Auf den ersten Blick Chaos: Pinsel, Farben,
Leim, Werkzeug, Chemikalien, Papierschnipsel auf zahllosen Tischen,
Zeitungsausschnitte, Widmungen, Erinnerungsstücke an den Wänden,
Bilder, Collagen, Skulpturen auf dem Boden und auf Sockeln, alles
dicht gedrängt. Für den Besucher zunächst völlig überwältigend. Auf
den zweiten Blick: eine eigene, durchstrukturierte Ordnung. In
einem Raum Hunderte von Bildern und Collagen, beschriftet und
ausgeschildert, viele, viele Skulpturen aus verschiedenen
Schaffensjahren, Tausende von Jazz-CDs und Bücher auf Regalen. Das
riesige Atelier von Rafa Forteza ist ein Ort der Poesie und Magie.
Nicht umsonst residiert er zu Füßen der beiden Berge von Alaró,
dort wo - der Legende nach - in jeder Samstagnacht die Hexen
tanzen.
Rafa Forteza, geboren 1955 in Palma, hat in den vergangenen
Wochen auf internationaler Ebene Furore gemacht. Im Staatlichen
Russischen Museum Sankt Petersburg hat er im Rahmen eines
gegenseitigen Kulturaustausches zwischen Spanien und Russland 50
Bilder und Collagen sowie sieben Skulpturen ausgestellt. Er ist
nach Manolo Valdés der zweite Spanier, der überhaupt in Sankt
Petersburg in einer Einzelausstellung zu sehen war.
"Es war eine große Ehre und es war spannend", sagt er. "Auf
Mallorca war allerdings mehr davon die Rede, dass die spanische
Kulturministerin Angeles González-Sinde die Ausstellung besucht
hat, weniger von meinen Arbeiten." Ansonsten hat er sich in
Russland ein bisschen gefühlt "wie früher in Europa. Der Künstler
selbst darf nichts anfassen; Hängung und Aufbau unterlag
ausschließlich der Museumsleitung, obgleich man mir zuvor Pläne
geschickt hatte. Aber dann durfte ich alles nur sehen, als es schon
fertig war".
Beeindruckt war er vom Publikum: "Die Menschen haben schon bei
der Eröffnung wirklich die Kunst angeschaut. Nach dem offiziellen
Teil war es nicht wie hier ein rein gesellschaftliches Ereignis.
Sondern ein Termin für Kunstfreunde." Ein Jahr lang hat er die
Ausstellung in Russland vorbereitet, hat ausgewählt und
zusammengestellt. In seinem Atelier in Alaró arbeitet er in
völliger Abgeschiedenheit. Er bleibt manchmal gerne ohne Kontakt
nach außen, auch wenn er ein mitteilsamer Mensch ist: "Medien
bringen zwar Öffentlichkeit, aber keine Offenheit", sagt er, als
von der Umwelt- und Nuklearkatastrophe in Japan die Rede ist.
"Menschen sind grundsätzlich so allein, dass sie irgendwann einmal
nur noch durch das Internet existieren. Je mehr Bevölkerung, umso
weniger Nähe, umso mehr Hass."
Ist ein Ereignis wie in Japan in der Lage, seine Kunst zu
beeinflussen? "Ich reflektiere nicht den Moment", sagt Rafa
Forteza. "Ich entlade mich. Denn ich glaube nicht an aktuelle
Nachrichten. Das sind nur reine Fakten in einer chaotischen Welt.
Neues gibt es nicht, alles wiederholt sich. Neuigkeiten haben auch
viel mit Mode zu tun, oft angeregt durch eine einzige Begebenheit."
Und er sagt: "Der Staat regiert fast alles, Erziehung, Entwicklung
der Menschen. Auch die Kunst. Dabei muss Kunst irrational sein
dürfen. Kunst hat keinen Nutzen, wie Marcel Duchamp gesagt
hat."
Doch für den Betrachter sind viele seiner Arbeiten voller
Freude. Skulpturen aus schmalen, beweglichen Holzlatten, die er wie
Blumensträuße in der Mitte zusammenhält, mit sehr farbigen
Ingredienzien "schmückt": bemalte Porzellanpaste, kleine
Wäscheklammern, Keramik, Draht, Holzklötze. Viele der Plastiken
sind beweglich, fragil, verändern ihre Form durch Berührung, durch
Wind, man kann durch einen Handgriff ihre Position und Formierung
variieren.
Rafa Forteza möchte seine Arbeit nicht erklären: "Kunst muss man
nicht verstehen. Es ist für viele Menschen sowieso zur Obsession
geworden, alles verstehen zu wollen. Kann man den Krieg erklären?
Oder eine gute Tat?" Er kritisiert, dass Menschen oft eine Antwort
wollen, ohne wirklich eine Frage gestellt zu haben.
Einige Zeit lang war der Kreis eines seiner Leitmotive. Danach
befragt, malt er eine Schlange, die sich selbst in den Schwanz
beißt: "Es ist ein zentrales Motiv unseres Lebens; das eine geht
nicht ohne das andere. Da stellt sich die Frage: Was ist die
Wirklichkeit? Die Abwesenheit von Dingen kann man nur schwer
darstellen. Und doch haben genau diese oft Einfluss."
Rafa Forteza arbeitet oft mit Worten, fast wie ein Weiser der
Kabbala: "Als ich in Paris gelebt habe, hatten die Cafés
Werbepostkarten, oft vergrößert als Unterlage. Ich habe sie
mitgenommen, verändert, sie wurden für mich fast wie kindliche
Sammelbildchen."
Einige hat er später abfotografiert, vervielfältigt, hat darauf
Radierungen, Grafiken gemacht, und später auf den grafischen
Arbeiten Collagen. So entstand Schicht auf Schicht, immer mit
Erinnerungen an das vorangegangene Werk: "Wie das Leben. Das trägt
man ja immer mit sich herum."
Worte scheinen manchmal wie Trugbilder durch. Ein Beispiel:
"calmarte (dich beruhigen)" trägt in sich calma (Ruhe) - arte
(Kunst) - alma (Seele) - oder marte (der griechische Kriegsgott) -
cal (Kalk). Oder "amor" (Liebe) und "amar" (lieben): "Wenn man
beides rückwärts liest, bleibt 'Roma', ein streng strukturierter
Staat. Oder 'rama' (Zweig) als etwas Gebundenes, auf festem Grund
durch den Stamm verwurzelt." So macht der Künstler deutlich, dass
in einem einzigen Begriff viel mehr steckt als der vordergründige
Sinn.
Rafa Forteza nimmt die Worte wie die Welt auseinander und setzt
sie wieder zusammen - nach seinen Vorstellungen. Für viele seiner
Skulpturen schafft er - gleichsam als Basis - "Kästen der
Erinnerung, die man nicht öffnen kann". Er sagt: "Es ist genug,
wenn das eigene Leben so veränderbar ist."
In seinem Atelier wird der Künstler zum Philosophen, vielleicht
beschützt durch die Hexen vom Berg.
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