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VON< JONAS MARTINY
Mallorca, 21. April – Fernando Fortuny ist ein gastfreundlicher Mann. Wer ihn höflich fragt, bekommt bereitwillig Zugang zu seinem Landgut Comassema bei Orient. Dann öffnet sich das schwere Eisentor und Fortuny zeigt geduldig seine Besitztümer. "Hier kannst du die Ruhe noch spüren", sagt er mit einer ausladenden Geste über Olivenhaine, Schafherden, waldige Hügel und grüne Wiesen. "In Palma halte ich es nicht aus. Da ist immer Lärm und es stinkt." Der Weg zu dem mehr als 700 Jahre alten Herrensitz führt vorbei an einem träge vor sich hin plätschernden Bach, durch den Schatten der hohen Berge, bis sich plötzlich der Blick auf das imposante Haupthaus des Landguts auftut. Nachbarn gibt es nicht, keine Straße führt vorüber, kein Elektromast stört die Aussicht. Ein anderes Mallorca. "Aber ein bisschen einsam ist es manchmal schon."

Bis zur Rückeroberung Mallorcas lässt sich die Geschichte der Possessió Comassema zurückverfolgen, sagt Fortuny. Jaume I. war es, der das fruchtbare Tal von Orient im 13. Jahrhundert aufteilte und an einige treue Gefolgsleute übergab. Fast 600 Jahre lang befand sich Comassema im Besitz einer einzigen Adelsfamilie, bis es Joaquín Coll y Castañer im Jahr 1891 kaufte.

Dessen Urenkel Fernando Fortuny versucht nun, das 800 Hektar große Landgut zu bewahren, was offenbar nicht einfach ist. "Früher war es so, dass das Land ringsherum den Unterhalt des Hauses garantierte", sagt er. Heute reiche die Olivenölproduktion jedoch längst nicht mehr aus. Die Herstellung von Holzkohle in den umliegenden Wäldern hat sich ohnehin erledigt. "Heute muss das Haus genügend abwerfen, um die Ländereien zu unterhalten." Also vermietet Fortuny den Herrensitz für Hochzeiten in historischem Ambiente. Besitze man eine Possessió, sei es entscheidend, eine Nutzung zu finden, die die Finanzierung des Besitzes sicherstelle. "Da das Gut in einem naturgeschützten Gebiet liegt, musst du aber für alles Sondergenehmigungen beantragen", sagt Fortuny, der nicht nur selbst Gutsinhaber ist, sondern auch dem mallorquinischen Verband der Finca-Besitzer vorsteht. Etwa 200 Personen seien in dem Verband zusammengeschlossen.

"Jeder und alles wird hierzulande geschützt - nur nicht die Eigentümer", sagt Fortuny. An sonnigen Wochenenden suchen Horden von Wandersleuten seine Ländereien heim, klettern über die Zäune, stapfen über die Felder, schmeißen Müll in die Landschaft und werden dann auch noch frech, wenn er sie zur Rede stelle, sagt Fortuny. Auf Mallorca schwelt seit Langem ein Streit um die öffentliche Zugänglichkeit des historischen Wegenetzes, auf dem sich jahrhundertelang Köhler, Schäfer oder Mönche frei bewegen konnten - und dabei eben auch die historischen Possessions überquerten. Viele Fincabesitzer pochen heute jedoch auf ihr Eigentumsrecht und sperren kurzerhand die Wege, die über ihre Landgüter führen - was wiederum viele einheimische Wandersleute nicht davon abhält, sich trotzdem Zugang zu verschaffen. "Ich schotte mich deshalb immer weiter ab", sagt Fortuny. "Manchmal komme ich mir schon vor wie in einem Gefängnis." Ähnliche Konflikte spielen sich auch auf der größten Possessió der Insel ab. Das Landgut Teix erstreckt sich über rund 2500 Hektar und umfasst Teile der Gemeinden Bunyola, Valldemossa, Sóller und Deià. Auch die Geschichte dieser Possessió reicht bis in die Zeit kurz nach der Rückeroberung der Insel von den Moslems im 13. Jahrhundert zurück. Damals ließ hier König Jaume II. eine Residenz errichten, der Legende zufolge für seinen Sohn Sanç, der hier zum einen dank der klaren Bergluft sein Asthma lindern konnte und andererseits der Falkenjagd nachgegangen sein soll.

Heute ist zu Füßen des 1062 Meter hohen Teix Pedro Ginard fürs Jagen zuständig. Er sorgt im Auftrag des Besitzers dafür, dass die Ziegenpopulation reinrassig bleibt. "90 Prozent aller Tiere hier auf der Finca gehören der mallorquinischen Rasse an." Ordinäre Hausziegen werden erbarmungslos abgeknallt. "Da drüben läuft gerade eine", sagt Ginard und zeigt auf den gegenüberliegenden Berghang. Er zückt das Schießgewehr und streckt den Eindringling nieder.

Das tut er nicht aus schierer Lust am Töten, sondern weil die Kontrolle der Ziegenpopulation den Fortbestand des Landguts sichert, wie er sagt. Am Teix finden regelmäßig Großwildjagden statt. Dann reisen aus der Ferne Russen oder Nordamerikaner an und zahlen viele Tausend Euro, um einen kapitalen Ziegenbock schießen zu dürfen. Anerkennung bringt dies in Jägerkreisen jedoch nur, wenn es sich um ein Rassetier handelt.

"Früher war diese Finca rentabel, weil es Schafzucht gab und Getreideanbau, weil in den Wäldern Kohle und Kalk produziert werden konnte", sagt Ginard. Bis heute zeugen alte Kohlenmeiler und halb verfallene Kalköfen von jener Zeit. Währenddessen rumpelt der Geländewagen die holprige Schotterpiste den Berg hinauf. "Hochzeiten können wir hier nicht veranstalten", sagt er. "Der Weg ist zu schlecht, da hat sich die Braut schon zweimal übergeben, bevor sie oben angekommen ist." Also habe man sich der Jagd verschrieben, um den Unterhalt des Landguts sicherzustellen.

Doch auch hier auf dem Teix tummeln sich an sonnigen Tagen regelmäßig Ausflügler - obwohl die Possessió ringsherum umzäunt ist, wie Ginard beteuert. Unmissverständlich weisen Schilder darauf hin, dass es sich bei der Finca um Privatbesitz handelt. "Man kann nicht gleichzeitig Jäger und Wanderer auf der Finca haben. Das ist zu gefährlich", sagt Ginard. "Zumindest sollte man mich vorher anrufen und fragen, ob gerade Jagdtag ist." Mangelnde Gastfreundschaft soll man auch hier niemandem nachsagen können.