Pittoreske Gassen, an den Berg geklatschte, kleine Steinhäuser, die grünen Fensterläden und die unzähligen Blumenkästen an den Hauswänden - ein Postkartenidyll, das in keinem Mallorca-Reiseführer fehlt. Ein Dorf, das jahrzehntelange Erfahrung mit dem Massentourismus hat. Und so wissen seine Bewohner, dass spätestens um elf Uhr Schluss ist mit der beschaulichen Ruhe.
"Dann fallen die Touristen ein", sagt Toni Cerdà, der eine kleine Bäckerei an der zentralen Vía Blanquerna betreibt. Ob er ohne die Urlauber leben könnte? Cerdà zögert eine Weile und sagt dann: "Irgendwie würde es gehen, aber wenn ich ehrlich bin, ich hänge schon von ihnen ab." Vor allem Deutsche seien gute Kunden. "Ich glaube, sie sind total verrückt nach Mandeln. Sie kaufen einfach alles, aber am liebsten meinen 'Gatò', also den typisch mallorquinischen Mandelkuchen." Die für Valldemossa typische "Coca de Patata" - eine Art Brioche aus Kartoffelteig, die mit Puderzucker bestäubt wird - verkaufe sich hingegen besser an die Einheimischen.
Gleich oberhalb von Toni Cerdàs Backstube sitzen einige ältere Herren auf einer Mauer auf der Plaça Cartoixa. Dazwischen mischen sich die ersten Touristen, Frühaufsteher, die Valldemossa vor dem großen Ansturm erkunden wollen. "Als Klavierspielerin hat mich natürlich ganz besonders Chopin angelockt", verrät Almut Michel aus Münster, die gemeinsam mit ihrem Mann Jörg über das Kopfsteinpflaster schlendert. Dass auf Mallorca dieser Tage intensiv über die Massifizierung des Tourismus gesprochen wird, haben die Michels natürlich gehört. "Wir sind zum ersten Mal auf der Insel, aber wir empfinden es nicht als zu voll", erklärt das Paar, das in Camp de Mar logiert. "Es ist ein richtig schön aufgehübschter Touristenort, es gefällt uns sehr gut." Und lassen die Michels als typische Tagestouristen auch Geld da? "Ja, wir trinken mal einen Kaffee, vor allem aber halten wir Ausschau nach Kunsthandwerk oder schönen Stücken in den Boutiquen", sagen sie und verabschieden sich mit einem Lächeln Richtung Chopin-Museum.
Ebenso gut gelaunt flanieren im unteren Teil der Ortschaft Nina, Jens, Jessica und Andreas aus Frankfurt. Das Grüppchen ist zum zweiten Mal auf der Insel. Der Besuch von historischen Dörfern gehört für die Hessen zu einem richtigen Urlaub dazu. "Das letzte Mal waren wir in Fornalutx und im Torrent de Pareis", erklärt Jens. "Dieses Mal haben wir uns für Valldemossa entschieden." Und Nina fügt an: "Es ist total schön hier, die Blumen an den Häusern, die kleinen Gässchen, wirklich idyllisch." Auch sie haben schon gehört, dass sich hier einst Frédéric Chopin mit seiner Geliebten George Sand aufhielt. "Aber ins Museum gehen wir nicht, wir sind lieber im Freien und suchen uns jetzt einen schönen Ort zum Mittagessen", sagt Jessica.
Die meisten der Urlauber, die durch Valldemossa laufen, kommen am Haus des Künstlers Nils Burwitz vorbei, der mitten im historischen Ortskern lebt - seit 41 Jahren. Darum kennt er das Dorf so gut wie wohl kaum ein anderer Deutscher. "Natürlich hat es sich im Lauf der Jahre verändert", erklärt er. "Als ich hierher kam, da gab es keinen einzigen Blumenkasten vor den Häusern. Alles war irgendwie strenger damals, das war ja auch noch zur Franco-Zeit. Früher haben die Frauen noch Teppiche und Wäsche an den öffentlichen Wasserstellen gewaschen."
Heute habe sich Valldemossa ganz auf die Urlauber eingestellt. "Die meisten Häuser haben im Erdgeschoss jetzt Ladenlokale, in denen sie etwas verkaufen", so Burwitz. Valldemossa, das sei für ihn immer noch ein Ort der Inspiration. "Die unvorhersehbare Architektur, die Schattenwürfe, das sind Dinge, die man als Maler braucht."
Gleichzeitig weiß Burwitz auch um die Gefahren des Massentourismus und beantwortet die Frage, ob Mallorca ein Urlauber-Limit braucht, nach langem Überlegen mit einem leisen und bedächtigen "ich glaube schon". "Wenn wir das Tramuntana-Gebirge erstmal ganz niedergetrampelt haben, ist der Titel des Weltkulturerbes sonst schnell aberkannt." Und das Dorfleben? "Das wird heute fast noch ausgiebiger gefeiert als früher", so Burwitz.
Valldemossa, glaubt er, habe auch für Künstler einen ganz speziellen Stellenwert. Chopin war hier, Jorge-Luis Borges verweilte gemeinsam mit Jacobo Sureda in Valldemossa auf dem Weg zur Kur in den Schwarzwald und kehrte anschließend wieder zurück, und in Umberto Ecos siebtem und letztem Roman, "Nullnummer", heißt es übersetzt: "Ich hätte sonst die ganze Nacht wach gelegen, die Augen groß wie Teller, und hätte diesen Tropfen gehört, es scheint als sei ich in Valldemossa." "Er hat in seinem letzten Buch einfach so unser Dorf platziert, ganz plötzlich und unerwartet", sagt Nils Burwitz und schließt für einen Moment zufrieden die Augen.
Dass die Kultur in Valldemossa in Zukunft eine noch wichtigere Rolle spielt, ist sehr wahrscheinlich. Denn das einst von Michael Douglas initiierte Veranstaltungszentrum "Costa Nord" ist unlängst an die Gemeinde übergeben worden. Zuvor war es von der Balearen-Regierung verwaltet worden.
(aus MM 29/2017)
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