ruhe von zu Hause gewohnt gewesen.

Gleich zwei Lokale neben Mama Pizza befindet sich das Restaurant von den „Goodbye-Deutschland-Auswanderern” Peggy und Steff. Die Eröffnung war für diese Saison geplant, die Scheiben sind jedoch nach wie vor von innen verhängt, der Start des „Mahalo“ ist auf die kommende Saison verschoben. „Wir hätten das in diesem Jahr alles nicht so umsetzten können wie wir uns das vorgestellt haben. Schon allein, weil der Koch nicht für drei Monate Arbeit auf die Insel gekommen wäre“, erklärt Peggy Jerofke die Entscheidung. Ihrer kleinen Tochter Josefine kommt das sicherlich entgegen, denn die Zweijährige hat somit ihre Eltern noch einen ganzen Sommer nur für sich.

Ein paar Hundert Meter weiter in Richtung Badebucht Son Moll sieht man schnell, mit welchem Problem die Gastronomen in diesem Abschnitt der Uferpromenade zu kämpfen haben: Bauzäune trüben hier die Sicht aufs Meer, Staub liegt in der Luft – wer weiter läuft, begegnet Baustellenfahrzeugen, die mit Getöse zwischen den nur noch wenigen Fußgängern, die bis hierher vordringen, rangieren. Seit drei Jahren betreiben Sarah Engelking, Carlo Cirrito und Werner Berg hier die „Bodega del Sol“. „Erst Corona, dann die Baustelle direkt vor der Tür – für uns ist das der Supergau“, sagt Cirrito genervt. Eigentlich hätte zum Saisonstart im April die Erneuerung der Mauer, die den Fußweg und die Restaurantterrassen vom Meer trennt, abgeschlossen sein sollen, aber die Arbeiten verzögerten sich aus verschiedenen Gründen immer wieder. Die Leidtragenden sind die Betreiber der fünf Restaurants am Paseo Marítimo nahe des Strandes Son Moll. „Es ist fast nichts los, wir sind bei 30 Prozent der Umsätze im Vergleich zum letzten Jahr. Wenn es so weitergeht, müssen wir uns nach und nach von unseren Angestellten trennen“, sagt Cirrito und Engelking ergänzt: „Die Bauzäune zerstören das Ambiente. Und dann haben wir auch noch einen Sandhaufen vor der Tür. Dort holt der Bagger regelmäßig neuen Sand und wirbelt damit so viel Staub auf, dass das ganze Restaurant davon bedeckt ist“. Die aktuelle Baustelle soll nun im August beendet werden. „Aber im Oktober geht es wieder los. Da sollen dann die Terrassen direkt vor die Restaurants verlegt werden, der Paseo durchgängig am Wasser verlaufen“, weiß Cirrito. Entmutigen lassen sich die Gastronomen der „Bodega del Sol“ von den widrigen Umständen aber nicht. „Unser Werner kocht genauso gut wie immer und wir freuen uns über jeden, der sich zu uns durchkämpft“, sagt Sarah Engelking.

Im Moment halten sich jedoch nur die wenigsten Urlauber im Umkreis der sonst sehr beliebten Cala Son Moll auf. Obwohl dort – wie auch im übrigen Cala Rajada – viele Hotels geöffnet sind, ist der Strand fast leer, die Mietliegen stehen zum größten Teil zusammengeklappt unter den Schirmen und der Zugang zum Wasser ist wegen viel Seegras nur beschränkt möglich.

Iris und Peter Allerding aus Essen haben trotzdem ein paar Stunden die Sonne dort genutzt. „Wir genießen unsere Zeit hier. Im Vergleich zu sonst ist es schon deutlich entspannter“, finden die Teilzeitresidenten. Der Flug sei unkompliziert gewesen, ein Großteil der Restaurants sei geöffnet, einzig die Abendunterhaltung fehlt dem Ehepaar. „Und es nervt, dass doch viele ohne Maske unterwegs sind“, bemerkt Iris Allerding, zumal ihr Mann nach einer Herz- OP Risikopatient sei. Aber davon lassen sich die Allerdings die Laune nicht verderben, sie freuen sich lieber auf ein Stück Erdbeerkuchen in einem ihrer Lieblingsrestaurants, dem König Garten.

„Ein bisschen Party wäre schon schön“, da sind sich auch Stefanie Wagner, Lydia Frank, Sophie Ribege und Jasmine Pastar einig. Die vier Freundinnen im Alter zwischen 18 und 21 Jahren kommen aus dem Raum Frankfurt und verbringen schon zum zweiten Mal eine gemeinsame Woche auf Mallorca.

„Klar ist es schade, dass die Discos nicht auf sind. Aber sonst sind wir echt begeistert. Wir hatten befürchtet es könnte alles zu sein – aber das ist gar nicht so“, sagt Pastar, die früher schon einmal in Cala Rajada war. „Damals war es echt zu voll. Das ist jetzt eigentlich besser“, sagt sie. Und tatsächlich merkt man vor allem bei einem Spaziergang durch das abendliche Örtchen, dass in dieser Saison eben alles anders ist. Die wenigen Besucher verteilen sich dann auf weniger geöffnete Restaurants und die Geräuschkulisse besteht aus Wellenrauschen, Kinderlachen und angeregten Gesprächen. Keine Partymusik, keine feiernden Gruppen, die singend durch die Straßen ziehen. „Das ist jetzt halt ein chilliger Urlaub, an dem man abends gemütlich was trinken geht“, fasst Wagner zusammen.

Amelie Scheffelmeier ist in ihrem zehntägigen Urlaub mit Schwester Stephanie und Mutter Regina noch etwas aufgefallen: die Herzlichkeit der Insulaner. Einer Freundin schickte sie eine Whats-app-Nachricht mit folgenden Worten: „Die Menschen sind so entspannt und locker, das kennt man in Deutschland gar nicht. Und auch so liebevoll und gastfreundlich – und man merkt, dass sie auch kleinere Werte zu schätzen wissen“. Und Mutter Regina erzählt begeistert vom Treiben auf der Baustelle gegenüber ihres Hotels: Dort hätte man beobachten können, wie respektvoll die Arbeiter miteinander umgehen.

Zugegeben: So viel Optimismus angesichts einer Baustelle direkt vor dem Hotel muss man erst mal aufbringen. Vielleicht ist das aber auch genau das, was viele aus dieser Krise mitnehmen: Es lohnt den Blick auf das Positive zu richten, denn wer ins Licht blickt, der lässt die Schatten hinter sich. (aus MM32/2020)