Al Capone konnte niemals etwas anderes nachgewiesen werden als Steuerhinterziehung und Geldwäsche. Immerhin wanderte der legendäre US-Mafioso dafür elf Jahre lang hinter Gittern. Ähnlich war es bisher mit den meisten Verurteilten aus dem Drogensumpf von Son Banya.
Das gilt auch für die Clan-Chefin Francisca Cortés alias "La Paca", die mit ihrer weit verzweigten Sinti- und Roma-Familie im verrufenen Vorort beim Flughafen den Drogensupermarkt für Mallorcas Junkies am Laufen gehalten haben soll. Nach einer Abrechnung im Milieu konnte sie lediglich wegen Entführung zu einer elfjährigen Haftstrafe verurteilt werden. Trotz verschiedener Strafen wegen Geldwäsche und anderer Delikte befinden sich nach wie vor erhebliche Vermögenswerte und zahlreiche Luxus-Immobilien in Händen der Bande.
Um die Verantwortlichen für das Geschäft mit Koks, Heroin und Hasch endgültig zur Rechenschaft zu ziehen, läuft derzeit unter Polizeischutz der größte Prozess in der Justizgeschichte der Inseln. Doch wie für die 55 Angeklagten die Urteile aussehen werden, ist alles andere als klar. "Einige der Tatbestände wurden bereits vor Gerichten in Barcelona behandelt. Am Ende gab es viele Freisprüche", sagt Polizei- und Gerichtsreporter Pep Matas von der MM-Schwesterzeitung Ultima Hora.
Der erfahrene Journalist hat hautnah miterlebt, was sich auf Mallorca in den letzten Jahrzehnten in Sachen Kriminalität so alles ereignet hat. Mit seinem Engagement sorgte Matas dafür, dass manche heikle Punkte der Öffentlichkeit überhaupt erst bekannt wurden. Dafür schreckte der Reporter auch vor Anfeindungen, Gefahren und Drohungen nicht zurück.
Als Problem beim aktuellen Vorgehen gegen die Drogenmafia habe sich vor allem erwiesen, dass Abhörprotokolle und Tonaufzeichnungen ohne ausreichende Rechtsgrundlage zustande gekommen waren und vom Gericht in Barcelona deshalb nicht anerkannt wurden. Um solche formaljuristischen Einwände drehte sich auch der Prozessauftakt im "Fall Kabul" am 15. Januar in Palma. Wie es weitergeht, will das Gericht beim nächsten Verhandlungstermin am 6. Februar bekannt geben. Dann treffen sich auch wieder TV-Teams aus ganz Spanien in den Räumen der balearischen Verwaltungshochschule im Industriegebiet Son Rossinyol.
Dennoch lässt sich bereits sagen, dass mit dem Jahr 2013 im Umgang mit der Kriminalität auf Mallorca ein Wendepunkt erreicht ist. Beobachter gehen davon aus, dass der Drogensumpf in Son Banya noch vor dem Sommer weitgehend trocken gelegt wird, da es mittlerweile in 45 Fällen rechtskräftige Räumungsurteile für die Baracken und Wellblechhütten gibt. Betroffen sind Familien, die nachweisbar über andere Immobilien auf der Insel verfügen, mutmaßlich also vor allem das Umfeld der Dealer. Nachdem bereits vor Jahren verschiedene Behausungen abgerissen wurden, dürften nur noch einige mittellose Personen zurück bleiben.
Insider befürchten deswegen, dass sich der Drogenhandel bis in ein paar Monaten in andere Viertel wie Son Gotleu und La Soledat am Carrer Manacor verlagern wird. Gefährdet ist auch das Polígono de Levante hinter der Bauruine von Palmas neuem Konresspalast. "Dort gab es schon vor 15 Jahren einen Drogenschwerpunkt, bis die Polizei die Dealer nach Son Banya vertrieben hat", so Pep Matas. Wie nun bekannt wurde, haben polizeibekannte Drahtzieher bereits Wohnungen in bestimmten Problemstraßen am armen Ostrand der Stadt erworben.
Auch wenn sich die Kundenzahl in Son Banya an Wochenendtagen dank regelmäßiger Polizeipräsenz von 1000 auf 500 verringert habe, glauben Experten nicht, dass auch der Drogenkonsum zurück geht. Die monatlich bis zu 400 Krankenhausbehandlungen wegen Kokainmissbrauchs sprechen dafür eine allzu deutliche Sprache.
Betäubungsmittel sind laut Matas auch in verschiedenen Bars in Palma zu bekommen oder auf der Straße in El Arenal, wo allerdings synthetische Drogen und Alkohol stärker gefragt seien als die harten Kaliber. Auf Ibiza laufe das Geschäft ohnehhin mehr oder weniger unverhohlen in den Clubs und Diskotheken. "Guiris", also Ausländer aus dem Norden seien im Drogen-Ghetto deswegen eine absolute Ausnahmeerscheinung.
Dass die Politik mit dem Aus für Mallorcas Drogensupermarkt hundertprozentig richtig liegt, ist für Matas nicht ausgemacht. Immerhin habe sich die Szene bisher auf Son Banya konzentriert und sei somit gut kontrollierbar gewesen. Dennoch ist der Polizeireporter ein Stück weit froh, dass bald alles vorbei ist, denn eine Zeit lang war er auch persönlich ins Visier der Banden geraten. Die Clanchefin "La Paca" hatte 30.000 Euro Kopfgeld ausgesetzt, weil ihr seine Berichterstattung missfiel.
Als Matas dann aber auch über Polizeibeamte und eine Anwältin berichtete, die in Son Banya in dunkle Geschäfte verwickelt waren, ließen die Banden plötzlich von ihm ab. "Du bist wenigstens objektiv", meinte die Matriarchin und gewährte dem Reporter ein Exklusiv-Interview.
Auch ein Deutscher unter den Angeklagten
Starker Tobak für den 25-jährigen T. R. S.: Laut Anklage soll der auf Mallorca ansässige Autohändler gemeinsame Sache mit den Drogenclans von Son Banya gemacht haben. Dem Deutschen mit Wurzeln in Rumänien wird illegaler Waffenbesitz, Drogenhandel sowie die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Er muss mit 13 Jahren Haft rechnen.
Ein BMW 740 aus seinem Besitz wurde beschlagnahmt. Die Bildberichterstatter beleidigte er vor Verhandlungsbeginn mit einer obszönen Geste.
Bei den anderen Angeklagten handelt es sich vor allem um Spanier, die zur Minderheit der Sinti und Roma gehören. Lateinamerikaner sollen in Son Banya als Straßenhändler gearbeitet haben, während sich die Drogendepots in den Häusern befanden.
Rund 40 Angeklagte stammen aus dem La-Mina-Viertel in Barcelona und belieferten den 15-köpfigen „Clan der Paca” angeblich mit Nachschub vom Festland. Andere Banden standen bereits vor Gericht sind zum Teil aber weiterhin aktiv.
STICHWORT: Fall Kabul
Der Name der afghanischen Hauptstadt Kabul bezieht sich im Jargon von Mallorcas Justiz und Polizei auf das Elendsviertel Son Banya unweit des Flughafens. Die Siedlung entstand in der Franco-Zeit, als 1969 neben dem Gelände einer Luftabwehr-Kaserne Baracken und Wellblechütten zur provisorischen Unterbringung von Sinti und Roma errichtet wurden.
Heute dominieren kriminelle Clans den Ort, der auf der Insel als Drogenumschlagplatz Nummer eins gilt und 2008 unter dem Namen "Operation Kabul" Ziel einer Razzia war. Diese wird nun juristisch aufgearbeitet. Teilweise befinden sich die Angeklagten wegen übermäßig langer Untersuchungshaft wieder auf freiem Fuß. Insgesamt hat die Staatsanwaltschaft mehr als 690 Jahre Haft und Bußgelder von 29,4 Millionen Euro beantragt.
Erster Verhandlungstag war am 15. Januar, weiter geht es am 6. Februar. Die Urteilssprüche werden im April erwartet. Experten gehen davon aus, dass Son Banya bis zum Sommer mindestens zur Hälfte dem Erdboden gleich gemacht wird. 45 Räumungsklagen sind bereits rechtskräftig.
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